Unterschiedliche Wahrnehmung?

Als hätte es noch nie irgendeine Studie zu Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und autoritärem Denken im Osten gegeben. So kommt mir derzeit die Debatte um das Wahlergebnis der AfD vor. Stattdessen jede Menge Artikel, bei denen sowas wie  versteckte Sympathie, getarnt als Verständnis, für diese Wähler*innen herauszulesen ist.

Die im Verhältnis zu Wahlberechtigten im jeweiligen Bundesland deutlich erhöhten Zustimmungswerte der AfD im Osten werden dann mal relativiert, indem auf die Gesamtzahl der AfD-Wählenden abgestellt wird. Oder das Wahlergebnis wird mit der Benachteiligung des Ostens begründet. Sicherlich ist gerade an Letzterem nicht alles falsch. Aber richtig wird es trotzdem nicht.

Wie wäre es denn mal sich der These anzunehmen, dass das Wahlergebnis im Osten für die AfD vor allem etwas damit zu tun hat, dass es dort ein Problem mit Demokratie gibt? Vor der Wende gab es die Staatspartei SED. Die hat alles entschieden. Nachdenken war nicht nötig, es gab ja auch nicht wirklich Alternativen. Nach der Wende -hier vor allem in Sachsen- kam die CDU. Die wurde die neue Staatspartei. Sie hat alles entschieden. Nachdenken war nicht nötig, die Alternativen stellten auch eine Überforderung dar. Wie bitte, selbst entscheiden? Selbst Dinge in die Hand nehmen? In einer immer komplizierteren Welt sich selbst eine Meinung bilden? Das wurde früher nicht gelernt und heute will es nicht gelernt werden. Es ist eben einfacher, wurde ja im Osten auch früher so gelernt und dann trotz Einheit weitergegeben, auf „die“ und „wir“ zu setzen. Es ist einfacher, wurde ja auch früher so gelernt und trotz der Einheit so weitergegeben, dass die eigene Position immer auch die der anderen ist. Die Vorstellung, es gäbe unterschiedliche Meinungen und Positionen, es gibt eben nicht „den“ Volkswillen, woher soll sie kommen? Gemoppert hat man auch früher, dann kann man das heute auch machen. Aber wehe, es soll etwas über das Moppern hinaus gemacht werden. Lieber nicht. Ist auch viel zu unbequem.

In den Analysen zum Wahlergebnissen finde ich diesen Aspekt kaum. Vielleicht liege ich ja auch einfach falsch.

Stattdessen finde ich beispielsweise diesen Artikel. Lese nur ich daraus eine Bagatellisierung, Verharmlosung, Relativierung und Entschuldigung? Es gibt keine Begründung eine Partei zu wählen, die rassistisch ist, die eine offene und plurale Gesellschaft ablehnt und völkisches Denken predigt. Wer wirklich Wähler*innen der AfD zurückgewinnen will, muss dies in aller Deutlichkeit sagen. Wer irgendwie die oben beschriebene Art von Verständnis zeigt, der wird keinen Rückgewinn erreichen, eher Ermutigung die AfD wieder zu wählen.

Im Artikel heißt es:

„Zu den Besonderheiten im Osten gleich mehr, doch sei zunächst mal darauf hingewiesen, dass die AfD mehr als zwei Drittel ihrer Stimmen im Westen holte.“

Ja holla, was will uns der Autor sagen? Alles nicht so schlimm? Der Autor lässt mal eben unter den Tisch fallen, das von knapp 50 Mio. Wählenden nur knapp 9,5 Mio. in den Ostländern (inklusive Berlin) wohnen. Vielleicht hilft es, sich mal die Zweitstimmenergebnisse im Osten anzusehen. Die AfD ist deutlich zweistellig in allen ostdeutschen Bundesländern, aber im Westen nur knapp zweistellig im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Hessen, Bremen, Bayern und Baden-Württemberg.  In Sachsen ist sie bei den Zweitstimmen stärkste Partei. Aber hey, alles nicht so schlimm, zwei Drittel der AfD-Wählenden kommt ja aus dem Westen.

