Eine Kontrolle die geheim bleibt

In der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die strategische Auslandstelekommunikationsüberwachung des BND entschieden. Eine Betrachtung, die allein bei den Leitsätzen stehen bleibt, könnte dieses Urteil als Erfolg werten. Wer sich jedoch die Mühe macht und in die Details geht, könnte zu der Einschätzung gelangen, das Ausspähen ziemlich okay ist und die Kontrolle als Placebo stattfindet, im Kern also das eine Placebo (Parlamentarisches Kontrollgremium und G10-Kommission) durch ein neues Placebo ersetzt wird.

Doch der Reihe nach. Am Anfang stehen ein paar interessante Aussagen des BVerfG, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollten:

  • „Die Grundrechte des Grundgesetzes binden den Bundesnachrichtendienst und den seine Befugnisse regelnden Gesetzgeber unabhängig davon, ob der Dienst im Inland oder im Ausland tätig ist. Der Schutz der Art. 10 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gilt auch gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung von Ausländern im Ausland.“ (Rdn. 87)
  • Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG berechtigt den Bundesgesetzgeber nicht dazu, Befugnisse einzuräumen, die auf die Verhütung, Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten als solche gerichtet sind (…).“ (Rdn. 127)
  • Auch könnte die Zuständigkeit des Bundesnachrichtendienstes etwa nicht generell auf die Aufklärung von Auslandsstraftaten nach § 6 StGB erstreckt werden.“ (Rdn. 128)

Soweit so gut. Bei den  Ausführungen zur materiellen Verfassungsmäßigkeit, also dem Kern des Urteils, geht es auch erst mal nicht ganz schlecht weiter (Rdn. 139):

„Aus der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Auslandsaufklärung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass über den Bundesnachrichtendienst überhaupt möglichst wenig bekannt werden dürfte und auch seine Rechtsgrundlagen möglichst weitgehend im Dunkeln bleiben müssten. Für die Handlungsgrundlagen und Grenzen der nachrichtendienstlichen Befugnisse kann es im demokratischen Rechtsstaat eine prinzipielle Geheimhaltung nicht geben.“ 

Und dann beginnen meine Probleme. Das BVerfG sagt nämlich wenig später (Rdn. 142), dass strategische Telekommunikationsüberwachung durch einen Geheimdienst im Kern okay ist, es müssen nur ein paar Bedingungen erfüllt sein:

Die Befugnis zur Datenerhebung und Datenverarbeitung in Form der strategischen Telekommunikationsüberwachung ist als besonderes Instrument der Auslandsaufklärung mit Art. 10 Abs. 1 GG im Grundsatz vereinbar (…). Es bedarf hierfür jedoch einer hinreichend begrenzenden Ausgestaltung (…).

Infolgedessen wird dann in einer einzigen Randnummer (144) knapp abgehandelt, dass die strategische Telekommunikation geeignet, erforderlich und angemessen sei. Das ist bemerkenswert, weil genau daran aus meiner Sicht begründete Zweifel bestehen und zumindest eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diese Annahme nötig gewesen wären. Tiefergehende Ausführungen gibt es zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. So kommt aus meiner Sicht ziemlich mutig das BVerfG zu der Aussage (Rdn. 148), dass im „Verhältnis zur Überwachung individueller Telekommunikation (…) die strategische Überwachung allerdings insoweit ein geringeres Eingriffsgewicht auf(weist), als sie sich auf Datenströme bezieht, deren Ergiebigkeit im Einzelnen nicht vorhersehbar ist„. Es mag ja an mir liegen, aber die Erfassung von im Einzelnen nicht vorhersehbaren Datenströmen als geringeren Eingriff als die Erfassung von individualisierten Daten zu werten erscheint mir nicht ganz logisch. Und irgendwie scheint dies auch das BVerfG zu sehen (Rdn. 150 ff.). Wer den Sinn und Zweck von Geheimdiensten verstehen will und damit auch das Problem ihrer Existenz, der wird in Randnummer 158 fündig. Dort sagt das BVerfG, dass es beim vom BND zu erfüllenden Aufgabenprofil der Bundesregierung „es nicht primär um gezielte Ermittlungen hinsichtlich bereits feststehender Vorgänge und damit nicht um die Aufklärung schon klar umrissener Sachverhalte (geht), sondern vor allem um das Aufspüren und Identifizieren von relevanten Informationen bezüglich nur abstrakt bestimmbarer Erkenntnisinteressen. Die Aufgabe der Auslandsaufklärung liegt insoweit darin, zunächst eine umfangreiche Informationsbasis zu schaffen, um Entwicklungen breitflächig zu beobachten, die Informationen dann zu bewerten, auf ihre Relevanz zu prüfen und sie schließlich in kondensierter Form der Bundesregierung sowie gegebenenfalls weiteren Adressaten zur Verfügung zu stellen.“ Es geht mithin um Stochern im Nebel, in der Hoffnung das irgendwas Relevantes dabei herauskommt. Glaubt der/die Leserin dem BVerfG, dann ist die Außenpolitik zwingend vom BND abhängig. So heißt es in Randnummer 162: „Entsprechend der kompetenziellen Rückbindung (…) zielt die Auslandsaufklärung immer auf Informationen, die Bedeutung für die Stellung und Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Staatengemeinschaft entfalten und damit gerade in diesem Sinne von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht.“ Halleluja. Zur Rechtfertigung der grundsätzlichen Rechtfertigung der Fernmeldeaufklärung wird dann das Trennungsgebot angeführt – ohne es als solches zu benennen. In Radnummer 165 nämlich, wird darauf verwiesen, dass die strategische Auslandstelekommunikationsüberwachung „durch eine Behörde vorgenommen werde, die selbst grundsätzlich keine operativen Befugnisse hat“. Doch Moment mal, was heißt „grundsätzlich“. Grundsätzlich heißt es gibt Ausnahmen. Welche Ausnahmen zu operativen Befugnissen des BND kennt das BVerfG?

