Mit „Ja“ stimmen

Am Dienstag habe ich hier meine Fragen zu der in dieser Woche anstehenden Abstimmung zur Griechenland-Hilfe formuliert. Jetzt habe ich mich festgelegt. Ich werde mit „Ja“ stimmen. Warum, will ich erklären.

Der Bundestag wird über diesen Antrag abstimmen, zu dem es diese Unterrichtung der Bundesregierung gab. Letztere kam am Dienstag Abend. Ich habe mich mit der Unterrichtung und dem Antrag zwischen zwei Ausschüssen und der Vorbereitung einer Rede beschäftigt und beide für mich bewertet. Auch darüber hinaus habe ich mich bemüht, so viel wie möglich an Informationen zu bekommen.

Ich will zunächst auf drei Argumente eingehen, die mich nicht überzeugt haben. Zwei davon waren für ein „Nein“ oder eine „Enthaltung“, ein Argument war für „Ja“.  Da war zunächst das Argument, es komme doch auf die Stimmen der LINKEN gar nicht an. Auf dieses Argument bin ich eigentlich schon im Blogbeitrag vom Dienstag eingegangen. Aber ich wiederhole es hier gern noch einmal. Wenn es auf meine Stimme nicht ankommt, dann muss ich mir auch in tausend anderen Sachen keinen Kopf zerbrechen. Dann gehe ich schön die ganze Zeit auf die Straße und mache Protest. Die Diäten sollte ich dann aber bitte auch nicht kassieren. Mit einer Abstimmung macht mensch immer eine Position deutlich und ja, im besten Fall findet über eine Abstimmung auch eine Diskussion statt. Ich muss hinter dem was ich abstimme auch stehen, ich kann das nicht davon abhängig machen, ob es auf meine Stimme ankommt oder nicht. Das nächste „Argument“ war, dass es sich um einen Antrag von Schäuble handelt und dem könne mensch einfach nicht zustimmen. Formal gesehen ist das Argument richtig, denn Schäuble hat den Antrag gestellt. Aber der Mann ist Finanzminister und als Finanzminister stellt er für die Bundesregierung den Antrag auf  „Zustimmung des Deutschen Bundestages (…) zu einer Verlängerung der Bereitstellungsfrist (…) um bis zu vier Monaten bis zum 30. Juni“.  Wer soll das denn sonst machen, wenn nicht der Finanzminister? Familienministerin Schwesig? Darüber hinaus ist es aber natürlich nur formal ein Antrag von Schäuble. Inhaltlich, also materiell, geht es um die Verlängerung der Griechenland-Hilfen und damit eng verbunden um die durch die Bundesregierung im Rahmen der Unterrichtung übermittelte „Liste von Reformmaßnahmen“, die von der griechischen Regierung vorgelegt wurde. Das dritte Argument, diesmal für ein „Ja“ lautete, die Genossen/innen von Syriza haben uns darum gebeten. Ich war noch nie eine Freundin der „bedingungslosen Solidarität“ in inhaltlichen Fragen. Ich finde es angemessen und richtig auch solche Wünsche von Genossen/innen zu prüfen und zu bewerten. Der Wunsch der Genossen/innen von Syriza ist ein Argument, kann aber aus meiner Sicht nicht das allein entscheidende Argument sein. Was aber gar nicht geht ist, dass mensch vor, um und nach der Wahl in Griechenland gar nicht schnell genug ein Plakat mit „Wir sind Griechenland“ oder ähnlichen Sprüchen hochhält und wenn es etwas schwieriger wird auf einmal nicht mehr Griechenland oder Syriza sein will. Wer den Wahlsieg von Syriza für sich reklamieren wollte, der sollte auch jetzt Syriza/Griechenland sein. Da ich genau das nicht gemacht habe, konnte die Bitte der Genossen/innen von Syriza für mich kein entscheidendes Argument sein, wohl aber eines was ich in die Abwägung mit einbezogen habe.

