Genauer hinschauen

Immer wenn eine Studie auf den Markt kommt, in der das Wahlverhalten für demokratie- und menschenfeindliche Parteien beleuchtet wird, ist die Aufregung groß. So auch jetzt, bei der Studie des Progressiven Zentrums zu Gesprächen in rechtspopulistischen Hochburgen in Deutschland und Frankreich.

Der Ansatz ist zunächst ganz spannend. Laut eigener Aussage ging es darum „denjenigen zuzuhören, über die sonst geredet wird“ und zu diesem Zweck wurden 500 Gespräche in Frankreich und Deutschland geführt. Dies Gespräche fanden statt in „sozioökonomisch schlechter gestellten Regionen mit hohem Anteil rechtspopulistischer Wähler, also Hochburgen des Front Nationals und der AfD„. In den Gesprächen wurden „allgemein und offen formulierte Fragen gestellt„. Worüber ich gestolpert bin, ist das Narrativ „denjenigen zuhören, über die sonst geredet wird„. Vielleicht ist es naiv, vielleicht sind auch meine gemachten Erfahrungen andere, aber das über Menschen in sozioökonomisch schlechter gestellten Regionen nur geredet und ihnen nicht zugehört wird, das würde ich so pauschal einfach nicht bestätigen wollen.

Die Studie hatte für mich zunächst aber eine kleine Überraschung parat. Sie verweist nämlich auf Seite 4 auf eine Kleine Anfrage der Grünen zu strukturschwachen Regionen.  Überrschend war jetzt nicht, dass 28 Regionen als sehr stark oder stark unterdurchschnittlich bewertet wurden, sondern dass neben „zahlreichen ländlichen Gebieten in den neuen Bundesländern wie die brandenburgische Prignitz oder dem Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt (…) dazu auch die fünf Großstädte Bremerhaven, Frankfurt/Oder, Gelsenkirchen, Herne und Oberhausen“ gehören.

Bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass die Studie zunächst darauf hinweist, dass die auf den ersten Blick gegebene Übereinstimmung zwischen wirtschaftlicher Strukturschwäche, starker Abwanderung oder hohen Arbeitslosigkeitsquote und einem  populistischen Wahlverhalten zu einfach ist. Es gäbe zwar ein „Häufigkeit, aber keine Korrelation„. Es wird argumentiert: „So liegt etwa die Arbeitslosigkeit im Wahlkreis 26 in und um Wilhelmshaven mit 8,2%, deutlich über dem Bundesdurchschnitt, das AfD-Ergebnis aber bei unterdurchschnittlichen 9,1%. Andersherum hat Heilbronn eine leicht unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote von 5,3%, mit 41.000 Euro sogar das höchste Pro-Kopf-Einkommen Deutschlands, aber ein AfD-Stimmenanteil von 16,4%.“ Ich finde das insoweit relevant, als der Aspekt der sog. soziokulturellen Merkmale bei Wahlen (Werte, Lebensstile, grundlegende Einstellungen) für menschenverachtende und demokratiefeindliche Parteien aus meiner Sicht häufig zu kurz kommt. Viel zu häufig begegne zumindest ich einer Einstellung, die davon ausgeht, wenn die sozialen Ungerechtigkeiten weniger wären oder gar abgeschafft, dann würde sich das Problem erledigen. Wenn auf S. 6 der Studie darauf verwiesen wird, dass nur „eine Minderheit von 40% der AfD-Unterstützer findet, dass Deutschland wirklich demokratisch sei“ kommt das meiner Erfahrung ziemlich nahe. Aber dann heißt das eben auch, dass selbst wenn die unzweifelhaft existierenden sozialen Ungerechtigkeiten weniger oder gar völlig aufgehoben wären, es immer noch ausreichend Demokratieverächter*innen gibt. Hier müsste aus meiner Sicht ebenfalls angesetzt werden. Mit einer Demokratieoffensive. Werben für Demokratie und wo immer es geht Mitentscheidungsmöglichkeiten eröffnen.

Ebenfalls auf S. 6 und 7 wird  deutlich, dass es sich bei der Studie gerade nicht um eine Studie über AfD-Wählende handelt.