Nach dieser Herleitung der grundsätzlichen Zulässigkeit der strategischen Telekommunikationsüberwachung kommt das BVerfG zu deren Bedingungen.

  • Begrenzung auf eine Behörde, welche selbst grundsätzlich keine operativen Befugnisse zur Gefahrenabwehr hat (Rdn. 166)
  • Ausgestaltung der strategische Telekommunikationsüberwachung als hinreichend fokussiertes Instrument (Rdn. 167)
  • Vorgabe einschränkende Maßgaben zum Volumen der für die jeweiligen Übertragungswege auszuleitenden Daten durch den Gesetzgeber und Sicherstellung, dass das von der Überwachung abgedeckte geographische Gebiet begrenzt bleibt (Rdn. 168)
  • Schaffung rechtsstaatlicher Einhegungen durch den Gesetzgeber, die die Datenerhebung und -verarbeitung näher strukturieren und zum Teil auch begrenzen soll z.B. durch Filtertechniken, Überwachungszwecke, Überwachungsverfahren Transparenz, individueller Rechtsschutz und unabhängige objektivrechtliche Kontrolle (Rdn. 169)

Genau dieser unabhängigen objektivrechtlichen Kontrolle will ich mich nachfolgend widmen. Das BVerfG sagt zunächst (Rdn. 265), dass Transparenz und individuellen Rechtsschutz  erheblich zurückgenommen sind und dafür zum Ausgleich besondere Anforderungen an eine unabhängige objektivrechtliche Kontrolle zu stellen sind. Sind also Geheimdienste doch kontrollierbar? Das BVerfG formuliert, zunächst das Auskunfts- und Benachrichtigungsansprüche beschränkbar sind (Rdn. 266 f.), es kann von ihnen sogar grundsätzlich abgesehen werden (Rdn. 269). Vor diesem Hintergrund kommt der unabhängigen objektivrechtlichen Kontrolle besondere Bedeutung zu. Das „mit der Nachprüfung betraute Kontrollorgan“ muss vom Parlament geschaffen sein und seine Mitglieder müssen  parlamentarisch – und damit unter Berücksichtigung der verschiedenen im Parlament vertretenen politischen Richtungen – bestimmt werden (Rdn. 271). Soweit ist das nicht neu. Auch nicht neu ist, dass das Kontrollorgan innerhalb oder außerhalb des Parlaments gebildet werden kann. Neu sind die konkreten Anforderungen an die Kontrolle. Das BVerfG legt dazu fest (Rdn. 272):

„Die strategische Telekommunikationsüberwachung ist danach mit den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nur vereinbar, wenn sie durch eine ausgebaute unabhängige objektivrechtliche Kontrolle flankiert ist. (…) Die Kontrolle ist als kontinuierliche Rechtskontrolle auszugestalten, die einen umfassenden Kontrollzugriff ermöglicht. Sie ist auf die Wahrung der Grundrechte der Betroffenen auszurichten und gilt der Sicherung und praktischen Effektivierung der rechtlichen Grenzen der staatlichen Überwachungstätigkeit.“ 

Mit dieser Kontrolle soll das „Rechtsschutzdefizit“ ausgeglichen und zum anderen „hat sie als Ausgleich für die im Wesentlichen nur finale Anleitung der Überwachungsbefugnisse die gebotene verfahrensmäßige Strukturierung der Handhabung dieser Befugnisse abzusichern“ (Rdn. 273).  Um dies zu gewährleisten muss es nach Ansicht des BVerfG zwei Arten von Kontrolle geben: eine gerichtsähnlich ausgestaltete Stelle und eine unabhängige Rechtskontrolle administrativen Charakters. Hinsichtlich der gerichtsähnlichen Stelle sagt das BVerfG (Rdn. 275):

 „Hierfür sind Spruchkörper vorzusehen, die mit Personen in gleichsam richterlicher Unabhängigkeit besetzt sind und in formalisierten Verfahren schriftlich und abschließend mit Wirkung für Bundesregierung und Nachrichtendienst entscheiden. Diese Kontrolle hat die Schutzaufgabe zu erfüllen, die sonst dem Richtervorbehalt sowie auch nachträglichen Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere Feststellungsklagen, zukommt. Entsprechend muss mit ihr eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung ermöglicht werden, die materiell und verfahrensmäßig einer gerichtlichen Kontrolle gleichwertig, insbesondere mindestens ebenso wirkungsvoll ist“.

