Auf der Suche nach validen Zahlen – Mietendeckel und Genossenschaften

In meinem Blog habe ich mich bereits mit der juristischen Debatte um den Mietendeckel und auch mit der politischen Debatte beschäftigt. Im Beitrag zur politischen Debatte formulierte ich unter anderem:

„Bei der Durchsicht der zur Verfügung stehenden Geschäftsberichte fällt auf, dass bis auf Reinickes Hof alle Wohnungsbaugenossenschaften einen Überschuss von mehr als 1 Mio. € zu verzeichnen hatten. Möglicherweise haben Wohnungsbaugenossenschaften durch den Mietendeckel für die 5 Jahre seiner Dauer weniger große Überschüsse, dass sie den Mietendeckel nicht stemmen können, sehe ich nicht. Wenn es diesbezüglich ein valides Argument gibt, setze ich mich gern mit diesem auseinander.“

Nun las ich, dass die Genossenschaften wegen des Mietendeckels weniger bauen wollen. Sie wollen, so der Bericht, statt 6.000 Wohnungen nur noch 2.000 Wohnungen bauen und begründen dies damit, dass sie wegen des Mietendeckels mit „Mindereinnahmen von über 180 Millionen Euro“ rechnen.

Weil ich ein Interesse an validen Fakten habe, habe ich zunächst Fragen. Vielleicht mag ja die eine oder andere Genossenschaft diese Fragen beantworten.

1. In welchem Umfang liegen bei Inkrafttreten des MietenWoG Nutzungsentgelte/Mieten bei den jeweiligen Wohnungsbaugenossenschaften oberhalb der Werte der Mietentabelle (unter Berücksichtigung aller Optionen zur Erhöhung der Werte)?

2. In welchem Umfang werden durch das Einfrieren von Mieten/Nutzungsentgelten diese bei den jeweiligen Wohnungsbaugenossenschaften die Werte der Mietentabelle unter Berücksichtigung aller Optionen zur Erhöhung und des Inflationsausgleichs überschreiten?

3.  In welchem Umfang rechnen die Wohnungsbaugesellschaften bei Inkrafttreten des MietenWoG mit Absenkungsbegehren?

4. In welchem Umfang müssten Mieten/Nutzungsentgelte bei den jeweiligen Genossenschaften steigen um die Neubauvorhaben zu stemmen?

5. In welchem Umfang profitieren Genossenschaften von den Ausnahmen nach § 1 MietenWoG, weil sie preisgebundenen Wohnraum anbieten?

Ich habe natürlich auch versucht mich selbst schlau zu machen und erneut die Geschäftsberichte der hier aufgeführten Genossenschaften durchwühlt. Ich habe -siehe gleich- zwar einiges an Daten zu den Miethöhen/Nutzungsgebühren gefunden, aber es ergibt sich für mich kein schlüssiges Gesamtbild. Das hat vor allem damit zu tun, -kein Vorwurf, lediglich eine Beschreibung- dass in den Geschäftsberichten, wenn überhaupt, im Regelfall Durchschnittsmieten angegeben werden. Und Durchschnittsmieten sind eben Durchschnittsmieten; aus den Angaben zu Durchschnittsmieten lassen sich keine Antworten auf meine Fragen finden. Für eine qualifizierte öffentliche Debatte wäre aus meiner Sicht aber ein Gesamtbild sinnvoll.

Was habe ich bisher herausgefunden:

  • Die GeWoSüd hatte einen Beschluss, die Nutzungsgebühr zwischen 2016 und 2019 um maximal 10% anzuheben und eine freiwillige Kappungsgrenze von 50 Cent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete festgelegt. Im Jahr 2018 machten die Anpassungen an die ortsübliche  Vergleichsmiete 189.300 € aus (S. 14). Hypothetisch würde diese Zahl hochgerechnet auf 5 Jahre einen „Ausfall“ an Einnahmeerhöhungen von 1 Mio. € ergeben, der Überschuss im Jahr 2018 betrug knapp 1,4 Mio. €. Die GeWoSüd nimmt ein Nutzungsentgelt/Miete für Neubau bis 2000 von 7,36 €/qm und ab 2001 von 8,45 €/qm. Die Durchschnittsnettokaltmiete sollte von 6,10 €/qm im Jahr 2019 auf 6,81 €/qm im Jahr 2023 (S. 22) steigen, was knapp 12% wären.
  • Bei der Märkischen Scholle wird als Durchschnittsmiete für das Geschäftsjahr 2017/2018 ein Betrag von  5,80 €/qm angebeben (S. 20). Für einen Altbau bis 1949 wird ein Nutzungsentgelt von 6,07 €/qm genommen, was bei Vorhandensein von Sammelheizung und Bad unterhalb der Mietentabellenwerte liegt. Das Nutzungsentgelt für Wohnungen ab 1950 liegt mit 5,44 €/qm unterhalb der Werte der Mietentabelle (S. 26). Die Nutzungsgebühr ist im Vergleich zum Vorjahr um 152,2 Tsd. € gestiegen. Nach genossenschaftlichen Richtlinien können die Nutzungsentgelte im Bestand binnen 24 Monaten maximal um 5% erhöht werden.
  • Aus dem Geschäftsbericht der Baugenossenschaft Ideal lässt sich ablesen, dass das Nettokaltmietensoll bei 5,63 €/qm liegt (S. 10). Eine weitere Aufschlüsselung wird nicht vorgenommen.
  • Die Baugenossenschaft „Reinickes Hof“ hat nach eigenen Angaben im Altbau Grundmieten von durchschnittlich 5,40 €/qm und bei Neubauten bei ca. 7,93 €/qm (S. 6). Die Angaben sind aber aus meiner Sicht zu unspezifisch um hier Aussagen im Hinblick auf das Über- und Unterschreiten der Werte der Mietentabelle zu treffen, zumal an anderer Stelle lediglich erfahrbar ist, dass es sich um Wohnungsbau von vor 1939 und aus den 6oer und 7oer Jahren handelt. Vorgesehen sind Mietsteigerungen von 1,2% pro Geschäftsjahr (S. 12).
  • Aus dem Geschäftsbericht der bbg Berliner Baugenossenschaft ergibt sich, dass es ein Mietenanpassungskonzept gibt, nach dem maximal 10% Erhöhung in vier Jahren mit einer maximalen Erhöhung von 25 €/Monat möglich sind. Die durchschnittliche Miete beträgt 6,43 €/qm (S.10). Durch Neuvermietung sollten jährliche Mietertragssteigerungen von 120 T€ erzielt werden, im Bestand waren keine Mieterhöhungen vorgesehen (S. 53).
  • Beim Beamten-Wohnungs-Verein zu Köpenick beträgt die Durchschnittsmiete 5,42 €/qm (S. 2).
  • Bei der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft 1892 gab es Erhöhungen der Nutzungsgebühren bei Neuvermietung und im Bestand, bei letzterem nach den Regelungen des § 558 BGB in einem Umfang von 5% in drei Jahren (S. 10). Weiter Angaben habe ich nicht gefunden.
  • Bei der Charlottenburger Baugenossenschaft  erhöhten sich die Nutzungsgebühren im Geschäftsjahr 2018 von durchschnittlich 5,28 €/qm auf 5,32 €/qm (S. 20).
  • Die Erste Wohnungsgenossenschaft Pankow hat eine durschnittliche Miete von 5,60 €/qm und liegt damit, soweit Sammelheizung und Bad vorhanden ist, unterhalb der Mietentabelle. Bei Wiedervermietung lag die Durchschnittsmiete bei 6,60 €/qm. Im Geschäftsjahr 2019 ist mit eienr durchschnittlichen Nettokaltmiete von 5,70 €/qm gerechnet worden (S. 21). Die Nettomieterträge sollten von 2019 mit insgesamt 14,5 Mio € bis einschließlich 2024 auf 14,6 Mio € steigen (S. 21).
  • Die EVM Berlin eG hat eine durchschnittliche Nettonutzungsgebühr im Jahr 2017/2018 von 5,27 €/qm (S. 11) erhoben. Die Nettokaltmiete sollte bis 2021/2022 auf durchschnittlich 5,49 €/qm steigen (S. 32).
  • Die WBG Köpenick Nord wiederum hatte im Geschäftsjahr durchschnittliche Nutzungsentgelte von 5,31 €/qm, mithin liegt dieser Wert, soweit Sammelheizung und Bad vorhanden sind, unter den Werten der Mietentabelle  (S. 8). Dies um so mehr, als 80% der Wohnungen in den 1960er Jahren erbaut wurde (S. 14) und der niedrigste Tabellenwert für diese Baualtersklasse im MietenWoG bei 5,62 €/qm liegt.
  • Bei der Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg gibt es einen Gewinn aus Vermietung: 6.416 T€ (S. 17), im Jahr 2018 wurde weitgehend auf Mieterhöhungen verzichtet (S. 20).
  • Die Wohnungsbaugenossenschaft Treptow-Nord macht in ihrem Geschäftsbericht viele Angaben zum Vermietungsstand und weist darauf hin, dass sich die Durchschnittsmiete von 5,37 €/qm auf 5,48 €/qm erhöht hat (S. 16). Zumindest für Wohnungen ab Baujahr 1950 liegt die Durchschnittsmiete damit unterhalb der Tabellenwerte des MietenWoG.
  • Bei der  Wohnungsbaugenossenschaft Vorwärts  sind die Mieteinnahmen von 2017 auf 2018 um 205,3 T€ gestiegen  und betrug die durschnittliche Nettokaltmiete 5,57 €/qm (S. 6).
  • Bei der Berolina Wohnungsbaugenossenschaft stiegen die Nutzungsgebühren von 17.172.170 € im Jahr 2017 auf 17.32.060 € im Jahr 2018 (S. 12).

