Die Sache mit der Musterfeststellungsklage

Im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal fällt aus den Reihen der Großen Koalition immer wieder das Stichwort „Musterfeststellungsklage“. Angeblich würde mit dem von Justizminister Maas vorgelegten und vom Kanzleramt blockierten Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage (MFK) die Möglichkeit für Verbraucher*innen eröffnet, Schadensersatz zu bekommen. Ohne dass jede*r Einzelne dafür vor Gericht ziehen müsste.

Das Absurde an der ganzen Debatte ist jedoch, dass selbst wenn die MFK noch in dieser Woche beschlossen werden würde, die Verbraucher*innen gar nichts davon hätten. Jedenfalls nicht diejenigen, die vom Dieselskandal betroffen sind. Das ergibt sich bei einem Blick in den Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz zur MFK.

  1. Mit der MFK wird lediglich festgestellt, ob ein Rechtsverhältnis oder ein Anspruch besteht. Juristisch wird also lediglich entschieden, ob dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz besteht, nicht jedoch in welcher Höhe. (vgl. § 606 ZPO-E). Es geht um die Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen, aber eben noch nicht um die konkrete Höhe eines Schadensersatzanspruchs. Den jeweils individuellen Anspruch muss der/die Verbraucher*in selbst vor Gericht durchsetzen.
  2. Klage für die Verbraucher*innen können nur bestimmte Einrichtungen einreichen (vgl. § 607 ZPO-E). Dabei soll es sich um anerkannte Verbraucherschutzverbände handeln. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Verbände wiederum drei Verbände, die im gleichen
    Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder haben. Sie müssen seit mindestens einem Jahr bestehen und es muss aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit gesichert sein, dass sie ihre satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft
    wirksam und sachgerecht erfüllen können.
  3. Ansprüche können bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung angemeldet werden (vgl. § 609 ZPO-E).
  4. Es gibt auch die Möglichkeit eines Vergleiches (vgl. § 612 ZPO-E). Ein solcher muss vom Gericht genehmigt werden. Er soll nur dann wirksam werden, wenn nicht binnen einer Monatsfrist weniger als 30% der Anmelder*innen ihren Austritt aus dem Vergleich erklären.
  5. Der Diskussionsentwurf enthält keinen Hinweis auf eine rückwirkende Anmeldung von Ansprüchen, sondern sieht vielmehr vor, dass die Ansprüche erst 24 Monate nach Beschluss des Gesetzes angemeldet werden können, weil das Gesetz (bis auf einige kleine Ausnahmen) erst 24 Monate nach Beschluss in Kraft tritt (vgl. Art. 8 MFK-G).

Ich finde die Debatte deshalb unredlich. Es ist einfach unehrlich den Verbraucher*innen zu suggerieren, wenn das Kanzleramt den Gesetzentwurf nicht blockiert hätte, dann hätten die Diesel geschädigten Verbraucher*innen bereits jetzt ein Mittel in der Hand um Schadensersatz zu bekommen.

Warum das Kanzleramt die MFK blockiert, liegt nun aber auch nicht daran, dass die Union ein Herz für Verbraucher*innen hat. Im Gegenteil. Mit der Union würde das Ganze für die Verbraucher*innen  noch schlechter aussehen. Laut deren Kritik am Entwurf nämlich geht ihr die Klagebefugnis schon zu weit. Sie will eine Klagebefugnis lediglich für einen klageberechtigten Verbraucher-Ombudsmann. Und sie sagt sehr deutlich, dass sie zwischen „Massenschäden“ und „Streuschäden“ unterscheiden will.  Letztere sind teils sehr geringe Schäden, die aber eine Vielzahl von Verbrauchern betreffen und bei denen sich das Einklagen laut Union nicht lohnt. Gemeint ist z.B. der Schadensersatz für Flugverspätungen oder überhöhte Telefongebühren. Da schlägt das Verbraucher*innen-Herz doch gleich höher. Nicht. Die Kritik der Union betrifft damit den Kern der Idee der MFK, nämlich dass Verbraucher*innen auch bei geringen Schäden gerade nicht allein zum Gericht rennen müssen. Das jedoch ist das zentrale Anliegen der MFK.  Im Gesetzesvorschlag heißt es:

„In einem durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben hinterlassen unrechtmäßige Verhaltensweisen von Anbietern häufig eine Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucherinnen und Verbraucher. Gerade wenn der erlittene Nachteil im Einzelfall gering ist, werden Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche oft nicht individuell verfolgt, da der erforderliche Aufwand aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig
erscheint (>rationales Desinteresse<).

Wenn nun die Union genau die „Streuschäden“ aus der MFK herausnehmen will, dann sollte sie lieber gleich sagen, dass sie das ganze Instrument nicht will.

 

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