Weiter heißt es:

Dabei unterscheiden sich Ost- und West-Mann in ihrer Substanz kaum. Es gibt hier wie dort zum ähnlichen Prozentsatz Fremdenfeinde, Hasskappen und Rassisten.

Dieser ähnliche Prozentsatz zeigt sich aber gerade nicht im Wahlergebnis. Warum also diese Einordnung? Weil es vielleicht doch um Relativierung und Entschuldbarkeit geht?

„Drei Viertel der AfD-Wähler in beiden Landesteilen jedoch antworteten Forschern, sie hätten die Partei aus Protest gewählt. Das ist gewiss kein hehres, aber nachvollziehbares Motiv, handelt es sich doch überwiegend um Protest gegen die Folgen von Globalisierung, Gängelung und Geringschätzung, die in Ost und West zum Teil sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und empfunden werden.“

Mal abgesehen davon, dass schon an dieser Stelle der Autor sich widerspricht, nein es ist nicht nachvollziehbar! Doch zunächst zum Widersprechen: Wenn doch der Großteil der AfD-Wählenden aus dem Westen kommt, wieso sind dann Folgen von Globalisierung, Gängelung und Geringschätzung unterschiedlich? Natürlich hinterlässt Globalisierung, wie auch die in der Aufzählung fehlende Digitalisierung, Spuren. Natürlich gibt es Geringschätzung. Aber deshalb AfD wählen? Die Gängelung hingegen ist doch -meine Sicht- eher gewollt. Sie macht das Leben doch so schön einfach. Andernfalls könnte man sich ja auch gegen die Geringschätzung und die Folgen der Globalisierung zusammenschließen und selbst aktiv werden.

Der Artikel weist aber auch andere Schwächen auf. Die Agenda 2010 (die der Autor offensichtlich richtig findet) wurde erst 12 Jahre nach der Wende beschlossen. War die Gesellschaft im Osten da wirklich noch instabil, wie behauptet wird? War der Umbruch in der Lebenswelt dort nicht schon weitgehend abgeschlossen? Natürlich ist die Ökonomisierung des Sozialen ein Problem, aber wie der Autor schreibt, wurde sie bereits Ende der 1990iger Jahre betrieben. Und gab es diese im Westen nicht auch? Da wird im Artikel darauf hingewiesen, dass kaum ein Betrieb im Osten nach Tarif entlohnt, aber keine Frage gestellt, warum Gewerkschaften noch immer unterschiedliche Tariflöhne Ost und West fordern. Auch der Organisationsgrad innerhalb der Gewerkschaften wird nicht thematisiert. Sicherlich liegt das auch an den Gewerkschaften, vielleicht aber auch an mangelnder Bereitschaft im Osten, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Das Beispiel der Thüringer Suchtklinik ist empörend, aber ist es lediglich ein Einzelbeispiel nur im Osten?

Dann kommt der Autor mit der Fremdbestimmung. Sicherlich, auch ich hätte mir einen anderen Weg der Vereinigung gewünscht. Aber will man wirklich nach 27 Jahren noch von Fremdbestimmung reden? Gibt es nicht mittlerweile eine ganze Generation, die -wie ihre Altersgefährten im Westen- mit den gleichen Regeln aufgewachsen sind? Wo ist da die Fremdbestimmung? Und ehrlich, was wäre denn anders gelaufen? Wieviel Menschen aus dem Osten haben sich um die Wendezeit jenseits der Demonstrationen wirklich politisch engagiert? Wieviele am Runden Tisch oder dessen Ergebnissen wirklich Interesse gezeigt. Wurde nicht bei der Wahl 1990 bewusst von der Mehrheit die schnelle Vereinigung gewählt? Und wer den Artikel weiter liest, dem fällt dann auch auf, dass auch die EU zur Fremdbestimmung beigetragen hat, Stichwort EU-Vorschriften. Nur, diese gab es nicht nur im Osten und diverse EU-Gelder flossen explizit in den Osten. Gibt es die Bürokratie wirklich nur im Osten? Oder gibt es das Gefühl der Entmündigung auch für westdeutsche Kommunalpolitiker*innen?