Das Auswahlkriterium für die Befragten war jedoch nicht, dass sie selbst AfD- bzw. FN-Wähler sind, sondern dass sie in einer Hochburg dieser Parteien leben. (…) Da die Teilnehmer nicht nach ihrer Parteipräferenz gefragt wurden, und neben Geschlecht und Alter überhaupt keine personenbezogenen Daten erhoben wurden, ist dieses Projekt nicht als Wählerstudie, sondern vielmehr als Wählermilieustudie zu verstehen“. 

In der Rezeption der Studie scheint mir das manchmal etwas zu kurz gekommen zu sein. Es ist eben keine Studie über AfD-Wählende, es ist eine Studie über deutsche Zustände und Einstellungen in sozioökonomisch schlechter gestellten Regionen.

Es folgt die nächste Überraschung. Laut der Studie S. 8 wird in Deutschland „die soziale Sicherheit durch das Sozialsystem, die positive Lage am Arbeitsmarkt und das Funktionieren des Rechtsstaats von großen Teilen als positiv empfunden„. Wenn dem so ist, dann muss doch die Ansprache für eine Verbesserung der sozialen Sicherheit (die dringend nötig ist) eine sein, die auf die Verbesserungen durch andere Modelle (sanktionsfreie Mindestsicherung, emanzipatorisches bedingungsloses Grundeinkommen) hinweist und die derzeitigen Sicherungssysteme nicht pauschal verdammt. Das ist sicherlich schwierig, gerade wenn einem persönlich zum Beispiel die absurde Idee von Sanktionen  bei Hartz IV mächtig den Puls hochtreibt.

Das größte Problem in den besuchten Gebieten in Deutschland ist Migration. Dann reden wir halt über Migration. Das ist auch gar nicht so schwer. Zum einen gibt es konkrete Ideen für ein linkes Einwanderungskonzept, zum anderen lässt sich erklären, warum Menschen flüchten und welche Verantwortung die in Deutschland lebenden Menschen dafür tragen. Das reicht von Rüstungsexporten, über eine Exportwirtschaft, die Lebensgrundlagen im globalen Süden vernichtet, bis hin zu Ressourcenverbrauch, Klimawandel und Lebensstil. Nach der Studie geht es beim Thema Migration darum, dass der

Kostenfaktor der Migration und eine damit verbundene finanzpolitische Benachteiligung deutscher Staatsbürger“

ein dominierendes Erklärungsmuster ist. Hier bieten sich gleich zwei Ansätze für Aufklärung an. Erstens der Hinweis, dass mit dem Asylbewerberleistungsgesetz Menschen weniger an Leistungen erhalten, als Leistungsbeziehende nach dem SGB II. Von einer finanzpolitischen Benachteiligung deutscher Staatsbürger kann also gar keine Rede sein. Die zweite Argumentationsschiene ist, darauf hinzuweisen, dass Einkommen und Vermögen umverteilt werden müssen. Es ist genügend für alle da, wenn nicht einige wenige besonders viel haben wollen (und bekommen und behalten dürfen). Auch der zweite Begründungsansatz für  Probleme mit Migration lässt Aufklärung zu. Der zweite Ansatz lautet nämlich, mit  dem Zuzug von Migranten steige die Kriminalität. Dann wird häufig auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verwiesen. Diese ist jedoch abhängig vom Anzeigeverhalten und erfasst darüber hinaus auch die Straftaten, die deutsche Staatsbürger*innen gar nicht begehen können. Außerdem ist seit langem bekannt, dass gerade jugendliche Männer grundsätzlicher eher eine Straftat begehen, als alle andere Bevölkerungsgruppen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, es handelt sich um „Ressentiments, die zwar wie bei der Pauschalisierung im Kriminalitätsdiskurs rassistische Züge tragen können, aber vorrangig einer vergleichenden Abwertungslogik folgen: Weil sich gefühlt um die Fremden mehr gekümmert wird, fühlt man sich selbst abgewertet und wertet in der Folge die Fremden ab.“ Wenn dem so ist, dann macht sich aber aus meiner Sicht jede*r Politiker*in, der/die dieses Gefühl verstärkt, mitschuldig an der Bestärkung dieser Ressentiments. Genau das Gegenteil ist notwendig, nämlich darauf aufmerksam zu machen, dass es kein „mehr kümmern“ um „Fremde“ gibt, sondern eine zentrale Herausforderung ist Menschen gleich zu behandeln und ihnen gleiche Möglichkeiten und Chancen zu eröffnen.

