Mindestsicherung im Wahlprogramm und ein Debattenbeitrag dazu

Über einen Twitter-Eintrag des Neuen Deutschland stieß ich auf den Artikel von Ralf Krämer  zum Wahlprogrammentwurf. Dort wiederum sprang mir der Punkt 2 ins Auge. Dort heißt es: „Die im Entwurf Seite 17 formulierte Forderung für eine Mindestsicherung bei Erwerbslosigkeit in Höhe von mindestens 1050 Euro monatlich ist nicht zielführend und ungerecht, ihre Umsetzung würde die lohndrückende Kombilohnwirkung des Arbeitslosengeldes II stark erweitern und wäre enorm teuer. Die Forderung ist unrealistisch, nützt niemandem und schadet der LINKEN.“ Gleichzeitig wird auf einen konkreten Änderungsantrag verwiesen. Und der hat es dann in sich. Er hat es so in sich, dass mir ein wenig die Spucke wegblieb.

 „Es gibt keine von der persönlichen Bedarfslage unabhängige pauschale Einkommenshöhe, die individuelle Armut verhindert. Solche Pauschalisierungen führen zudem zu gravierenden Ungerechtigkeiten.“  Mit einem Satz stellt Ralf Krämer damit eine Grundposition der LINKEN in Frage, nämlich das es eines soziokulturelles Existenzminimum für alle Menschen bedarf. Ein soziokulturelles Existenzminimum welches nicht nur zum Überleben (Essen, Trinken, Schlafen) sondern auch zum Leben und damit der Teilhabe am kulturellen, gesellschaftlichen Leben ermöglicht.  Denn wenn es „keine von der persönliche Bedarfslage unabhängige pauschale Einkommenshöhe, die individuelle Armut verhindert“ gibt, dann kann ja ruhig die Verwaltung oder der Staat festlegen, was jeder persönlichen Bedarfslage“  angemessen ist um individuelle Armut zu verhindern. Dann bekommt halt der/die in der Großstadt mehr Geld als der/die auf dem Dorf, Asylsuchende und Geflüchtete weniger als Menschen mit Deutscher Staatsbürgerschaft und am besten alle gleich Warengutscheine.

Nein. Soziokulturelles Existenzminimum meint eben gerade, dass es einen Betrag gibt, der „unabhängig von der persönlichen Bedarfslage“ jeder und jedem  zusteht, weil es das Minimum dessen ist, was zur Teilhabe an der Gesellschaft benötigt wird.

Doch Ralf Krämer argumentiert weiter:1050 Euro sind sicherlich nicht viel Geld zum Leben, aber dennoch müssen solche Forderungen vor dem Hintergrund der sozialen Realitäten und Einkommensverhältnisse von Millionen Beschäftigten betrachtet werden. Eine solche Forderung erscheint den allermeisten Menschen als überzogen und ungerecht gegenüber denjenigen, die bei oft ebenfalls niedrigen Einkommen erwerbsarbeiten und Steuern zahlen müssen.“  Eine astreine neoliberale Argumentation! Die sozialen Realitäten sind eben nicht nur niedrige Einkommen (deshalb im übrigen die Forderung zum Mindestlohn), sondern die Realitäten sind eben auch Einkommen in Millionen und Milliardenhöhe und gerade eine immer wieder kritisierte ungerechte Steuerpolitik. Doch statt dies zu thematisieren werden hier Erwerbstätige gegen Erwerbslose ausgespielt. Solidarität sieht anders aus.

Und zum Schluss schreibt Ralf Krämer: „Jedem einigermaßen realistisch denkenden Menschen ist klar, dass eine Mindestsicherung in dieser Höhe nicht kommen wird.“ Wenn das so ist, dann kann ich Ralf Krämer nur zurufen: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.“

