Neuregelung des Stalkingparagrafen

Seit gestern (13. Oktober 2016) hat der Gesetzentwurf zum Stalking nun auch eine offizielle Drucksachennummer. Ganz korrekt heißt es: „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen“. Der Gesetzentwurf wird nach Plan in der nächsten Woche am Donnerstag im Bundestag debattiert.

Das Ansinnen des Gesetzentwurfes ist richtig. Betroffene von Stalking müssen besser geschützt werden. Denn die Beeinträchtigung des Lebens durch Stalking ist massiv. Häufig treten langfristige Folgen auf. Stalking ist kein Kavaliersdelikt, was auf die leichte Schulter genommen werden darf. Um es klar und deutlich zu sagen: Stalking gehört sich nicht. Stalking ist gesellschaftlich unerwünscht. Ob  die vorgeschlagene Neuregelung dem Anspruch Stalkingopfer zu schützen gerecht wird, wage ich zu bezweifeln.

Es muss zentral darum gehen, dass der/die Stalker*in an weiteren Handlungen gehindert wird. Ich glaube, dies ist mit dem Gewaltschutzgesetz regelmäßig möglich. Gerade weil es das Gewaltschutzgesetz gibt, sollte aus meiner Sicht der Schutz der Opfer besser bei zivil- und polizeirechtlichen Abwehrmaßnahmen ansetzen und nicht in der konkret vorgeschlagenen Neuregelung im Strafrecht.

Durch das Gewaltschutzgesetz gibt es die Möglichkeit ein Betretungs-, Näherungs-, Aufenthalts- und Kontaktverbot sowie ein Abstandsgebot gerichtlich anzuordnen. Wenn eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt, kann das Gericht zur Abwendung weiterer Verletzungen anordnen, dass diese Person es unterlässt

  • die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
  • sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten
  • zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält,
  • Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
  • Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen.

Diese Anordnung ist auch möglich, wenn eine Person eine andere Person „dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.“ Vor dem Familiengericht, welches eine solche Anordnung auf Antrag beschließen kann, besteht kein Anwaltszwang. Das Verfahren ist nicht öffentlich und es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet, dass alle für eine Entscheidung notwendigen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind. Soweit eine Anordnung durch das Gericht ergeht, besteht eine Mitteilungspflicht an die zuständigen Polizeibehörden und andere öffentliche Stellen, die von der Durchführung der Anordnung betroffen sind. Andere öffentliche Stellen können etwa in öffentlicher Trägerschaft von Kommunen und Ländern geführte Kindergärten, Schulen, Frauenhäuser und Jugendhilfeeinrichtungen sein. Im einstweiligen Rechtsschutz reicht die Glaubhaftmachung aus. Die für die Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Stalking-Gesetzentwurf entscheidende Norm dürfte aber im § 4 GewSchG zu finden sein.

Wer einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1, zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Zunächst ist es also so, dass auch ohne Änderung des Stalking-Paragrafen eine Möglichkeit der Bestrafung für Täter*innen besteht, zumindest wenn sie sich einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz widersetzen. Mir ist aber noch etwas anderes wichtig. Wir leben in einer Gesellschaft, wo der Ruf nach dem Strafrecht häufig als Ersatz für gesellschaftliche Auseinandersetzung ertönt und der Glaube weit verbreitet ist, wir könnten durch strafrechtliche Antworten ein gesellschaftliches Problem lösen. Das greift mir zu kurz. Es muss doch vor allem darum gehen, in der Gesellschaft vorhandene Einstellungen und Verhaltensmuster zu verändern. Der beste Weg dafür führt aus meiner Sicht über Aufklärung und Prävention. Dazu gehört neben einer Sensibilisierung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeibeamten*innen auch eine gesellschaftliche Debatte zur Unzulässigkeit beharrlicher Nachstellungen (Stalking), sowie ein zuverlässiges und ausfinanziertes Beratungs- und Hilfsangebot. Eine unkomplizierte und für Betroffene möglichst kostenfreie Unterstützung durch Rechtsanwälte*innen im Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz und eventuellen weiteren Rechtsauseinandersetzungen muss sichergestellt werden.

