Die Sache ist nicht vom Tisch

Den Ausschluss der Abgeordneten Christel Wegner aus der Fraktion DIE LINKE in Niedersachsen halten wir für konsequent und richtig. Die Position, bei der Errichtung einer anderen Gesellschaftsform sei ein solches „Organ“ mehr oder weniger unverzichtbar, ist für eine moderne demokratische Linke so oder so nicht akzeptabel. Mit der Klarstellung der Spitzen von Partei und Bundestagsfraktion halten wir die Angelegenheit jedoch nicht für erledigt und warnen davor, sie für erledigt zu erklären. Zudem finden wir es aber auch künftig richtig, dass DIE LINKE bei Bundestags- und Landtagskandidaturen nicht nur auf Mitglieder aus den eigenen Reihen, sondern auch auf parteilose Kandidaturen für ihre offenen Listen zurückgreift, wenn diese sich an den programmatischen Grundlagen unserer Partei orientieren.

Die aktuellen innerparteilichen Diskussionen um die Äußerungen von Christel Wegner machen deutlich, dass es in der LINKEN einen programmatischen Diskussions- und Klärungsbedarf gibt. Das zeigt sich nicht nur in manch entschuldigendem Zungenschlag, der das Hauptproblem weniger in dem sieht, was Christel Wegner gesagt hat als vielmehr darin, dass sie „überrumpelt“ und ihre Aussagen manipuliert worden seien. Wir teilen zwar, dass bei der medialen Widerspiegelung dieser Debatte auch der Versuch eine Rolle spielte, eine verbreitete „Kommunistenfurcht“ wahltaktisch gegen DIE LINKE zu mobilisieren. Das ist aber aus demokratisch-sozialistischer Perspektive lediglich ein Randproblem. Für gravierender halten wir, dass das Verständnis von Sozialismus, das sich in ihren Aussagen widerspiegelt, offenbar keinen Hinderungsgrund für eine Kooperation darstellte.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der Bruch mit dem Stalinismus waren konstituierende Merkmale der Quellpartei PDS, die für uns auch in der neu entstandenen Partei DIE LINKE zu den programmatischen Grundlagen zählen. Die Vorstellungen von einem autoritären Staatssozialismus waren jedoch nicht nur Markenzeichen der SED und ihrer östlichen „Bruderparteien“. Sie existier(t)en in unterschiedlichen Spielarten auch im anderen Teil Deutschlands, ebenso wie sie in anderen Teilen der Welt zu finden sind. Der Umstand, dass manche ihrer AnhängerInnen deshalb Opfer staatlicher Repressionen wurden (wogegen wir aktiv kämpfen), befreit aber weder sie noch uns von der Notwendigkeit, die Lehren aus dem Zusammenbruch des Realsozialismus zu ziehen. Wir sehen daher die Geschichtsdebatte der Quellpartei PDS nunmehr endgültig und ein für allemal auch im Westen angekommen. Wir meinen, dass sie unbedingt ein zentraler Gegenstand der vor uns liegenden Programmdebatte sein muss.

Unsere Partei DIE LINKE steht für einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der eine grundlegende Demokratisierung und die Entfaltung des emanzipatorischen Potenzials der Gesellschaft zum Gegenstand hat. Dabei steht nicht ein abstraktes „Großes und Ganzes“ im Mittelpunkt unserer Kämpfe – Anknüpfungspunkt eines solchen Veränderungsprozesses ist der einzelne Mensch und seine Würde, als soziales Individuum und als Citoyen. Wir bestehen darauf, dass soziale Rechte und demokratische Teilhabe aus demokratisch-sozialistischer Perspektive zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Genau wie umgekehrt die von uns bekämpften aktuellen Tendenzen zunehmender Entsozialisierung und Unterwerfung immer weiterer Bereiche der Gesellschaft unter das Primat des Shareholder Value mit der Einschränkung demokratischer Grundrechte, der Abkehr von liberal-demokratischer Rechtsstaatlichkeit dem Trend zu einer präventiven Sicherheitsstaatlichkeit Hand in Hand gehen.

Für uns sind Freiheit und Gleichheit, Demokratie und Sozialismus nicht teilbar oder gegeneinander aufzurechnen. Wir meinen, dass eine plurale LINKE allen Streit über konkrete Wege und Alternativen vor dem Hintergrund einer klaren Übereinstimmung ausmachen muss: Dass jede Art von Sozialismus für uns die Existenz von „Organen“, „Komitees“ und „Diensten“ ausschließt, die über „richtig“ und „falsch“ von Positionen und Sichtweisen entscheiden und daran die Befugnis zu Repression und Unterdrückung knüpfen.

Für uns ist diese Frage zentral, weil sie den Umgang mit den Lehren aus der Geschichte des bürokratischen Parteikommunismus betrifft. Hier geht es nicht vornehmlich um unser Verhältnis zur DKP oder der von ihr mehrheitlich vertretenen Verklärung des Staatssozialismus. Es geht um unsere eigene Geschichte und die zentrale Verbindung von Sozialismus und Demokratie: Das Grundverständnis von Sozialismus – das ist für uns der Kern der Auseinandersetzung. Und die Relativierung dieses Zusammenhangs mit Bezug auf historische Abläufe ist kein Markenzeichen anderer Parteien mit (auch) parteikommunistischen Wurzeln, sondern nach wie vor eine auch in Teilen unserer Partei DIE LINKE vertretene Sichtweise. Die Angelegenheit ist daher keinesfalls vom Tisch. Wir werden daher auf einem Bundesparteitag mit einem Antrag die Debatte einfordern.


Sabine Berninger, MdL, Vorsitzende Stadtverband DIE LINKE.Arnstadt; Mitglied Landesvorstand DIE LINKE. Thüringen

Steffen Bockhahn, Stellv. Landesvorsitzender, DIE LINKE. Mecklenburg-Vorpommern

Katalin Gennburg, Bundessprecherin des Jugendverbandes Linksjugend [’solid]

Dominic Heilig, DIE LINKE. Berlin

Stefan Hartmann, Grundsatzkommission DIE LINKE. Sachsen

Matthias Höhn, MdL, Landesvorsitzender DIE LINKE. Sachsen-Anhalt

Jan Korte, MdB, Parteivorstand

Caren Lay, MdL, Parteivorstand, Parlamentarische Geschäftsführerin

Klaus Lederer, MdA, Landesvorsitzender DIE LINKE. Berlin

Michael Leutert, MdB, DIE LINKE. Sachsen

Kerstin Liebich, DIE LINKE. Berlin

Stefan Liebich, MdA, Stellv. Fraktionsvorsitzender

Falk Neubert, MdL Sachsen, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. Weißeritzkreis

Sebastian Scheel, MdL Sachsen

Halina Wawzyniak, Parteivorstand, Vorsitzende DIE LINKE. Friedrichshain-Kreuzberg

Thomas Westphal, Landesvorstand DIE LINKE. Sachsen

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