BVerfG erlaubt lokal unterschiedlichen Triage-Vorgaben

Die Veränderung des Zeitgeistes lässt sich an zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur sog. Triage gut aufzeigen. Währen im Jahr 2021 das BVerfG noch den Gesetzgeber gerügt hat, keine Vorkehrungen getroffen zu haben, dass Niemand wegen einer Behinderung im Rahmen von Triage Entscheidungen benachteiligt wird, sagt dasselbe Gericht im Jahr 2025 die notwendigen Entscheidungen einer Triage können lokal nach unterschiedlichen Vorgaben getroffen werden. Triage meint in diesem Fall Entscheidungen bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen. Aus Sicht von Betroffenen dürfte die Entscheidung aus dem Jahr 2025 ganz bitter sein. Vielleicht spiegelt diese Entscheidung aber Continue Reading →

Politisierung juristischer Begriffe

Die Politisierung juristischer Begriffe hat gerade Hochkonjunktur. Unter Politisierung juristischer Begriffe verstehe ich, wenn zur Begründung einer politischen Auffassung auf einen Begriff Bezug genommen wird, der eine juristische Bedeutung und einen juristischen Hintergrund hat. Die Politisierung juristischer Begriffe ist aus meiner Sicht ein großes Problem – denn am Ende stellt sie die Gewaltenteilung in Frage. Die Machtbeschränkungs- und die Ermöglichungsfunktion von Recht geht verloren, ob etwas geschieht oder unterlassen wird ist dann allein von politischen Opportunitätserwägungen abhängig, nicht mehr von Rechtsetzung. Diskussion um Veränderungen von Recht und Rechtslauslegung werden obsolet. Enteignung vs. Vergesellschaftung Die Vergesellschaftungsinitiative Berlin hat den Namen „DW Continue Reading →

Würde, Schutz des Rechts auf Leben und Patriarchat

Die Debatte um die eigentlich längst geklärte juristische Frage der Identität von Würde des Menschen und des Schutzes des Rechts auf Leben, die um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgeführt wurde, hat sich an der Frage Schwangerschaftsabbruch festgemacht. Art. 1 Abs. 1 GG (Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt) und Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 3 GG (Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.) wurden in den vergangenen Tagen von 80 Continue Reading →

Bundesverfassungsgericht und Richter*innenwahl

Normalerweise ist die Wahl von Richter*innen für das Bundesverfassungsgericht kein großer Aufreger. Würde eine Umfrage gemacht werden, wüssten wahrscheinlich die wenigsten Menschen, wie so ein Wahlvorgang abläuft und das vor der Wahl im Plenum des Bundestages der Wahlausschuss einen Vorschlag unterbreitet. Die Richter*innen des BVerfG werden zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit (§§ 6,7 BVerfGG). Es gibt also gar keine offizielle Regelung, welche Partei welches Vorschlagsrecht hat, das Vorschlagsrecht liegt beim Wahlausschuss. Es gibt aber inoffizielle Vorschlagsregelungen. Im Jahr 2018 habe ich mal die Idee gehabt, dass zur Entkopplung von Politik und Bundesverfassungsgericht auch Continue Reading →

Klima-Soli und Grundgesetz

Die Idee eines Klima-Solis ist noch unausgereift. Erstmals habe ich sie gemeinsam mit Elke Breitenbach im Juni 2023 formuliert. Damals als Frage: „Ist eine >Ausgleichsabgabe< für ein die Klimakatastrophe beförderndes Wirtschaften eine angemessene Lösung und wie kann diese ggf. ausgestaltet werden?“ Der Gedanke dahinter: Selbst wenn es keine Reichen (Milliardäre) mehr gäbe, wäre der Klimawandel noch nicht gestoppt und seine Folgen würden Menschen ohne oder mit geringem Einkommen im globalen Norden, vor allem aber die Menschen im globalen Süden besonders treffen. Wer also in einer die Klimakatastrophe befördernden Art produziert, sollte für die Folgen aufkommen. Heute würde ich die Idee Continue Reading →

