Bundesverfassungsgericht entscheidet über Wahlrecht

Das Bundesverfassungsgericht wird morgen über das im November 2011 vom Bundestag beschlossene Wahlrecht zur Bundestagswahl entscheiden. Die Neuregelung sieht -vereinfacht gesagt- wie folgt aus:

1) Es werden die Sitze für das jeweilige Bundesland anhand der Wähler/innenanzahl ermittelt, also die Bundestagssitze die auf das Land X oder das Land Y entfallen.

2) Nachdem klar ist, wieviel Sitze das Land X oder das Land Y im Bundestag hat, werden diese Sitze auf die jeweiligen Parteien aufgeteilt.

3) Im Verfahren der sog. Reststimmenverwertung werden weitere Mandate auf die Parteien aufgeteilt. Maßstab ist hier das Bundesgebiet.

Im Prinzip findet also ein Verfahrenswechsel in der Verteilung der Mandate statt. Bislang galt:   Zuerst die Mandate für die Partei, dann für das Bundesland. Jetzt gilt: Erst die Mandate für das Bundesland (abhängig von der Wähler/innen-Anzahl) und dann die Mandate für die Partei.

Ich selbst habe mich als Klägerin an der Bürgerklage von Mehr Demokratie e.V. beteiligt und über diese Verfassungsbeschwerde bereits hier geschrieben. Zentrale Schwerpunkte der auch von der Partei Bündnis 90/Die Grünen und von den Fraktionen von SPD und Grünen eingereichten Klage sind die Punkte

* negatives Stimmgewicht

* ausgleichslose Überhangmandate

* Verfahren der Reststimmenverwertung

* Systembrüche

Negatives Stimmgewicht meint, dass mehr Stimmen für eine Partei zu weniger Sitzen für diese Partei führen oder umgekehrt weniger Stimmen für eine Partei zu mehr Sitzen für diese führen.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach dem Zweitstimmenanteil an Sitzen im Parlament zur Verfügung stehen. Wenn beispielsweise eine Partei Anspruch auf 3 Listenplätze hat, aber vier gewonnene Direktmandate hat, entsteht ein Überhangmandat.

Die Reststimmenverwertung  wiederum ist -finde ich- äußerst kompliziert. Sie beruht darauf, dass beim derzeitigen (mathematischen) Verteilungsverfahren für die Mandate nach Sainte-Lague/Schepers gerundet wird. Kleiner als 0,5 wird abgerundet, größer als 0,5  wird aufgerundet. Soll heißen, ergibt die mathematische Verteilung 3,6 Mandate bekommt die Partei X im Bundesland Y 4 Mandate, ergibt sich eine mathematische Verteilung von 3,4 Mandanten verbleibt es bei 3 Mandaten.  Das bezieht sich (siehe oben) auf die Mandate einer Partei in einem Bundesland. Bei der Reststimmenverwertung werden die abgerundeten Stimmen (also die, die kleiner 0,5 sind) die die jeweiligen Parteien in den einzelnen Bundesländern erzielt haben zusammengerechnet. Dies ergibt die auf eine Partei im Bundesgebiet entfallenden Reststimmen. Diese Reststimmen ergeben dann auch wieder Mandate, die für die jeweilige Partei dann wieder auf die Bundesländer verteilt werden. Vorrangig behandelt werden allerdings die Länder, in denen die jeweilige Partei Überhangmandate produziert hat. 

Die von den drei Klagevertretern vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt jeweils zusammenfassen:

Überhangmandate

Mehr Demokratie e.V. und Bündnis 90/Die Grünen rügen ausdrücklich die Zulassung ausgleichsloser Überhangmandate. Stimmen, die zu einem Überhangmandat führen haben deshalb ein doppeltes Stimmgewicht und das ist mit der Wahlrechtsgleichheit nicht vereinbar. Es geht hierbei um die sog. Erfolgswertgleichheit, d.h. jede Wähler/innen-Stimme muss den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis und damit die Zusammensetzung des Parlaments haben.

negatives Stimmgewicht

Das sogenannte negative Stimmgewicht tritt nicht weniger, sondern eher mehr auf. Es trete auf, wenn in den jeweiligen Bundesländern für eine Partei Überhangmandate entstehen, durch das Reststimmenverfahren und kann auch auftreten in Bundesländern wo keine Überhangmandate entstehen. Bei der Verfassungsbeschwerde von Mehr Demokratie e.V. wird dies anhand des Beispiels erklärt, dass in Berlin 40.000 Wähler/innen der LINKEN nicht zur Wahl gehen würden. Dabei wir das neue Wahlrecht und das Wahlergebnis von 2009 zu Grunde gelegt. Berlin würde aufgrund der geringeren Wahlbeteiligung nur noch 23 statt bislang 24 Sitze haben, den entsprechenden Sitz würden die Grünen zunächst verlieren und dann über das Reststimmenverfahren zurückbekommen. Profiteur wäre NRW, dass statt 129 dann 130 Sitze bekommen würde und dort wiederum DIE LINKE, die statt 11 dann 12 Abgeordnete aus NRW stellen würde.