9 Replies to “Mindestsicherung im Wahlprogramm und ein Debattenbeitrag dazu”

  1. DIE LINKE fordert im Grundsatzprogramm eine bedarfsdeckende sanktionsfreie Mindestsicherung. Es ist bei SozialpolitikerInnen weitgehend Konsens, dass Pauschalierungen, und 1050 Euro ist eine Pauschalierung, im Zweifel nicht bedarfsgerecht sind, sondern zu Ungerechtigkeiten führen, zu (gemessen am Ziel der Armutsvermeidung) Überversorgungen bei den einen und Unterversorgungen bei anderen. Was an Pauschalierung aus praktischen Gründen dennoch Sinn macht ist ein Regelsatz für den Lebensunterhalt, den wir, da bin ich völlig einverstanden, auf mindestens 500 Euro (von 382) erhöhen wollen, perspektivisch noch weiter. Es ist aber insbesondere völlig unangemessen, von den sehr unterschiedlichen Wohnkosten abzusehen.

    Wer in einer teuren und schlecht isolierten Mietwohnung lebt und zudem gesundheitliche Einschränkungen hat, kann auch mit über 1050 Euro arm sein. Wer gesund in einer abbezahlten Eigentumswohnung lebt, ist ggf. auch mit 800 Euro nicht arm und hat mehr frei verfügbares Einkommen und eine deutlich bessere Wohnsituation als eine zu teurer Miete wohnende Beschäftigte, die z.B. 1900 Euro brutto verdient und davon weniger als 1300 Euro netto übrig hat. Diesem Wohnungseigentümer 1050 Euro zu zahlen hätte mit Armutsbekämpfung nichts mehr zu tun. Dass diese Beschäftigte mit den Steuern von ihrem kärglichen Lohn dem Wohnungseigentümer einen Lebensstandard finanzieren soll, der weitaus höher als ihr eigener wäre, würde Widerstand geradezu provozieren und wäre ein gefundenes Fressen für gegen DIE LINKE gerichtete Kampagnen von BILD und Co.

    Eine Forderung nach 1050 Euro netto ist keineswegs die beste zum Zecke der Armutsbekämpfung, weil der politische Druck und Zustimmung mit einer Forderung, die zielgenauer und gerechter wäre, viel stärker wäre. Diese Forderung bzw. ihre Umsetzung (die allerdings nicht kommen wird) wäre v..a. im Interesse von Gruppen, deren Bedarf eigentlich niedriger wäre, weil sie billig wohnen oder gar Wohneigentum haben, und keine Sonderbedarfe. Um wen es geht zeigen auch die
    weit zu hoch angesetzten Freibeträge für Vermögen im Rentenkonzept der Fraktion. Wenn eine abbezahlte Wohnung von 130 qm, die man mit einem Wert von durchschnittlich mindestens 100.000 Euro ansetzen kann, und zusätzlich ein Geldvermögen von 68.750 Euro freigestellt werden soll von Anrechnung, dann hat das mit Armutsbekämpfung nichts mehr zu tun. Sondern es handelt sich dann um die Subventionierung von Personen (und indirekt ihren Erben), die vermögensmäßig weit im Bereich des reichsten Fünftels der Bevölkerung liegen. Und zwar aus Steuermitteln, die zu einem wesentlichen Teil von Menschen aufgebracht werden, die nicht annähernd über solche Vermögen und Wohnbedingungen verfügen. Das hat m.E. weder mit links noch mit „100% sozial“ irgend etwas zu tun, sondern ist Opportunismus gegenüber einer bestimmten Lobby, die in der Fraktion anscheinend starke Truppen hat. Auch bei der Erbschaftsteuer ist die Fraktion merkwürdig großzügig bei der Freistellung von Immobilieneigentum.

  2. die debatte um ein bedingungsloses grundeinkommen ist eine andere debatte.

    hier geht es eher darum, dass ich den beitrag so lese, dass eben eine pauschale untergrenze ausgeschlossen wird, weil diese ja „von der persönlichen Bedarfslage“ abhängig sei. so nebenbei, die pfändungsfreigrenze liegt bei um die 1.000 euro.

    zusätzlich ärgerlich, aus meiner sicht inakzeptabel, ist aber der verweis darauf, dass dies den erwerbstätigen nicht zuzumuten sei. wir reden immer wieder von ungeheurem reichtum in der gesellschaft (einkommen und vermögen), ungerechter steuerpolitik und fordern einen gesetzlichen flächendeckenden mindestlohn. warum müssen wir nun unbedingt erklären, dass dies erwerbstätigen nicht zumuten können und das nicht finanzierbar sei. sorry, wir widersprechen uns damit selbst. solange wir diesen ungeheuren reichtum haben, bin ich nicht bereit, darüber zu reden, dass es keine möglichkeit für eine mindestsicherung von 1050 euro gibt.