Konstituierung des Bundestages und Art. 39 Abs. 3 GG

Wie funktioniert Destabilisierung der Demokratie und Empörungsbewirtschaftung? Das machen AfD und BSW gerade gemeinsam deutlich unter Bezugnahme auf Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG. Entgegen aller juristischer Auslegungsmethodik und entgegen der Entscheidung des BVerfG vom 13. März 2025 wird verbreitet, dass nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG ein Drittel der Mitglieder des noch nicht konstituierten Bundestages eine Konstituierung erzwingen könnte, die dann vor der schon einberufenen Sitzung am 18. März stattfinden müsste. Das ist aber falsch. Zur Auslegung von Gesetzen gibt es juristische Auslegungskriterien. Der Kanon umfasst vier Auslegungskriterien: Wortlaut (Grammatik), Teleologie (Sinn & Zweck), Historie und Continue Reading →

Recht auf Nachzählung gesetzlich verankern

Für das BSW habe ich gar nichts übrig. Im Gegenteil. Die fast schon verzweifelten Bemühungen des BSW die fehlenden 0,03% der Stimmen für die Überschreitung der undemokratischen 5% Sperrklausel irgendwie zusammenzubekommen haben schon was von #Mimimimi und sind teilweise garniert mit Verschwörungstheorien. Jenseits dieser persönlichen Auffassung weisen die Bemühungen dennoch auf ein Problem hin – eine Rechtsschutzlücke im Wahlprüfungsrecht. Es fehlt die Normierung eines Rechts auf Nachzählung. Natürlich an Voraussetzungen geknüpft. Es gibt weder ein Recht auf Nachzählung noch einen Rechtsweg dieses nicht aufgeschriebene Recht zu erzwingen. Der Art. 41 GG ist eindeutig. Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestages, gegen Continue Reading →

Offensichtlicher Missbrauch des Fragerechts

Das Fragerecht von Abgeordneten ist Gegenstand umfassender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Kleine Anfragen im Bundestag können nicht von Abgeordneten allein eingebracht werden, sondern nur von Fraktionen (§ 76 Abs. 1 GO BT iVm § 75 Abs. 3 GO BT). Die Rechtsprechung zum Fragerecht ist aber auf die Kleinen Anfragen übertragbar. Die aktuellste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) explizit zum Fragerecht ist aus dem Dezember 2022. Das BVerfG wiederholt die ständige Rechtsprechung, dass dem Frage- und Informationsrecht eine grundsätzliche Antwortpflicht der Bundesregierung gegenübersteht (Rn. 53). Das Frage- und Informationsrecht existiert aber nicht nur einfach so, sondern hat einen bestimmten Zweck. Das BVerfG formuliert Continue Reading →

Immer wieder Wahlrecht – diesmal nach der BTW 2025

Mensch kann die Uhr danach stellen. Wann immer Wahlrechtsdebatten geführt werden – gähnende Desinteressiertheit von Wählenden, Journalisten*innen und (potentiellen) Abgeordneten. Dann kommt die Wahl und mit ihr die Überraschung, was da alles wie geregelt ist oder nicht. Von Null auf Hundert sind alles Hobbyverfassungsrechtler*innen und Wahlrechtsexpert*innen. Nach dieser Bundestagswahl betraf es zwei Komplexe. Die Zweitstimmendeckung (I.) und die Wahl –oder besser in diesem Fall die Nichtwahl- durch Auslandsdeutsche (II.). Allgemeines zum Wahlrecht Das Wahlrecht ist in Art. 38 Abs. 1 GG nur in Grundzügen geregelt. Das Grundgesetz besagt, dass der Bundestag in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt Continue Reading →

Hochrisikospiele, das BVerfG und das Problem mit Leitsatz 2

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hochrisikospielen im Fussball wird öffentlich vor allem im Hinblick auf die Konsequenz debattiert, also ob und wieviel Geld die Vereine abdrücken müssen, auf wen diese das gegebenenfalls umlegen und ob die jeweiligen Landesregierungen eine Gebührenordnung anstreben. Die Entscheidung ist aus meiner Sicht im Einzelfall richtig und nachvollziehbar, enthält aber mit zwei Sätzen im Leitsatz 2 ein richtiges Problem. Der Leitsatz 2 des Urteils lautet: „Die Verfassung kennt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Sie (die polizeiliche Sicherheitsvorsorge –H.W.) ist keine allgemein staatliche Tätigkeit, die zwingend Continue Reading →