Der zweite große Problemkreis ist „Kritik an der Art und Weise, wie Politik heutzutage gemacht wird und andererseits am Verhalten von Politikern.“ Politiker*innen werden als unehrlich und egoistisch bezeichnet,  es wird ein zu großer Einfluss von Wirtschaft und Lobbyisten beklagt und formuliert, „die Wirtschaft entscheidet und nicht die Politiker“ .  Kritik an der Art und Weise, wie heute Politik gemacht wird, ist aus meiner Sicht berechtigt. Ich habe ja an der Stelle, wo es um Koalitionsverträge geht, immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Die öffentliche Darstellung von Politiker*innen, verbunden mit der Nichtaufklärung über existierende Mechanismen (nicht um sie zu verteidigen, sondern um aufzuzeigen wo es was zu verändern gibt), trägt sicherlich zur Einschätzung von Politiker*innen bei. Und unter ihnen findet sich auch immer jemand, der das Klischee vom unehrlichen und egoistischen Menschen bestätigt. Aber hier sehe ich auch eine Verantwortung von Medienvertreter*innen genauer hinzuschauen und nicht nur ein Beifall bringendes Klischee zu bestätigen. Gleiches gilt übrigens für Oppositionspolitiker*innen, die Regierungspolitiker*innen das gern vorwerfen. Das geht dann gleich über in den nächsten Punkt. Ja, ein verpflichtendes Lobbyistenregister ist erforderlich. Ja, es gibt genügend Einflussnahme durch Wirtschaft, aber es ist eben eine Frage, ob auch Politiker*innen selbst erklären, die Wirtschaft entscheide alles. Wer sich auf diesen schmalen Pfad begibt, der erklärt nichts anderes, als dass in Parlamenten willenlose Werkzeuge sitzen. Wer sich auf diesen Pfad begibt, der spricht im Übrigen handelnde Parlamentarier*innen von ihrer Verantwortung frei. Und am Ende wird nichts anderes gesagt, als dass egal wer im Parlament sitzt, immer anderswo entschieden wird. Das ist nicht gerade dazu geeignet, Menschen für Demokratie zu begeistern. Dabei ist es angezeigt, Mechanismen der Einflussnahme durch Wirtschaft offenzulegen ohne in Populismus abzugleiten.

Auch der dritte Problemkreis ist interessant. Wenn nämlich eine mangelnde Verkehrs- und Sozialinfrastruktur beklagt wird, ist klar, in welche Bereich investiert werden muss. Ergänzt durch Potentiale durch Digitalisierung lässt sich hier viel machen, um dem Gefühl des „abgehängt seins“ entgegenzuwirken. Gerade in ländlichen Gebieten scheint dies ein zentrales Problem zu sein, geben doch in der Studie auf die Frage, was am eigenen Wohnort schlecht läuft, die Menschen dort „die Anbindung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und den Mangel an Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, z.B. Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Versorgung, Schulen und Kindergärten“ an. Ergänzt wird dies durch die Aussage der befragten Personen in allen Gebieten im Hinblick auf persönliche Probleme durch den Verweis auf „die Bedingungen an ihrem Arbeitsplatz. Dazu gehören ein hoher Stressfaktor, Unsicherheit durch Leiharbeit, die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und als meist genannter Aspekt, dass der Lohn nicht die eigenen Kosten deckt„.

Eine Herausforderung dürfte sich daraus ergeben, dass „das Thema Migration als größtes Problem für das Land und auch als eine zentrale Belastung für den eigenen Wohnort herausgestellt wird, (…)  es in der Wahrnehmung der Menschen nicht als Problem für ihren Alltag „(existiert). Hier fallen ja gefühlte Probleme und tatsächliche Sorgen auseinander. Wenn die Autoren schreiben: „Doch weil der eigene Alltag schwierig bleibt, aber in der Wahrnehmung vieler Menschen gleichzeitig das Leben der Migranten >einfacher< gemacht wird, entsteht hier eine Verschiebung in der Verantwortungszuschreibung: Statt die meist sozialpolitischen Ursachen für die Alltagsprobleme zu benennen, werde jene gesellschaftlichen Gruppen zum Problem erklärt, deren Probleme vermeintlich bevorzugt gelöst werden.“ Hier ist von Seiten der Politiker*innen und von Medien Sensibilität erforderlich, auch und gerade in der Sprache. Es muss darum gehen, eben genau das nicht zu machen, was sich bei vielen schon festgesetzt hat: Die Zuschreibung von Problemen an gesellschaftliche Gruppen.

 

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