  3. natürlich ist das eine diskussion ums BGE durch die hintertür. da hat linksmann schon vollkommen recht. da geben die herrschaften auch keine ruhe obwohl es gerade eben erst innerhalb der pdl gescheitert ist. drogen, bge und hafterleichterungen sind die liebsten themen auch auf der von der partei zur verfügung gestellten pseudodemokratischen alibi-plattform zum wahlprogramm. die betreffenden müssen immer mit dem kopf durch die wand!

  4. Dieser Krämer […]. hier wurde ein teil des kommentars gelöscht, weil der/die kommentator/kommentatorin sich im ton vergriffen hatte halina
    Soll er doch zum rechten Flügel der SPD zurückgehen. Nicht, dass ich die PDS hier verklären möchte, aber das Übel kam doch erst mit diesen rückwärtsgewandten weltfremden rechten Gewerkschaftern.

  5. Gott schütze uns vor Sturm und Wind
    und vor Gewerkschaftsfunktionären, die glauben, daß sie Linke sind!

    Am schärfsten finde ich „erscheint den allermeisten Menschen“ etc.pp. Das ist natürlich DAS Argument schlechthin. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir am besten unsere komplette Programmatik noch mal durchleuchten, mit dem Grundsatzprogramm angefangen. Aber wie findet man eigentlich heraus, was „den allermeisten Menschen“ als überzogen, unzumutbar, radikal usw. erscheint? Indem man sich täglich die „Bild“ kauft? Kai Diekmann als Vorsitzender der Programmkommission, das wäre doch mal was! Dann kommen wir endlich auch zu Positionen in der Asylfrage oder in Geheimdienstangelegenheiten, die „den allermeisten Menschen“ genehm sind. Womöglich könnten wir dadurch sogar Linksman überzeugen, der sich bekanntlich sehr vor Fremdarbeitern fürchtet.

  6. @RALF KRÄMER 5. MÄRZ 2013 UM 22:28

    „DIE LINKE fordert im Grundsatzprogramm eine bedarfsdeckende sanktionsfreie Mindestsicherung.“

    Das ist erstmal gut so.

    „Es ist bei SozialpolitikerInnen weitgehend Konsens …“

    Im Kern geht das auf die alte Sozialhilfe zurück. Der Verweis auf Autoritäten kann allerdings die fehlenden eigenen Argumente nicht ersetzen.

    „Um wen es geht, zeigen auch die weit zu hoch angesetzten Freibeträge für Vermögen im Rentenkonzept der Fraktion.“

    Damit wurde und wird die Ausplünderung und gezielte Verarmung der Menschen mittels der sogenannten Freigrenzen im SGB II begründet. Soll die Partei Die Linke sich so etwas zu eigen machen?

    „Sondern es handelt sich dann um die Subventionierung von Personen …“

    Wird hier unterstellt und verleumdet, oder gibt es dazu auch belastbare Zahlen?

    „Auch bei der Erbschaftsteuer ist die Fraktion merkwürdig großzügig bei der Freistellung von Immobilieneigentum.“

    Sollen die Menschen ihr Eigentum verwerten oder aus ihren Wohnungen vertrieben werden?

    Mir scheint es ohnehin sinnvoller, sich zu überlegen, wie man Bedingungen herstellt, die es den Menschen ermöglichen, Wohlstand zu erwirtschaften und zu sichern.

    Ein Entwurf ist übrigens genau das, ein Entwurf eben. Heinrich von Kleist verfasste dazu den Aufsatz: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, denn „Die Idee kommt beim Sprechen“.

    Und natürlich hat niemand die Weisheit mit Schaumlöffeln gefressen. Wer verstanden werden will, erklärt seine Gedanken in ruhigem und respektvollem Ton. Dann hört man ihm auch zu.