Warum werde ich dennoch mit „Ja“ stimmen? Ich fange mal mit einem ganz banalen Punkt an. Wenn die Union und insbesondere die CSU Probleme artikuliert, dann scheinen die Vorschläge aus Griechenland nicht unbedingt in das Konzept der Union zu passen. Und dann scheint es auch so, dass die Grundlage für die Griechenland-Hilfe die Vorschläge aus Athen sind und nicht die von Schäuble und aus Berlin. Das ist ein Indiz dafür, dass die bislang herrschende Logik, nach der die Geldgeber allein über die Konditionen der Hilfen entscheiden, ins wanken geraten ist. Ja, sicherlich die griechische Regierung stand unter Druck, manche sprechen auch von Erpressung, aber ich muss doch genau vor dem Hintergrund dieses Drucks eine Bewertung vornehmen.

Der Antrag selbst bittet um die „Zustimmung des Deutschen Bundestages (…) zu einer Verlängerung der Bereitstellungsfrist (…) um bis zu vier Monate bis zum 30. Juni 2015.“ Der Antrag wird gestellt „unter der Voraussetzung, dass Griechenland eine erste Liste von Reformmaßnahmen vorlegt und die drei Institutionen dazu ihre erste Einschätzung abgeben … .“ Ich muss also durch mein Abstimmungsverhalten zum Ausdruck bringen, ob ich der Verlängerung der Bereitstellungsfrist zustimme, dagegen bin oder mich enthalte.

Ich habe bei meiner Entscheidungsfindung auf die von mir selbst am Dienstag formulierten drei Kriterien Bezug genommen. Um eine Bewertung aus meiner Sicht vorzunehmen, habe ich mir die von der griechischen Regierung vorgelegten Reformvorschläge angesehen.