Klingt zunächst gut. Ähnlich wie die Ausführungen zur unabhängigen Rechtskontrolle administrativen Charakters. Hierzu gibt das BVerfG (Rdn. 276) vor:

Insoweit muss eine Kontrollinstanz geschaffen werden, der es möglich ist, eigeninitiativ stichprobenmäßig den gesamten Prozess der strategischen Überwachung auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen – sowohl Einzelentscheidungen und Verfahrensabläufe als auch die Gestaltung der Datenverarbeitung und der Filterprozesse sowie der hierfür verwendeten technischen Hilfsmittel. Dieser Kontrollinstanz muss keine abschließende Entscheidungsbefugnis zukommen, vielmehr reicht insoweit ein Beanstandungsrecht. Zur Klärung grundlegender Rechtsfragen muss sie jedoch die Möglichkeit haben, das gerichtsähnliche Entscheidungsgremium anzurufen (…).“

Doch wie so häufig im Leben, was zunächst als Revolution daherkommt und den Eindruck erweckt, die Geheimdienste könnten wirklich kontrolliert werden, ist am Ende doch nur ein Placebo. Der Gesetzgeber darf beispielsweise entscheiden (Rdn. 278), ob die Kontrolle „ex ante oder ex post und im letzteren Fall – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit der administrativen Kontrollinstanz – nur stichprobenmäßig stattfindet„.  Es ist zu begrüßen und ein Fortschritt, dass nunmehr festgeschrieben wird (Rdn. 287), dass die „fachlich kompetente, professionalisierte Kontrolle durch grundsätzlich hauptamtlich tätige Personen sicherzustellen ist„. Gleiches gilt für die Kompetenzen, wenn es (Rdn. 290) heißt:

„Beiden Kontrollinstanzen ist umfassend Zugang zu allen Unterlagen einzuräumen. Dabei ist der Bundesnachrichtendienst dazu zu verpflichten, die Kontrollinstanzen bei ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen, ihnen Auskünfte zu erteilen und Einsicht in Unterlagen und Daten, Aufschluss über verwendete Programme sowie jederzeitigen Zutritt zu Diensträumen zu gewähren (…). Dabei sind den Kontrollinstanzen die Festlegung ihres Verfahrens und die Wahl ihrer Methoden selbst zu überantworten, soweit diese nicht gesetzlich festgelegt sind.

Doch das alles -und das ist der Kernpunkt der Kritik- bleibt geheim. Mithin wird es keine demokratische Kontrolle geben (können). Das BVerfG sagt dazu (Rdn. 296):

Die Kontrolle kann grundsätzlich durch strenge Regeln zur Geheimhaltung flankiert werden. Neben der räumlichen wie technischen Ausstattung kann hierauf auch bei der Auswahl der Personen maßgebliches Gewicht gelegt werden. Insbesondere kann die Geheimhaltung durch strikte, mit wirksamen Sanktionen bewehrte Verschwiegenheitspflichten abgesichert werden.

Praktisch sieht das dann wohl so aus, dass die beiden neuen Kontrollgremien Verstöße gegen Recht und Gesetz feststellen und niemand erfährt davon. Nicht einmal das Parlament. Gibt`s nicht? Gibt`s doch. Das BVerfG ist insoweit klar (Rdn. 298):

Der Informationsfluss in den parlamentarischen Raum und damit auch zum Parlamentarischen Kontrollgremium kann indes aus Geheimhaltungsgründen grundsätzlich begrenzt werden.

Zugespitzt könnte formuliert werden, die parlamentarische Kontrolle wird sogar weniger. Wenn nicht einmal das Parlamentarische Kontrollgremium Verstöße erfährt, dann ist das Parlament komplett raus. Anders formuliert: Ein Placebo wird durch ein anderes Placebo ersetzt, aber das neue klingt besser.

Die Lösung des Problems liegt meines Erachtens in einem G10-Aufhebungsgesetz, denn: „Durch die Abschaffung des G 10 und weiterer Gesetze, die den Nachrichtendiensten des Bundes die Befugnis zu Beschränkungen des in Artikel 10 GG garantieren Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zugestehen, entstehen keine Schutzlücken für die Sicherheit des Bundes oder der Länder. Die Nachrichtendienste würden nicht mehr Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr (mit)übernehmen. Die Abschaffung des G 10 stellt den Rechtsstaat wieder vom Kopf auf die Füße. Ein grundlegendes Prinzip des Rechtstaates besteht darin, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen ausgenommen zu sein, soweit keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegen. Die Frage der tatsächlich nicht zu realisierenden Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben des G 10 durch die Nachrichtendienste würde sich bei einer Abschaffung des G 10 nicht stellen.“

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