Reststimmenverwertung

Nach Ansicht von Mehr Demokratie e.V. führt das Reststimmenverfahren dazu, dass es nicht zu einer vom Zweitstimmenanteil abhängigen Verteilung von zusätzlichen Mandaten kommt, sondern zu einer mehr oder weniger gleichmäßigen Verteilung zwischen den Parteien, die über die 5%-Hürde gekommen sind. Darüber hinaus werden bei diesem Verfahren nur die positiven Reststimmen berücksichtigt, nicht aber die negativen Reststimmen. Die negativen Restimmen allerdings führen bereits dazu, dass -durch die Aufrundung- Parteien ein Mandat erhalten. Hierin wird eine Verdopplung des Stimmgewichts gesehen. In der Klage der Fraktionen von SPD und Grünen ist gar von „Überhangmandaten neuer Art“ die Rede.

Systembrüche und Ungereimtheiten

Unter diese Rubrik fällt die Tatsache, dass mal auf die landesweit abgegebenen Stimmen abgestellt wird (Anzahl der Mandate pro Bundesland) und mal auf die bundesweit abgegebenen Stimmen (5%-Klausel). De facto werden auf der einen Seite 16 getrennte Wahlgebiete (die Bundesländer) geschaffen auf die Mandate entfallen und auf der anderen Seite wird im Hinblick auf die 5%-Klausel und die Reststimmenverwertung dann wieder das Wahlgebiet Bundesrepublik Deutschland der Maßstab.

Ebenso fällt darunter, dass es problematisch erscheint, die auf ein Bundesland anfallenden Mandate von der Anzahl der Wähler/innen abhängig zu machen. Hier verweist insbesondere Mehr Demokratie e.V. darauf, dass sich erst aus der Begründung des Gesetzes ergibt, dass es sich nicht um die Wahlberechtigten handelt und auch nicht um die Zahl der Gültig-Wähler/innen, sondern um die Zahl der Wähler/innen, die überhaupt eine Stimme bei der Bundestagswahl abgeben. D.h. aber auch, dass derjenige/diejenige die lediglich die Erststimme abgibt mitgezählt wird. Konkret heißt das aber auch, dass diejenigen Wähler/innen die zum Beispiel ungültig wählen oder eine Partei wählen die an der 5%-Hürde scheitert, bei der Frage der auf ein Bundesland entfallenden Mandate mitzählen und damit dafür sorgen, dass dieses Mandate auf die Parteien entfallen, die nach der Wahl im Bundestag vertreten sind.Weiterhin wird kritisiert, dass für die Anzahl der auf ein Bundesland entfallenden Mandate die Anzahl der tatsächlich zur Wahl gehenden Personen berücksichtigt wird, für die Mandatsverteilung auf die Parteien innerhalb des Bundeslandes dann aber die Zahl der gültigen Zweitstimmen.

Nur am Rande sei noch einmal erwähnt, dass der Vorschlag der LINKEN der einzige Vorschlag gewesen ist, bei dem überhaupt kein negatives Stimmgewicht aufgetreten wäre. Er hätte auch das Problem der ausgleichslosen Überhangmandate gelöst und durch den Wegfall der 5%-Hürde wären auch keine Problem mit der Sperrklausel aufgetreten. Der Vorschlag der LINKEN sah -vereinfacht dargestellt- wie folgt aus:

1) Aus den bundesweiten Zweitstimmen für eine Partei errechnet sich deren Sitzanzahl im Bundestag.

2) Soweit die errungenen Direktmandate die Anzahl der Listenmandate (bundesweit) übersteigt verbleiben diese Mandate der Partei. Diese Uberhangmandate werden durch Ausgleichsmandate ausgeglichen (ebenfalls bundesweit).

3) Die  dann einer Partei bundesweit verbleibenden Sitzen werden auf die Landeslisten der Parteien aufgeteilt.

Und mit meinem Vorschlag wäre es noch einfacher und übersichtlicher gewesen, hier würden nämlich weder Überhangmandate entstehen noch negatives Stimmgewicht.  Er sah die Umstellung auf die reine Verhältniswahl mit der Möglichkeit des Panaschierens vor. D.h. es treten nur noch Parteien mit Landeslisten an, die Bürger/innen haben aber die Möglichkeit 3 Stimmen zu vergeben. Entweder für eine Partei (dann bekommen die ersten drei Kandidaten/innen auf der jeweiligen Parteiliste jeweils eine Stimme) oder für drei verschiedene Kandidaten/innen einer Partei oder drei verschiedene Kandidaten/innen verschiedener Parteien (3 x 3 Modell). Die sog. Direktmandate gibt es nicht mehr.

Ich mache mich heute auf den Weg nach Karlsruhe um morgen bei der Urteilsverkündung vor Ort sein zu können. Eine Prognose über den Ausgang wage ich nicht.

3 Replies to “Bundesverfassungsgericht entscheidet über Wahlrecht”

  1. Pingback: Karlsruhe (mal wieder) zum Wahlrecht - Vorpommern-Greifswald wird Grün

  2. Es sollte etwas gegen die Diskriminierung in dem Land getan werden. Um wählten zu können sollte man jedoch Erwachsen sein und Deutsch. Das ist nämlich ein kleiner Grund warum die Mietpreise steigen und zu viele Sachen privatisiert werden.

  3. was für ein unsinn. privatisierungen und mietsteigerungen haben nichts mit dem wahlrecht zu tun. wer hier länger lebt, sollte wählen können und wer 16 jahre alt ist auch.

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