Die erste Frage ist, ob die Griechischen Reformvorschläge eine Chance für einen Einstieg in eine Anti-Austeritätspolitik bieten. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe für mich die Frage mit „Ja“ beantwortet. Im Hinblick auf die Mehrwertsteuerpolitik sollen die Sätze vereinfacht werden, so dass die tatsächlichen Einnahmen maximiert werden, ohne dass sich dies negativ auf die soziale Gerechtigkeit auswirkt. Es sollen Anstrengungen unternommen werden, dass alle Gesellschaftsgruppen, insbesondere die Wohlhabenden, einen gerechten Beitrag zur Finanzierung der staatlichen Maßnahmen leisten. Steuerbetrug und Steuerrückständen der höheren Einkommensgruppen soll effektiv begegnet werden. Es soll eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und Qualität unter Wahrung des allgemeinen Zugangs zu medizinischen Leistungen geben. Die Ministerien sollen ebenso wie die Zusatzleistungen für Minister und Abgeordnete sowie Spitzenbeamte reduziert werden. In den Reformvorschlägen steht, dass „Schuldner mit niedrigem Einkommen und geringen Verbindlichkeiten“ entkriminalisiert werden sollen. Und es wird formuliert, dass „im kommenden Zeitraum Versteigerungen von Hauptwohnungen von Personen mit Einkommen unter einer bestimmten Schwelle“ vermieden werden sollen. Die griechische Regierung will die „schrittweise Anhebung der Mindestlöhne„. Und sie will die „Bedürfnisse, die mit dem jüngsten Anstieg der absoluten Armut (…) einhergehen, durch gezielte nichtfinanzielle Hilfen“ erfüllen sowie das „Pilotprojekt zum garantierten Mindesteinkommen im Hinblick auf seine mögliche Ausweitung auf ganz Griechenland“ auswerten. Dem stehen natürlich auch andere Dinge gegenüber, die nicht schön und zumindest interpretierbar sind. Aber -und das nicht zu verachten- diese Dinge sind wage und werden wohl weiter verhandelt werden. Es bleibt also offen, was im Rahmen der „Überprüfung und Kontrolle der Ausgaben in allen Bereichen der Staatsaufgaben (z.B. Bildung, … Sozialleistungen)“ als Ergebnis herauskommt. Der „Beseitigung von Schlupflöchern und Anreizen … zu einer übermäßigen Zahl von vorzeitigen Renteneintritten“ steht gegenüber, dass es ein „garantiertes Mindesteinkommen“ geben soll. Es wird eine Frage der Verhandlungen sein, was unter „Reformierung der Vergütungstabellen im öffentlichen Dienst mit dem Ziel, die Lohnverteilung durch Produktivitätssteigerungen … zu entschärfen“ verstanden wird. Es ist natürlich problematisch, wenn Sorge dafür getragen werden soll, „dass die Lohn- und Gehaltskosten im öffentlichen Dienst nicht steigen„. Aber es wird eben auch klar gesagt, dass die „derzeitigen Lohnuntergrenzen“ nicht gesenkt werden. Die griechische Regierung wird „bereits abgeschlossene Privatisierungen“ nicht zurücknehmen und will dennoch die „Grundversorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen“ sicherstellen. Das mag als nicht ausreichend angesehen werden, in den weiteren Verhandlungen wird es aber interessant sein, was bei dem Punkt „Überprüfung von noch nicht eingeleiteten Privatisierungen unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der Bedingungen mit dem Ziel, den langfristigen Nutzen für den Staat zu maximieren“ verstanden wird. Ja, Privatisierungen sind damit nicht ausgeschlossen, aber es gibt eben auch kein Privatisierungsgebot. Es scheint so, als würde erstmals eben nicht Sozialkürzungen der Schwerpunkt der Hilfe sein, sondern der Versuch unternommen werden, andere Wege zu beschreiten. Ja, die Reformvorschläge sind nicht 1:1 das Wahlprogramm von Syriza, aber das konnte auch niemand ernsthaft erwarten. Das die griechische Regierung nicht allen Freude mit den Reformvorschlägen macht, ist klar. Das da noch harte Auseinandersetzungen anstehen (und laufen), dürfte auch klar sein. Frau Lagarde schreibt im Namen des IWF: „In vielen, darunter in den wohl wichtigsten Bereichen enthält das Schreiben jedoch keine eindeutigen Zusagen der Regierung, dass sie beabsichtigt die im Memorandum zur Wirtschafts- und Finanzpolitik vorgesehenen Reformen umzusetzen. Insbesondere stellen wir fest, dass weder für die Ausgestaltung und Umsetzung der vorgesehenen umfassenden Reformen des Rentensystems und der Mehrwertsteuerpolitik noch für die Fortführung bereits vereinbarter politischer Maßnahmen zur Öffnung geschlossener Sektoren und zur Durchführung von … Privatisierungen und Arbeitsmarktreformen eindeutige und klare Zusagen gemacht werden„.

Ein weiteres wichtiges Argument für mich war, dass das Bedienen der privaten Gläubiger, also Banken nicht mehr im Vordergrund der Hilfen steht und damit die Chance gewahrt bleibt, dass die griechische Bevölkerung tatsächlich etwas von den Hilfen hat. In der Fraktionssitzung jedenfalls hat niemand gesagt, die Hilfen für Griechenland würden nur den Banken helfen und auch sonst habe ich dieses Argument nicht gefunden.