Wenn der Autor schließlich schreibt:

„Traditionelle Bindungen an Parteien oder auch nur an Kirchen und Vereine gibt es im Osten ohnehin kaum. Dass zwischen Elbe und Oder immer wieder Männer auffällig werden, liegt auch daran, dass sie in der Mehrheit sind. In manchen Ost-Landkreisen gibt es in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen 25 Prozent Männerüberschuss.“ 

kommt er meines Erachtens dem Problem tatsächlich etwas näher, was das AfD-Ergebnis erklären kann. Es gibt zu wenig zivilgesellschaftliche Strukturen im Osten und ein seit den 1990er Jahren kontinuierlich bestehendes Rechtsextremismusproblem. Beides bedingt sich und beides hat eben dann doch etwas mit DDR-Erfahrung zu tun: Geschlossene, homogene Gesellschaft in der es andere in die Hand nehmen Probleme zu lösen. Selbstinitiative ist nicht gefragt.

Am Ende noch die Geringschätzung. Mal vorweg: Nur weil ich gering geschätzt werde, wähle ich nicht AfD, wähle ich nicht rassistisch. Was macht bitte diese Geringschätzung aus? Woran wird sie konkret festgemacht? Spielt Ostdeutschland wirklich nur als Problemfall eine Rolle? Und wenn Ostdeutschland tatsächlich ein Problemfall ist, der ganze Artikel bis zu dieser Stelle legt das nahe, sollte dann nicht darüber berichtet werden? Wenn doch, wie der Autor nahelegt, den meisten Ostdeutschen der Neubeginnn geglückt ist, warum reden sie nicht drüber? Warum nutzen sie nicht die Möglichkeiten, die es mittlerweile gibt,  um darauf aufmerksam zu machen? Kann es sein, dass dies auch für jene damit zu tun hat, dass sie darauf setzen, dass andere das für sie tun?

In einem hat der Autor recht:

„Die Entwicklung im Osten wirkt, vor allem bei den Globalisierungsfolgen, wie eine Blaupause für das, was auch auf den Westen zukommt und was, siehe Wahlergebnis, bereits jetzt zu spüren ist.“

Aber eben nicht nur Globalisierung, sondern auch Digitalisierung. Und ja, darauf brauchen die Parteien Antworten. Aber eben solche, die Globalisierung und Digitalisierung gestalten wollen. Das wiederum geht nicht mit einem Zurück zum Nationalstaat und mit einer geschlossenen Gesellschaft. Das sollte immer wieder deutlich gesagt werden, statt Verständnis für Abschottung, völkische Politik und geschlossene Gesellschaft zu entwickeln.

PS: Der Autor scheint an sich Pegida und Co nicht per se schlimm zu finden. Zumindest liest sich dieser Artikel so, in dem es unter anderem heißt:

„Die pauschale Einordnung als >rechts< aber scheint bis heute für nicht wenige in Politik und Medien alles zu erklären, nur selten wird überhaupt zwischen konservativ, rechtspopulistisch, rechtsradikal und rechtsextrem getrennt. Vielmehr ist >rechts< meist irgendwie >Nazi<, womit sich in einer Mischung aus Feigheit und Faulheit jede weitere Auseinandersetzung erübrigen soll, Ende der Diskussion. Auf diese Weise wurden lange etwa Pegida und die AfD pauschal abmoderiert, was jedoch diesen Gruppierungen erst recht Zulauf bescherte.“

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