  7. Wohneigentum: Reichtumsindikator oder Grundrecht?

    Ich finde es bedauerlich, dass Ralf Kramer in seinem Artikel das Wohneigentum angreift und die generelle Überlegung, dass es jeder und jedem zustehen sollte, völlig auslässt.

    Die Wohneigentumsquote ist in Europa in den DACH-Ländern (Deutschland – Österrreich – Schweiz) am geringsten. Und das sind doch eigentlich die reichsten Länder – nur: Wem gehört der Reichtum?

    Ich betrachte Wohneigentum als individuelles Grundrecht, denn ich sehe keinen wirklichen Anlass, dass andere an einem Grundbedürfnis profitieren sollen.

    Von den rund 40,5 Mio. Wohnungen in Deutschland werden rund 16,5 Mio. Wohnungen von den Eigentümern selbst genutzt (Mikrozensus Zusatzerhebung 2010 Statistisches Bundesamt). In den neuen Bundesländern isoliert gesehen ist die Quote schlechter.

    Weitere Informationen über die Wohneigentumsquote und den Sozialwohnungsbau in Europa:

    http://www.baulinks.de/webplugin/2012/1631.php4

    In den USA liegt die Wohneigentumsquote bei 2 Dritteln.

    Generell halte ich Freibeträge in Bereichen, die gefördert werden sollen, für begrüßenswert.
    Und ich denke auch daran, dass mit dem (vielleicht abbezahlten) Wohneigentum weitere Kosten in Verbindung stehen, wie Reparaturen, die Energiekosten, Müllgebühren und Steuern.

    Und wenn’s vererbt wird kann das über Steuern, die den Besitz einer zweiten Wohnung besonders belasten, geregelt werden.

    Unsere neue Form des Sozialismus stelle ich mir nicht als Mangelwirtschaft und Armutsverwaltung, die immer mehr Menschen betrifft vor, sondern als gerechtere Verteilung des vorhandenen Reichtums. Das beinhaltet, das nach und nach alle Grundbedürfnisse des Individuums dem Profitstreben entzogen werden und in die Verfügungsgewalt des Einzelnen gehen.

  8. UweR:“Mir scheint es ohnehin sinnvoller, sich zu überlegen, wie man Bedingungen herstellt, die es den Menschen ermöglichen, Wohlstand zu erwirtschaften und zu sichern.“
    – Das möchte ich ganz dick unterstreichen.

    Und wenn wir das konsequent weiterdenken, heißt es doch, dass wir eine neue Vollbeschäftigung bei guten Löhnen brauchen, also das reale Recht auf Arbeit.
    Ich finde es gut, dass dieser Punkt bei Ralf Krämer ganz am Anfang steht, wenn auch nicht so konsequent formuliert.
    Angemessener Mindestlohn, gute Löhne, Recht auf Arbeit – als Einheit.

    Wenn alle die arbeiten können, die Werte selbst erarbeiten, die sie für ein gutes Leben konsumieren wollen und müssen, dann sind die Halinas Zahlen auf jeden Fall realistisch erreichbar, wahrscheinlich geht dann sogar mehr.

    Natürlich müssen wir massiv von oben nach unten umverteilen. Aber es wäre falsch, das so erlangte Geld einfach konsumtiv zu verteilen. Wenn wir es stattdessen in die Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen stecken, vervielfacht sich der verteilbare Wert.
    Ganz abgesehen von den weiteren sozialen Effekten einer guten Vollbeschäftigung.
    Dazu müssen wir Konzepte machen, statt dieses Streits zwischen Ralf, Halina und gar noch Ronald.

    Arbeitszeitverkürzung ist NICHT der Königsweg zu Vollbeschäftigung. Die Gesellschaft hat so viele unerledigte Aufgaben – die Welt ist voller Arbeit.
    Sie muss aber vernünftig organisiert und bezahlt werden.
    Konkurrenz und Profitstreben werden dabei eine Rolle spielen müssen als Mittel zum Zweck, aber sie müssen in die Schranken gewiesen werden.

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