Erwartungen an ein Parteiprogramm

Der Parteivorstand hat in seiner heutigen Sitzung den 1. Entwurf eines Parteiprogramms besichtigt und damit auch debattiert. Es ist also an der Zeit, sich mit dem Programm auseinanderzusetzen.

Programmentwurf

Was erwarte ich von einem Parteiprogramm? Neben einer Analyse in welcher Welt wir leben und in welchen Traditionen meine Partei steht, erwarte ich vor allem eine Idee von einer anderen Gesellschaft. Wie stellt sich meine Partei eine Gesellschaft sagen wir in 20 oder 30, vielleicht auch 40 Jahren vor?  Und dann sollte das Programm auch eine grobe Skizze enthalten, wie wir in eine solche Gesellschaft kommen, DIE LINKE nennt das gern Reformalternativen.

Der vorliegende Entwurf wird insbesondere in der Skizzierung der Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, meinen Ansprüchen nicht gerecht. Er liest sich insbesondere dort wie ein Wahlprogramm. 🙁

Den drei Grundideen (Seite 5) des Programms kann ich im wesentlichen zustimmen, auch wenn ich finde, dass „Individuelle Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit“ nicht „durch“ sondern „mit“ „soziale Gleichheit der Teilhabe an den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens und Solidarität“ die Grundidee des demokratischen Sozialismus besser beschreibt.

Ich finde immer noch, dass meine Partei deutlich sagen muss, dass die Nazis Menschen in Konzentrationslager gebracht haben, nicht in Gefängnisse und Lager“. Ich finde immer noch, es muss deutlich gesagt werden, dass durch die Nazis die industrielle Ermordung von Jüdinnen und Juden geplant und durchgeführt wurde, bekannt auch als Holocaust. Und ich finde, dass zum Gründungskonsens der PDS der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus „als System“ gehört. Und ich finde, dass die PDS nicht allein mit dem Anspruch erstarkte, „Interessen der Menschen in Ostdeutschland politisch zu vertreten“. Das auch, aber PDS war deutlich mehr: Kampf gegen die Beseitigung sozialstaatlicher Regelungen, Kampf gegen Kriegseinsätze, Kampf gegen Rechtsextremismus, Kampf gegen die Schleifung des Asylrechts 1993 …

Doch mit der Detailkritik soll jetzt Schluss sein. Bei der Programmdebatte geht es aus meiner Sicht nicht wirklich um die Details – wenigstens nicht in der Diskussion. Da sollte es um die großen Linien gehen, eben eine grobe Idee einer anderen Gesellschaft wie sie in einigen Jahrzehnten nach unseren Vorstellungen aussehen soll. Ein Ansatzpunkt dafür könnte das Kapitel III sein. Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert lautet die Überschrift. Ich finde in diesem Kapitel nichts wirklich falsches, aber ist Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert nicht ein wenig mehr? Wie soll in einigen Jahrzehnten die Energieversorgung sichergestellt werden? Wie sieht Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dann aus? Wie sieht die Arbeitswelt aus? Wie soll das Verhältnis von sog. Dritter Welt und sog. Erster Welt, zwischen Nord- und Südhalbkugel aus?

Der Programmentwurf beantwortet in den Programmatischen Eckpunkten aufgestellte Fragen entweder gar nicht oder in eine Richtung ohne Debatte.  Ich würde gern debattieren, ob DIE LINKE für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist oder für eine repressionsfreie Mindestsicherung. Wie will die LINKE denn damit umgehen, dass jährlich Millionnen und Milliarden aus Steuermitteln in die sozialen Sicherungssystem gesteckt werden und kann dies durch eine Erwerbstätigen- und Bürgerversicherung tatsächlich verhindert werden? Wenn wir aber Steuermittel in die sozialen Sicherungssysteme stecken, wäre es nicht angebracht zu diskutieren ob es nicht auch ein steuerfininaziertes Solidarsystem geben kann? Nicht jetzt, nicht sofort aber vielleicht in einigen Jahrzehnten?

Dem Programmentwurf fehlt eine Auseinandersetzung mit einer veränderten Welt, in der nicht die klassischen Industriearbeitsplätze zunehmen, sondern Dienstleistungen. Wenn wir über Eigentum reden, müssen wir da nicht auch das geistige Eigentum mitdenken in einer Welt wo Internet und web 2.0 ein wichtiges Kommunikationsmittel sind?

Warum stellen wir so konkret und in Abstufung Bedingungen für Regierungsbeteiligungen auf, die vielleicht in einigen Jahrzehnten gar nicht mehr Debattenpunkt sind? Kann es nicht ein wenig abstrakter gehen?Ich vertrete immer noch die Idee des Dreiklangs: Verschlechterungen für die Bevölkerung verhindern, Alternativen über den Kapitalismus hinaus entwickeln und Menschen ermutigen sich selbst zu engagieren und tätig zu werden. Diese drei Sachen zusammen gedacht, also alle drei Dinge zusammen als Anspruch formuliert erscheinen mir angemessener als diese Art von Konkretheit. Über die konkreten Anforderungen an Regierungsbeteiligungen sollte aus meiner Sicht im jeweiligen Wahlprogramm eine Aussage getroffen werden.

Dies und anderes würde ich gern debattieren. Die nächsten 1,5 Jahre jedenfalls werden spannend. Und auf die Debatte freue ich mich.

2 Replies to “Erwartungen an ein Parteiprogramm”

  1. Ich stimme Dir im großen und ganzen zu. Auch mir fehlt die Vision, das Ziel. Wo wollen wir hin? Verschlimmbesserungen hier und jetzt im Kapitalismus, meinetwegen. Aber erschöpft es sich darin? Ist die Welt denn eine andere, wenn wir einen Mindestlohn von 10 Euro für alle haben? Eben nicht!

    Ganz wichtig ist da die Debatte zur Wirtschaftsdemokratie. Ein bischen Teilhabe ist mir da auch zu wenig. Das muss völllig anders laufen!

    Wie stellen wir uns eine Welt ohne Krieg vor? Meine beinhaltet dann auch keinerlei Waffen… was bedeutet das genau?

    Du hat angesprochen geistiges Eigentum, Datenschutz und BürgerInnenrecht sind ganz wichtige Themen dieses Jahrhunderts denke ich.

    Ich hoffe, dass wir da noch einiges entwickeln werden!

  2. Pingback: „So bestimmt nicht“ | Lafontaines Linke

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