Auch wenn DIE LINKE in der 16. Wahlperiode (da war ich im Übrigen keine Abgeordnete) sich gegen die Einführung des Stalkingparagrafen ausgesprochen hat, würde ich jetzt nicht so weit gehen und ihn wieder streichen wollen. Das wäre aus meiner Sicht nur angemessen, wenn das StGB insgesamt entrümpelt werden würde.

Der derzeitige Stalkingparagraf (§ 238 StGB) regelt folgendes:

„1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich

(1) seine räumliche Nähe aufsucht,

(2) unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,

(3) unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,

(4) ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder

(5) eine andere vergleichbare Handlung vornimmt

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Die Intention des damaligen Gesetzgebers war, den individuellen Lebensbereich des Opfers vor beharrlichen Nachstellungen zu schützen, die zu einer Beeinträchtigung seiner Handlungs- und Entschließungsfreiheit führen. Der Stalkingparagraf wurde als Erfolgsdelikt gefasst, d.h. die Lebensgestaltung muss schwerwiegend beeinträchtigt sein, damit der Straftatbestand verwirklicht ist.

Nun ist geplant, den Straftatbestand des Stalking von einem Erfolgsdelikt in ein Eignungs- und Gefährdungsdelikt umzuwandeln. Es muss also nicht mehr zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit kommen – für eine Bestrafung soll die abstrakte Geeignetheit zur Beeinträchtigung ausreichen. Genau das ist aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen heraus kritisch zu betrachten. Das geschützte Rechtsgut, nämlich der individuelle Lebensbereich in Form der Handlungs- und Entschließungsfreiheit, muss unter Beachtung des „ultima ratio Prinzips“ des Strafrechts und der Existenz des Gewaltschutzgesetzes aus meiner Sicht tatsächlich beeinträchtigt sein. Ein Nachweis der Beeinträchtigung zum Beispiel durch ein ärztliches Attest oder eine Bescheinigung durch eine Stalkingberatungsstelle sollte dafür aber ausreichen. Um es noch deutlicher zu sagen: Nein, Stalkingopfer müssen nicht ihr Leben durch Auszug aus der Wohnung oder Wechsel des Arbeitsplatzes ändern, damit der Straftatbestand erfüllt ist. Eine Beeinträchtigung der Lebensführung muss aber vorliegen.

Ein so verstandenes Erfolgsdelikt des Stalking wäre im Übrigen durch eine ganz einfache kleine Gesetzesänderung (soweit diese dafür überhaupt notwendig ist) möglich. Im derzeit existierenden § 238 StGB müsste einfach nur „schwerwiegend“ gestrichen werden.

Mit meiner Skepsis gegenüber einer Umwandlung des Stalkingparagrafen zu einem Eignungs- oder Gefährdungsdelikt stehe ich auch nicht alleine da. In der juristischen Literatur wird zum Beispiel argumentiert.

„Lässt sich das Opfer von der Nachstellung nicht beeindrucken, ist nicht einzusehen, warum der letztlich folgenlose Angriff auf das Rechtsgut `individueller Lebensbereich – eingedenk des Prinzips der strafrechtlichen Ahndung als `ultima ratio` – pönalisiert werden sollte.“ (Münchener Kommentar zum StGB, Gericke, § 238 StGB, Rdn. 17)

In einem Aufsatz aus dem Jahr 2014 heißt es:

Ob sich durch die Ausgestaltung als Eignungsdelikt wirklich ein verbesserter Opferschutz erreichen lässt (…) ist äußerst ungewiss. Die Gefahr eines möglichen >Bumerangeffekts< ist sicherlich nicht auszuschließen. Schließlich sollte hinterfragt werden, ob wirklich gerade der Straftatbestand geändert werden müsste. Dass ein Ausbau zivil- und/oder polizeirechtlicher Abwehrmaßnahmen dem Schutz der Verfolgten möglicherweise wesentlich besser dienen könnte, wird in der aktuellen Diskussion gar nicht erst erwogen. Grundsätzlich soll aber das Strafrecht die Ultima ratio sein und nicht das zuvörderst eingesetzte Mittel. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass eine Bestrafung prinzipiell direkt lediglich eine Reaktion auf bereits Geschehenes (das unerwünschte Verhalten) darstellt und nicht ohne Weiteres Schutz vor weiteren Handlungen eines Täters bietet. Die ohnehin sehr strittige und zweifelhafte Frage der abschreckenden Wirkung einer Strafandrohung dürfte sich bei der Nachstellung noch verstärkt stellen: Sind die Folgen fortlaufenden >Stalkings< wohl vielfach psychische Schäden beim Opfer, wird bei einer Vielzahl der (potenziellen) Täter ebenfalls eine psychische Auffälligkeit oder gar Störung vorliegen, die eine präventive Wirkung sehr unwahrscheinlich macht, weil dem >Stalker< das Unrecht oder auch nur die Lästigkeit seines Handelns nicht klar ist. Insgesamt wiegen die Bedenken gegen eine Neuregelung damit erheblich schwerer als deren bloß vermutete – aber eben unsichere – Effekte.“ (Köhne, „Unerwünschte Nähe-Mehr Opferschutz bei Nachstellungen?“, ZRP 2014, S. 141)

Sicherlich, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes macht es nicht ganz einfach, wird sie doch als sehr restriktiv empfunden. Bei genauerem Hinsehen, kann sie allerdings auch als Argument für die Beibehaltung als Erfolgsdelikt angesehen werden (und mit ein wenig Mühe muss dazu nicht mal das „schwerwiegend“ gestrichen werden). In dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 19. November 2009 im Hinblick auf den Tatbestand des § 238 StGB heißt es:

„Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten veranlasst wird, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. (…) Sie wird beeinträchtigt, wenn das Opfer durch die Handlung des Täters veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte; stets festzustellen ist demnach eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände (…). Dieses weite Tatbestandsmerkmal erfährt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Einschränkung dahin, dass die Beeinträchtigung schwerwiegend sein muss. Erfasst werden damit im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (…). Nicht ausreichend sind daher weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer so genannten Fangschaltung zum Zwecke der Beweissicherung. Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend anzusehen. Danach schützt der Tatbestand weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene, die sich durch das Nachstellen nicht beeindrucken lassen.“

Der BGH zählt das Wechseln des Arbeitsplatzes und der Wohnung nur exemplarisch auf, nicht aber als alleinige Bedingung um eine Strafbarkeit nach § 238 StGB zu begründen. Hinzu kommt aber noch, dass in dem der Entscheidung des BGH zu Grunde liegenden Fall auch ein Verstoß gegen eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz vorgelegen hat. Es ist leider nicht bekannt, ob in diesem Fall auch eine Verurteilung nach dem Gewaltschutzgesetz stattgefunden hat und wenn nein, warum nicht. Die Verletzte in dem BGH-Fall änderte ihr Verhalten wie folgt:

Die Zeugin nahm die Drohungen des Angeklagten ernst und hatte Angst um ihr Leben. Aufgrund des Verhaltens des Angeklagten gab sie erhebliche Teile ihrer Freizeitaktivitäten auf. So verließ sie etwa aus Angst vor diesem abends wenn möglich nicht mehr ihre Wohnung und öffnete aus Furcht die Haustür nicht mehr. In der Wohnung schaltete sie abends kein Licht mehr an, um dem Angeklagten vorzutäuschen, nicht zu Hause zu sein. Sie verließ auch tagsüber ihre Wohnung und ihre Arbeitsstätte nur nach besonderen Sicherheitsvorkehrungen und bemühte sich, sich nicht allein auf der Straße aufzuhalten. Aufgrund ihrer Angst und der damit verbundenen Einschränkungen verlor sie erheblich an Gewicht.“

Vermutlich wird es nach der Debatte im Bundestag noch eine Anhörung geben. Ich bin auf diese gespannt. Vielleicht gibt es ja noch neue Erkenntnisse. Bislang jedenfalls bin ich noch nicht überzeugt, dem vorgelegten Gesetzentwurf zuzustimmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert