OVG erlaubt Schlafzelte

Das OVG Hamburg hat nun doch Übernachtungszelte im Protestcamp genehmigt. Das ergibt sich aus dieser Entscheidung. Zur Erinnerung: Hier habe ich über die Entscheidung des VG Hamburg geschrieben, mit der die Übernachtungszelte untersagt wurden.

Das OVG sah glücklicherweise die Sache mit den Übernachtungszelten im Protestcamp etwas anders als das VG. Der Beschluss des OVG ist im Hinblick auf künftige Versammlungsrechtsentscheidungen aber nicht nur wegen der Übernachtungszelte relevant, sondern auch wegen der Debatte um die Einschränkung öffentlicher Flächen und der Schädigung der Natur.

Das OVG ordnete mit dem Beschluss die aufschiebende Wirkung im Hinblick auf den Widerspruch gegen die Untersagung von Schlafzelten, Küche und Dusche auf dem Camp an. Damit können diese im Umfang der Entscheidung des OVG errichtet werden. Das OVG entschied:

„Das unter Nr. 3 untersagte Aufstellen von Schlafzelten, das Errichten von Duschen sowie der Aufbau von Küchen ist eine unter Berücksichtigung der Gefährdung gemäß § 15 Abs. 1 VersG (s.o.) unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur teilweise rechtmäßige Auflage. Die Antragsgegnerin hat bis zu 300 Schlafzelte für jeweils maximal 2-3 Personen, Waschgelegenheiten sowie eine Küche zur Selbstversorgung zu gestatten.“

Das OVG verweist zunächst auf den Ermessensspielraum, den das BVerfG eingeräumt hat. Nach diesem kann die Versammlungsbehörde berücksichtigen, in welchem Umfang Maßnahmen zur notwendigen Infrastruktur gehören. Das Problem an der Entscheidung des BVerfG war nun allerdings, dass es die Option der Untersagung von Schlafzelten eröffnet hatte.

Insbesondere sind die Behörden berechtigt, die Errichtung von solchen Zelten und Einrichtungen zu untersagen, die ohne Bezug auf Akte der Meinungskundgabe allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen.
Das war das Einfallstor für das VG um die Infrastruktur zu untersagen. Das OVG wiederum findet das falsch. Unter Verweis auf das BVerfG beschloss es:
Nach dieser Rechtsprechung lässt sich eine gänzliche Untersagung des Aufstellens von Infrastruktureinrichtungen, wie sie in der Auflage Nr. 3 zum Bescheid vom 2. Juli 2017 aufgeführt sind (Schlafzelte, Duschen, Küchen), nicht begründen.
Das Protestcamp sei in seiner Gesamtheit entsprechend der Anmeldung und damit grundsätzlich auch mit der Infrastruktur dem Versammlungsrecht zu unterstellen. Allerdings könne der Umfang des Camps begrenzt und mit Auflagen versehen werden, die eine nachhaltige Beeinträchtigung der Natur hinreichend ausschließen. Die in meinen Augen auch für zukünftige Camps entscheidende Aussage des OVG lautet:
„Nach Überzeugung des Beschwerdegerichts kann dies nicht dahin verstanden werden, dass die Antragsgegnerin befugt ist, vorgesehene Infrastruktur allein deshalb zu untersagen, weil sie nicht zwangsläufig für die Durchführung der Versammlung erforderlich ist, weil ihr also für sich genommen keine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und sie keinen inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist (…) . Andernfalls liefe die ersichtlich auf die Anmeldung des Antragstellers abstellende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, das geplante Protestcamp den Regeln des Versammlungsrechts zu unterstellen, leer. Die Untersagung von Einrichtungen muss also -wenn sie nicht, was das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klarstellt, mit Sicherheitsbelangen begründet wird – einen Bezug zum Umfang des Camps im Sinne der Flächeninanspruchnahme haben. In diesem Fall können Einrichtungen untersagt werden, denen jeglicher Bezug zur Meinungskundgabe fehlt, wie dies insbesondere bei Zelten der Fall sein kann, die als reine Schlafstätte für Menschen dienen, denen es nicht um den Besuch von Veranstaltungen im Camp selbst, sondern andernorts in Hamburg geht. Im Umkehrschluss geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Zelte und vergleichbare Einrichtungen nicht allein deshalb untersagt werden können, weil das Übernachten für sich genommen kundgabeneutral ist, wenn es den Nutzern darum geht, die im Camp angebotenen Veranstaltungen zu besuchen bzw. an ihnen teilzunehmen.“

Kurz zusammengefasst: Dass Übernachten an sich kundgabeneutral ist, bedeutet nicht, dass keine Zelte zum Übernachten aufgestellt werden dürfen. Allerdings dürfen nur Zelte aufgestellt werden, bei denen es um Übernachtungen von Campteilnehmer*innen geht. Schlafzelte für Menschen, die gar nicht an Veranstaltungen im Camp interessiert sind, sind nach wie vor nicht erlaubt. In der Logik des Versammlungsrechtes macht das Sinn.

Das OVG setzt sich auch mit dem Argument der Schädigung der Natur und der Beeinträchtigung des öffentlichden Zugangs zum Park auseinander. Zunächst wird bemerkenswert klar und deutlich argumentiert:
„Mit jeder Nutzung eines öffentlichen Ortes im Rahmen einer Versammlung gehen in der Regel hinzunehmende, weil weniger gewichtige Beeinträchtigungen u.a. von Rechten Dritter in Form der zeitweisen Entziehung dieser Fläche für die Nutzung durch Dritte, durch Verunreinigungen und durch möglicherweise zeitweise Beeinträchtigungen der Vegetation einher.  (…) Dass vor dem Hintergrund der bereits von der Antragstellerin gestatteten Nutzung eine darüber hinaus gehende Nutzung durch Schlafzelte während dieses Zeitraums zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Elbparks durch langfristige Schäden an der Vegetation führen könnte, ist nicht ersichtlich.“
Das ist zunächst gut. Doch später nimmt auch das OVG eine bedauerliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit, erneut unter Bezugnahme auf das BVerfG, vor.
„Wenn –wie hier– die Versammlung auf einer öffentlichen Parkanlage in Form eines Camps abgehalten werden soll, müssen in Anbetracht der dem Widmungszweck der Parkfläche zugrunde liegenden Rechtsgüter – die Unversehrtheit des Parks, die Nutzungsmöglichkeit durch die Öffentlichkeit als Grün- und Erholungsanlage– nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachhaltige Schäden des Parks verhindert und die diesbezüglichen Risiken für die öffentliche Hand möglichst gering gehalten werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.6.2017, 1 BvR 1387/17, n.v., Rn. 29). Diesen Risiken kann nicht wie bei Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für eine sondererlaubnispflichtige kommerzielle Großveranstaltung etwa mit Hilfe einer Sicherheitsleistung begegnet werden. Danach ist die Antragsgegnerin zum Erlass von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG befugt, die eine Schädigung der Anlagen möglichst weitgehend verhindern (BVerfG, Beschl. v. 28.6.2017, 1 BvR 1387/17, n.v., Rn. 29). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller die Durchführung seines Protestcamps möglichst weitgehend ermöglicht werden muss.“
Auf den ersten Blick liest sich diese Passage nicht so schlimm. Doch im Detail übernimmt hier das OVG die Argumentation des BVerfG, bei Kommerzveranstaltungen könne via Sicherheitsleistung ja eine Schädigung der Natur eher verhindert werden als durch eine Demonstration. Wie ich schon in Bezug auf die Entscheidung des VG in dieser Sache kritisierte, bedeutet das, zu Ende gedacht, nun aber zweierlei: Entweder Kommerz geht vor Versammlungsfreiheit und für Kommerz gibt es Flächen, die es nicht für Versammlungen gibt, oder irgendjemand kommt demnächst auf die Idee, auch von Versammlungsanmelder*innen Sicherheitsleistungen zu erwarten. Damit wäre das Demonstrationsrecht ein Recht für Menschen, die sich demonstrieren leisten können. Das wiederum ist aber mit der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit m.E. nicht vereinbar.
Am Ende noch ein klein wenig Werbung. Hier findet sich ein toller Überblick über alle im Zusammenhang mit den G20-Protesten ergangenen Gerichtsentscheidungen.

 

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