Bleibt also noch das Argument der Troika, die nun Institutionen heißt. Ich gebe zu, dass war für mich die allerhöchste Hürde, die für ein „Ja“ zu überwinden war. Aber nach allem was ich gelesen habe, sehe ich die Chance das öffentliche Vertrauen in die Troika zu erschüttern und eine Chance auf einen Einstieg in den Entzug von Machtbefugnissen der Troika. Das Ziel muss natürlich die Abschaffung dieser nicht demokratisch legitimierten Institutionen sein. Die Verhandlungen zur Griechenland-Hilfe haben gezeigt, dass die Troika nicht mehr allein bestimmt, was in den einzelnen Ländern geschieht. Nicht die Troika hat Vorschriften gemacht was zu tun ist, sondern die griechische Regierung hat Vorschläge unterbreitet. Das die griechische Regierung insoweit natürlich nicht völlig frei -um es mal nicht ganz so drastisch auszudrücken-  war, darauf habe ich schon hingewiesen. Aber es ist durchaus eine kleiner, bescheidener Fortschritt wenn es im Schreiben von Frau Lagarde heißt: „Gleichwohl sollte ein endgültiger Beschluss in dieser Sache vornehmlich auf der Grundlage der Bewertung durch die Mitgliedsstaaten selbst und die betreffenden europäischen Institutionen erfolgen.“ Ich lese das so, dass es eben nicht mehr die Troika ist, die allein (!!!) inhaltlich entscheidet, ob etwas geht oder nicht geht, sondern „vornehmlich“ die „Bewertung“ auch an die Mitgliedsstaaten weitergibt. Nicht ausschließlich, aber eben auch. Das ist nicht viel, aber vielleicht ein Anfang. Auch der ständige Hinweis auf die im „Programm gegebene Flexibilisierung“ im Hinblick auf das Primärüberschussziel und der Hinweis darauf, dass „im laufenden Jahr 2015 (…) die Institutionen den inzwischen eingetretenen wirtschaftlichen Umständen Rechnung“ tragen ist ein winzig kleiner Schritt, weg vom diktieren der Bedingungen durch die Troika. Natürlich steht dem gegenüber, dass es in der Erklärung der Eurogruppe vom 20. Februar 2015 heißt: „Jedwede Auszahlung (…) ist nur möglich, wenn die Institutionen dem Abschluss der Überprüfung der verlängerten Vereinbarung zustimmen„.

Ich musste am Ende eine Abwägung treffen. Eine Abwägung, ob das was vorgelegt wurde tatsächlich eine Chance für einen Einstieg in eine Anti-Austeritätspolitik  ist und eine Chance dafür, das öffentliche Vertrauen in die Troika zu erschüttern sowie eine Chance, für einen Einstieg in den Entzug von Machtbefugnissen der Troika. Mag sein, die Chancen sehe nur ich so. Mag sein, die Chancen werden nicht genutzt. Mag  sein, es gibt am Ende keine Möglichkeit aus den Chancen wirklich etwas zu machen. Aber ich will mit meiner Stimme signalisieren, dass ich diese Chancen nicht verbauen will. Würde ich mich enthalten oder würde ich ablehnen hätte ich signalisiert, ich will diese Hilfe mit diesem Reformprogramm so nicht. Und ich will auch die von mir gesehenen Chancen nicht.

Doch mit der morgigen Abstimmung ist es nicht getan. Die Frage, die sich alle linken Zustimmenden jetzt stellen müssen ist, welchen konkreten Beitrag sie leisten können, dass die Chancen eine Chance auf Realisierung haben. In der Erklärung der Eurogruppe vom 24. Februar 2014 heißt es, dass die „Reformmaßnahmen … spätestens bis Ende April weiter konkretisiert und mit den Institutionen vereinbart“ werden müssen. Wie im Sinne der griechischen Regierung die Konkretisierung und Vereinbarung auch in Deutschland begleitet werden kann, das ist die jetzt anstehende Aufgabe, soll Unterstützung nicht nur Lippenbekenntnis sein. Ich habe meinem Fraktionsvorsitzenden vorgeschlagen, ein Monitoring in der Fraktion einzurichten. Dieses soll ermöglichen, dass die Fraktion mit den ihr zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln öffentliche und parlamentarische Aufklärung über die Verhandlungen zur Konkretisierung der Reformmaßnahmen ergreifen und so die griechische Regierung parlamentarisch unterstützen kann.

6 Replies to “Mit „Ja“ stimmen”

  1. Es wäre klug, wenn innerhalb der Linksfraktion das unterschiedliche Abstimmungsverhalten nicht zu Scharmützeln führt.
    Und vom CDU-Gebrauchtwagen Klaus-Peter Willsch tät‘ ich nicht mal ein Matchbox-Auto annehmen. 😉

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