Debatte um soziale Demokratie statt Präsidenten/innensuche

Der Rücktritt des Grüßonkels Bundespräsidenten hat das Land in Unruhe versetzt. Es gibt eine verzweifelte Suche nach neuen Präsidenten/innenkandidaten/innen und Absagen von diesem und jenen.

Statt Spekulationen um den/die neuen Bundespräsident/in stünde aber eigentlich eine Debatte um den Zustand der Demokratie in diesem Lande an. Und das meint mehr, als eine Debatte darüber was von einem/einer Bundespräsident/in erwartet werden kann, welche Anforderungen an ihn/sie zu stellen sind und ob wir dieses Amt überhaupt noch benötigen. Eine Debatte um Demokratie würde beispielsweise eine Debatte um den Ausschluss ganzer Bevölkerungsteile aus demokratischer Mitbestimmung beinhalten müssen und eine um die Käuflichkeit von Parteien durch Wirtschaftsunternehmen.

Das ist schade, denn im Hinblick auf die Demokratiedebatte gab es in der vergangenen Woche mit der leider nur vorgelesenen statt in gewohnter Qualität vorgetragenen Kieler Rede von Gregor Gysi einen Aufschlag, der eine interessante Auseinandersetzung verspricht – gesellschaftlich und innerparteilich. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Rede zur Kenntnis genommen wird. Der zurückgetretene Bundespräsident scheint dies gerade erfolgreich zu verhindern :-(.

Der Text versucht die soziale Demokratie zu erläutern und mindestens beim Verfassungsschutz müssten ob solcher umstürzlerischer Thesen sicherlich alle Alarmglocken schellen ;-). Im Text heißt es: „Der Begriff `Soziale Demokratie` reflektiert, dass es zwischen der kapitalistischen Grundlage, auf der die modernen Demokratien entstanden sind, und den normativen Legitimationsannahmen demokratischer Herrschaft einen latenten Widerspruch gibt, der zuweilen auch grell hervortritt.“ Das sitzt erst mal. Das muss erst mal durchdacht werden. Und wenn man es nicht abwegig findet, findet man auch den Versuch, diese These zu untersetzen. Die Untersetzung erfolgt durch vier Thesen, von denen mindestens auch drei irgendwie einleuchtend sind. Lediglich These 3 wirft zumindest bei mir Nachfragen auf. Dort heißt es: „Zugang zu Medien: Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird etwas mehr wert, wenn man auch gehört wird, wenn es eine mediale Wahrnehmbarkeit gibt. Hier sind diejenigen mit geringen Einkommen und ohne Vermögen ebenfalls deutlich im Nachteil.“ Der Satz 1 ist wohl nicht in Zweifel zu ziehen und auch Satz 2 dürfte empirisch richtig sein. Doch warum ist dann Schluss mit These 3. Jetzt wird es doch eigentlich erst richtig spannend. Warum und weshalb ist das so? Liegt es im Bereich der klassischen Medien an der Konzentration des Medienbereiches in den Händen weniger? Was bedeutet das für die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten? Liegt es an den einzelnen Journalisten/innen? Welche Veränderungen können sich diesbezüglich durch das Internet ergeben? An dieser Stelle würde eine weitere Debatte lohnen, auch um zu prüfen ob die abstrakt richtige Aussage: „Wenn deutlich wird, dass das Privateigentum, etwa aufgrund seiner Größe, zu einem Problem für die Freiheit aller wird, dann muss es zum Gegenstand der politischen Behandlung werden.“ hier im Konkreten ein Lösungsansatz wäre und wie dieser aussehen könnte.

Die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus dürfte wiederum innerparteilich so manche/n auf die Palme bringen. Aber da auch der Liberalismus von der Gleichheit aller als Träger gleicher Rechte ausgeht, gehört er insofern zu den fortschrittlichen Traditionen, die eine Linke nicht über Bord wirft. Sie übt allerdings Kritik an der bürgerlichen Zentrierung: Mit freien Personen waren vermögende Eigentümer gemeint, nicht Lohnarbeiter, geschweige denn Frauen oder Sklaven.“ Die Aussage der Liberalismus gehört „insofern“ zu den fortschrittlichen Traditionen, die nicht über Bord geworfen werden dürfen ist sicherlich eine Provokation, allerdings eine die ich Teile. Doch auch der zweite Satz birgt in meinen Augen Zündstoff. Denn die kritik an der bürgerlichen Zentrierung des Liberalismus kann -und muss!- in der heutigen Zeit auf die Zentrierung der Staatsbürgerschaft ausgeweitet werden. Demokratie muss für LINKE immer bedeuten, dass alle hier lebenden Menschen mitentscheiden können, Staatsbürgerschaft hin oder her. Das ein zukünftiger Sozialismus nur ein demokratischer Sozialismus sein kann wird ebenfalls unterstrichen. Der demokratische Rechtsstaat ist eine nicht hintergehbare Form, nur innerhalb einer so verfassten Gesellschaft sind weitergehenden politische und soziale Emanzipationen möglich.“

Wo die Aufgaben des zukünftigen Handelns der LINKEN sind, deutet der Text an: Heute werden die sozialen Kämpfe um den freien Zugang zu diesen Gütern geführt, und da muss die Linke ihren Platz finden. Soziale und kulturelle Teilhabe wird zu einem sehr großen Teil über diese gemeinsamen Güter organsiert.“ Unter diese freien Güter fallen sowohl die kommunalen Einrichtungen als auch kommunaler Infrastruktur, kulturelle Güter wie Musikschule, Bibliotheken und der Wissenserwerb über das Internet. Wenn DIE LINKE diese Herausforderung annimmt, kann sie Bürgerrechtspolitik, Friedenspolitik, Sozialpolitik und Netzpolitik miteinander verbinden. Damit müsste sie dann nicht mehr nach neuen Alleinstellungsmerkmalen suchen, sie hätte sie.

Eine Aussage will ich dann aber am Ende doch noch hervorheben, einfach weil sie in dieser Deutlichkeit so selten ausgesprochen wird: Überhaupt sind Geheimgremien und geheim arbeitende Einrichtungen ein grundsätzliches Problem in einer demokratischen Gesellschaft. Die einzige Sphäre, in der in legitimer Weise Geheimnisse existieren sollten, ist die Privatsphäre.“ Auch dieser Punkt sollte -zu Recht- ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN werden, in Praxis und Theorie.

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