Protokolldebatte zum G10-Aufhebungsgesetz

Es lohnt sich ja immer, im Bundestag nicht nur eine Rede zu Protokoll zu geben, sondern im Nachgang auch noch mal die Debatte dazu zu lesen. Die Debatte zum G10-Aufhebungsgesetz der LINKEN kann hier (ab S. 23030) nachgelesen werden.

Bei dem G10-Aufhebungsgesetz geht es darum, den Nachrichtendiensten des Bundes die Befugnis zu entziehen, einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vorzunehmen. Ein Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist für eine Demokratie immer ein schwerwiegender Eingriff, weil die Möglichkeit, frei von staatlicher Kenntnisnahme zu kommunizieren, wesentlicher Bestandteil einer freiheitlich demokratischen Grundordnung ist. Mit dem Gesetz werden die Befugnisse zur Einschränkung der Telekommunikationsfreiheit für die Landespolizeien, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt nicht angetastet. Leitgedanke des Gesetzentwurfes ist der einfache rechtsstaatliche Grundsatz, dass, soweit kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, ein Anspruch darauf besteht, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen ausgenommen zu sein. Dass keine Schutzlücken entstehen, wird in der Anlage 1 zum Gesetzentwurf in der Synopse versucht nachzuweisen. Dazu muss ergänzt werden, dass nicht nur die Begehung von Straftaten nach dem Strafgesetzbuch strafbar ist sondern im konkreten Fall auch der Versuch. Es kann mithin vor dem Schadenseintritt mit den Mitteln der StPO gearbeitet werden. Der Unterschied zwischen den Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis durch Nachrichtendienste und Polizeibehörden der Länder, BKA und Bundespolizei liegt darin, dass wegen niedrigerer Hürden die Nachrichtendienste eher abhören dürfen. Im G10- Gesetz werden „tatsächliche Anhaltspunkte“ verlangt, im § 100a StPO hingegen „bestimmte Tatsachen“. Für strategische Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 G10-Gesetz wiederum soll weder eine konkrete Gefahr, wie sie traditionell im Bereich der Gefahrenabwehr gefordert wird, noch gar ein hinreichender Tatverdacht, der Maßnahmen im Bereich der Strafverfolgung erlaubt, ausreichend sein, um in das Grundrecht nach Artikel 10 GG einzugreifen.

Bei der Durchsicht des Protokolls fallen zwei Sachen auf. Erstens beschäftigt sich kein Redner (ja, gegendert muss hier nicht werden) mit dem dem Gesetz zugrundeliegenden Ansatz, dass von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen ausgenommen werden muss, wer kein strafrechtlich relevantes Verhalten an den Tag legt. Ich vermute mal, eine Auseinandersetzung mit diesem Grundsatz wird vermieden, weil die Anerkennung desselben eine G10-Überwachung durch Nachrichtendienste ausschließt. Zweitens wird jegliche Auseinandersetzung mit der Synopse vermieden. Gerade da wäre es aber spannend geworden. Gibt es aus Sicht der Kritiker*innen des G10-Aufhebungsgesetzes einen Straftatbestand, der nicht durch § 100a StPO erfasst wird? Diese Anlage 1 ist ja nicht umsonst erstellt worden. Die Debatte wird ja nur unter Berücksichtigung dieser Anlage wirklich spannend.

Was wurde nun aber in der Debatte gesagt? Also geschrieben? Der Stefan Mayer von der CSU behauptet zum Beispiel: „Abgesehen von den menschlichen Quellen wären Nachrichtendienste >blind<„. Der Herr Mayer hätte nur bis Artikel 2 Ziffer 1 des Gesetzentwurfes lesen müssen um festzustellen, dass er etwas Falsches sagt. Dieser erlaubt nämlich Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie Observationen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen. Und hätte er noch etwas weitergelesen, nämlich bis Artikel 2 Ziffer 2 b), hätte er gemerkt, dass zum Beispiel das Bundesamt für Verfassungsschutz im Einzelfall Auskunft bei Luftfahrtunternehmen sowie Betreibern von Computerreservierungssystemen und Globalen Distributionssystemen für Flüge zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg ebenso einholen darf, wie bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungsein- und -ausgänge. Aber gut, das sind Fakten und die sind bei Reden offensichtlich überbewertet. Ähnlich scheint es mit der Logik zu sein. Wenn im G10-Aufhebungsgesetz, richtig von Herrn Mayer zitiert, steht: „dass die Nachrichtendienste mittelbar Aufgaben der Gefahrenabwehr- und der Strafverfolgung (mit)übernehmen“ dann ist genau das ein Problem. Das erkennt auch Herr Mayer, denn er formuliert: „Der Erklärungsansatz erscheint schlicht unverständlich; denn Aufgaben und Zuständigkeiten von Polizei und Strafverfolgungsbehörden einerseits und Nachrichtendiensten andererseits sind aus guten Gründen klar voneinander getrennt.“ Genau, Herr Mayer. In der Theorie. In der Praxis verschwimmt das wegen des G10-Gesetzes. Über die im Aufhebungsgesetz angesprochene mangelnde Kontrollmöglichkeit stolpert Herr Mayer auch. Herr Mayer zitiert Kommentare zu § 1 PKGrG. Doch auch diese Zitate belegen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium lediglich  mittelbar die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliert und nicht unmittelbar. Denn nach diesem Paragrafen unterliegt die Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium. Soweit Herr Mayer meint, die G10-Kommission sei überhaupt nicht erwähnt, empfehle ich einen Blick auf S. 15 des Gesetzentwurfes. Dort steht explizit etwas zur G10-Kommission.

Die G 10-Kommission genehmigt aber lediglich das, was Nachrichtendienste des Bundes überhaupt beantragen. Soweit die Nachrichtendienste des Bundes der Ansicht sind, es liege überhaupt kein Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 10 GG vor, wird die G 10-Kommission davon nichts erfahren und kann demzufolge auch keine Entscheidung treffen. Insofern läuft eben leer, wenn vertreten wird, die Kontrolle soll sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der erhobenen Daten beziehen. Das ist lediglich in dem Umfang möglich, wie durch Anträge beim Bundesministerium die Bundesregierung und anschließend die G10-Kommission von den Vorgängen Kenntnis erlangt.

Inhaltlich will der Herr Mayer dann die Beibehaltung des G10-Gesetzes mit den jüngsten terroristischen Anschlägen begründen und führt zum Beispiel Amri an.  Dieser kommunizierte im Vorfeld unter Nutzung sogenannter Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram. Er betone dies, weil die Sicherheitsbehörden genau damit Schwierigkeiten hätten. Dann fragt sich Herr Mayer:

Was hat das jetzt alles mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun? Nach allgemeiner Ansicht aller Sicherheitsexperten brauchen wir ein Mehr an Überwachung der Kommunikation von Terroristen im Vorfeld von Anschlägen.“

Soso. Vielleicht habe ich ja etwas verpasst, aber gerade das Beispiel Amri zeigt doch -nach bisherigem Stand- dass die Polizeibehörden der Länder (NRW, Berlin) Amri auf dem Schirm hatten. Deren Befugnisse werden doch aber durch das G10-Gesetz überhaupt nicht berührt.

Nicht ganz so plump argumentiert Clemens Binninger (CDU/CSU). Er stellt vor allem den grundlegend anderen Ansatz seiner Fraktion mit Nachrichtendiensten in den Mittelpunkt seiner Protokollrede. Das finde ich legitim. Auch in der Frage der Kontrollmöglichkeiten bleibt Binninger eher auf der ideologischen Ebene. Er hat Recht, wenn er die G 10-Kommission als unabhängiges Gremium, das über die Zulässigkeit von solchen Beschränkungsmaßnahmen entscheidet, bezeichnet. Es stimmt, die Beschränkungsmaßnahmen können erst vollzogen werden, wenn die G 10-Kommission den Antrag der Sicherheitsbehörde genehmigt hat, der zuvor auch vom Bundesministerium des Innern als berechtigt eingestuft wurde. Die Differenz besteht eher darin, dass Binninger davon ausgeht, die notwendige parlamentarische Kontrolle sei daher gegeben. Genau das ist die Differenz. Wie bereits zitiert, sehe ich das Dilemma oder die Kontrolllücke darin, dass die G10-Kommission nur darüber entscheiden kann, was ihr vorgelegt wird. Wenn Binninger nun in seiner Rede kritisiert, dass der Gesetzentwurf unterstellt, die Nachrichtendienste würden Maßnahme teilweise durchführen, ohne dies vorher zu beantragen, und dies für abwegig hält, so will ich nur daran erinnern, dass Gegenstand des NSA Untersuchungsausschusses unter anderem war, ob die G10-Kommission getäuscht wurde. Leider behauptet aber auch Binninger, es entstehe eine Schutzlücke, ohne sich mit der im Gesetzentwurf enthaltenen detaillierten Gegenargumentation auseinanderzusetzen.

Uli Grötsch von der SPD findet den Gesetzentwurf zweifelhaft. Er sieht gar die Möglichkeit eines Aprilscherzes. Immerhin versucht Uli Grötsch sich mit der Argumentation, es entstehen keine Schutzlücken durch die Abschaffung des G1o-Gesetzes, auseinanderzusetzen. Er bleibt aber dabei bedauerlicherweise an der Oberfläche. Natürlich ist, da hat er Recht, BKA-Gesetz und § 100a StPO Strafverfolgung. Aber gerade weil auch der Versuch unter Strafe steht, ist ein Eingreifen vor Schadenseintritt möglich. Wenn ich die Aussage

Aufklärung im Vorfeld, das ist es, was Nachrichtendienste tun, ob es Ihnen gefällt oder nicht.

nun richtig interpretiere, sagt Uli Grötsch damit implizit, es gelte eben nicht der Grundsatz: Wer keine strafrechtlich relevanten Handlungen begeht, hat einen Anspruch darauf, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen verschont zu werden. Auch Uli Grötsch argumentiert mit Anis Amri. Auch hier muss wieder gefragt werden, ob es nicht so war, dass die Landespolizeien Amri bereits auf dem Zettel hatten. Aber immerhin hat Uli Grötsch gelesen, dass mit dem Wegfall des G10-Gesetzes kein Stellenabbau im Öffentlichen Dienst beabsichtigt ist, weil dies rote Haltelinien überschreiten würde.

Bedauerlicherweise ist der Gesetzentwurf auch Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu radikal. Er verleiht primär ein „Fleißkärtchen“, lässt aber sonst eher Ablehnung für den Gesetzentwurf erkennen.  Bedauerlicherweise argumentiert der Kollege Ströbele im Hinblick auf den Umfang der zahlenmäßigen Bedeutung formeller G-10-Überwachungen unter Verweis auf den Bericht des Bundestages im Hinblick auf den BND, dass dieser im Jahr 2015 aus 2 000 strategisch erfassten Kommunikationen nur 52 als relevant eingestuft und weiterbearbeitet habe. Nun findet aber G10 nicht nur bei der strategischen Fernmeldeaufklärung des BND (§ 5 G10-Gesetz) statt, sondern es gibt auch die Maßnahmen nach § 3 G10-Gesetz und § 8 G10-Gesetz. Und es ist eben nicht nur der BND, der nach G10 Eingriffe vornimmt, sondern auch der MAD und das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich stelle jetzt mal die mutige These auf, dass die 52 vom Kollegen Ströbele genannten Beschränkungen nicht die Einzigen sind.  Noch bedauerlicher finde ich allerdings, dass der Kollege Ströbele suggeriert, der Polizei sollten noch mehr geheimdienstliche Befugnisse übertragen werden. Davon steht kein Wort im Gesetzentwurf. Der Gesetzentwurf argumentiert mit den bestehenden Befugnissen, und auf Seite 14 heißt es:

§ 100a StPO selbst bedarf einer umfassenden Novellierung, um unverhältnismäßige Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit zu unterbinden. Dies ist eine über diesen Gesetzentwurf hinausgehende Herausforderung an die Politik. Gleiches gilt für das BKAG.“

Der Kollege Ströbele unterstellt also schlichtweg etwas, das anders im Gesetzentwurf steht. Schade finde ich, dass die Aussage, die Annahme, die G-10-Befugnisse könnten alternativ 1 : 1 wahrgenommen werden durch schon bestehende polizeiliche Befugnisse, sei nicht sorgfältig subsumiert, nicht weiter untersetzt wird. Da wäre doch die Gelegenheit gewesen, sich mit der Anlage 1 zu beschäftigen. So bleibt im Dunkeln, was denn an der Anlage 1 nicht ordentlich subsumiert sein soll. Ich könnte jetzt mal prompt das Gegenteil behaupten, wenn in der Rede tatsächlich auf die Anlage verwiesen wird um die Schutzlücke doch noch zu sehen. Der § 5 G10-Gesetz verlangt in Bezug auf Anschläge (Abs. 1, Ziffer 2) explizit einen unmittelbaren Bezug zur Bundesrepublik um eine Maßnahme genehmigen zu können. Soweit Kollege Ströbele mit einer Schutzlücke im Hinblick auf die Entführungsfälle nach § 8 G10-Gesetz  argumentiert, findet sich in der Anlage 1, S. 27/28 des Gesetzentwurfes auch dazu eine Argumentation.

 

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