Quantität gleich Qualität? Nein.

Soso. „Die Zeit“ hat also eine Abgeordnetenbilanz erstellt. Das ganze firmiert dann unter der Überschrift „Die aktivsten Abgeordneten„. Fast könnte der Eindruck entstehen, es handelt sich um Zeugnisse.

Ich könnte mich nun zurücklehnen, schließlich tauche ich im ersten Drittel auf. Aber ich lehne mich nicht zurück, ich ärgere mich. Ich ärgere mich über diese Statistik, die suggeriert, Quantität gleich Qualität und der Arbeit von Abgeordneten nicht gerecht wird.

Nehmen wir mal die Redezeiten und hier als Beispiel die Redezeiten der LINKEN. Auch insoweit könnte ich mich bequem zurücklehnen. Sprechen nun aber die Redezeiten für besondere Qualität? Ich finde nicht. Ich erinnere mich an eine Superrede meines Kollegen Alexander Süßmair zum Tierschutz zu später Stunde. Alex war für das Thema Tierschutz zuständig, ein Thema, was nicht so häufig im Bundestag debattiert wurde. Meine vielen Reden haben damit zu tun, dass meine Themen (Wahlrecht, Sicherungsverwahrung und Netzpolitik) in dieser Legislaturperiode besonders häufig debattiert wurden. Das ist doch aber nicht mein Verdienst. Die wichtigste Arbeit im Bundestag findet in den Ausschüssen statt. Wer sich einmal mit Haushälter/innen unterhalten hat, der weiß, dass diese viele lange Sitzungen haben, tatsächlich aber im wesentlichen nur zweimal im Jahr im Bundestag reden.

Keine Berücksichtigung findet in der Abgeordnetenbilanz auch, dass ganz viele Aktivitäten (geführt offensichtlich unter Gruppenaktivitäten) davon abhängig sind, in welchem Arbeitskreis -zumindest in der LINKEN- ein/e Abgeordnete/r ist. Denn Kleine Anfragen zum Beispiel werden in einem Arbeitskreis erarbeitet -meist von einem/einer einzelnen Abgeordneten- und die Arbeitskreismitglieder zeichnen einfach mit. Auch hier ist vieles von der Konjunktur politischer Themen abhängig.

Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, warum einer solchen Umfrage oder Bilanz mit Skepsis zu begegnen ist. Es gibt in Deutschland -zu meinem Bedauern- ein Zweistimmenwahlrecht. Mein eigener Vorschlag für eine verändertes Wahlrecht war in der Fraktion nicht mehrheitsfähig. Wenn wir aber ein Zweistimmenwahlrecht haben, dann müsste in die Bewertung der Aktivitäten von Abgeordneten eben auch die Wahlkreisarbeit einfließen. Es wird immer wieder gefordert, dass die Abgeordneten vor Ort bei ihren Wähler/innen aktiv sein sollen. Bei der Bewertung spielt dies aber offensichtlich keine Rolle. Mal abgesehen davon, fehlt auch jegliche Berücksichtigung der Unterstützung von außerparlamentarischen Aktivitäten (und wegen mir kann der Begriff sehr weit verstanden werden) in der Statistik.

Kurz und gut: Ich glaube, die Statistik verfälscht die Arbeit von Abgeordneten. Sie erweckt den Eindruck, viel reden und viel fragen macht eine/n fleißige/n Abgeordnete/n aus. Das scheint mir nicht zutreffend zu sein. Und um nicht missverstanden zu werden: Abgeordnete, die weder reden noch fragen und auch nicht im Wahlkreis aktiv sind, sind natürlich auch keine guten Abgeordneten, zumindest keine fleißigen.

4 Replies to “Quantität gleich Qualität? Nein.”

  1. Königsdisziplin einer MdB ist, sich bekannt zu machen – sei es durch BLÖD-Schlagzeilen. So läuft das Business…
    Der Vorschlag einer Ulrike-Meinhof-Straße wäre z.B. sowas…

  2. ich halte es da mit Pispers. „da tagt mal wieder ein Ausschuß und produziert prommt wieder gleichnamige Ware“

    Aber schön wenn Ihr bei dem Schauspiel, welches Ihr Demokratie nennt, so schön strampelt und um Aufmerksamkeit buhlt. Ohne den Hinweis wäre gar nicht aufgefallen das die Blogbetreiberin so viel „arbeitet“.

  3. Und was sagst du zu Abgeordneten, die anpreisen etwas verändern zu wollen, aber irgendwann meinen, dass sie ja eigentlich nichts verändern könnten?

  4. es kommt darauf an, was du unter „verändern“ verstehst. in der wahlkreisarbeit gibt es ganz viele dinge die durchaus auch schnell veränderbar sind, da ist es egal ob du oppositions- oder regierungsfraktionsmitglied bist.
    was den bundestag angeht ist es leider so, dass die festgefahrenen regeln so sind, dass vorschläge der opposition keine mehrheit finden. jedenfalls zunächst nicht. wenn der gesellschaftliche druck zu groß wird und die argumente der oppositionsparteien zu gut sind, bewegt sich aber manchmal doch etwas: zum beispiel beim thema mindestlohn.
    wovon man/frau sich jedoch befreien sollte ist aber die illusion als oppositionsabgeordnete/r schreibst du einen antrag/gesetzentwurf und alles verändert sich. und ich finde wir brauchen eine gesellschaftliche debatte darüber, wie parlamentarismus eigentlich funktionieren sollte und wie er tatsächlich funktioniert.

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