Selbstverständlich habe ich auch die Mitgliederinfo gelesen, aber auch diese hilft mir nur bedingt weiter. Das ist auch kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Die Mitgliederinfo ist nämlich vom September 2019, bezieht sich also auf den Referentenentwurf und nicht auf den vom Senat beschlossenen Gesetzentwurf. Die Mitgliederinfo geht im Übrigen von Einnahmeverlusten von 150 Millionen Euro aus und in ihm wehren sich die Genossenschaften dagegen, ggf. auf die Härtefallregelung zurückzugreifen. Ich kann das sogar verstehen, denn „Härtefall“ klingt abwertend. Aber die Härtefallregelung ist genau dafür da, dass die aus gesetzessystematischen Gründen (es kann gesetzessystematisch eben nicht in „gute“ und „schlechte“ Vermieter*innen unterteilt werden. Das wäre sonst nicht rechtssicher, weil es nicht daruaf ankommt, wer vermietet, sondern zu welchem Preis.) nicht herausnehmbaren „guten“ Vermieter*innen eben nicht in eine Situation kommen, die dazu führt, dass es auf „Dauer zu Verlusten für die Vermieterinnen und Vermieter oder zur Substanzgefährdung der Mietsache“ kommt.

Im FAQ der Genossenschaften auf der speziellen Mietendeckelseite wird darauf verwiesen, dass ohne „auskömmliche Ertragssteigerungen“ kein Neubau möglich sei. Ich habe leider keine Angaben dazu gefunden, in welchem Umfang Ertragssteigerungen notwendig sind um den Neubau zu stemmen.

Kurz und gut: Ich würde mich freuen, wenn valide Fakten vorliegen würden, die im Detail nachprüfbar sind. Dann kann ggf. auch geschaut werden, welche Stellschrauben noch drehbar sind. Und ganz am Ende: Was hat eigentlich die Kampagne gegen den Mietendeckel gekostet?

2 Replies to “Auf der Suche nach validen Zahlen – Mietendeckel und Genossenschaften”

  1. Hallo,
    ich bin Mitglied der Initiative „Genossenschaft v. Unten“.
    Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit der Frage des Mietendeckels.
    Die GdW als Dachverband der Immobilienwirtschaft hat ca. 1,6 Mio. EUR eingesammelt. Wir haben dazu Material. Bitte um direkten Kontakt.
    Viele Grüße

  2. Pingback: Ein Selbstexperiment – Blog von Halina Wawzyniak

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