Diese Woche wird vom Thema Griechenland bestimmt sein. Die Situation spitzt sich erheblich zu. Es gab einen medial ausgetragenen Streit zwischen der griechischen Regierung und den sog. Institutionen, früher Troika genannt. Worum es im Kern geht? Auf der Internetseite von Sven Giegold findet sich eine Gegenüberstellung der Positionen der sog. Institutionen und der Positionen der griechischen Regierung. Während Juncker am Sonntag (28. Juni 2015) erklärte, er würde die Positionen der Institutionen öffentlich machen, war bereits am Freitag (26. Juni 2015) ein Dokument aufzufinden, welches die Veränderungen am griechischen Vorschlag durch die sog. Institutionen deutlich macht. Medial fand das Dokument vom 26. Juni 2015 kaum Beachtung. Doch das scheint mir der Streit an der Oberfläche zu sein. Am Ende glaube ich, geht es um grundsätzlich unterschiedliche Ansätze.
Als der Bundestag im Februar 2015 über die Verlängerung der Stabilitätshilfen für Griechenland abgestimmt hat, hatte ich mit „Ja“ gestimmt, nachdem ich mir selbst Fragen zur Abstimmung gestellt hatte. Leider -ja, das ist eine Selbstkritik- habe ich nach der Abstimmung das Thema wieder etwas aus den Augen verloren. Auf den Gebieten, für die ich zuständig bin (Rechts- und Netzpolitik), gab es genügend Dinge zu tun. Und in einer Fraktion gibt es ja eigentlich Arbeitsteilung. Mein Blogbeitrag im Februar endete mit folgenden Sätzen: „Die Frage, die sich alle linken Zustimmenden jetzt stellen müssen ist, welchen konkreten Beitrag sie leisten können, dass die Chancen eine Chance auf Realisierung haben. In der Erklärung der Eurogruppe vom 24. Februar 2014 heißt es, dass die `Reformmaßnahmen … spätestens bis Ende April weiter konkretisiert und mit den Institutionen vereinbart` werden müssen. Wie im Sinne der griechischen Regierung die Konkretisierung und Vereinbarung auch in Deutschland begleitet werden kann, das ist die jetzt anstehende Aufgabe, soll Unterstützung nicht nur Lippenbekenntnis sein. Ich habe (…) vorgeschlagen, ein Monitoring in der Fraktion einzurichten. Dieses soll ermöglichen, dass die Fraktion mit den ihr zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln öffentliche und parlamentarische Aufklärung über die Verhandlungen zur Konkretisierung der Reformmaßnahmen ergreifen und so die griechische Regierung parlamentarisch unterstützen kann.“ Ein solches Monitoring hat es nicht gegeben. Es gab eben keine kontinuierliche Information wie sich die Konkretisierung der Reformmaßnahmen gestaltet. Es gab keine Berichte über den Stand der Konkretisierung im April. Es gab keine Information welche konkreten Schritte eingeleitet wurden und werden um:
- Bei der Mehrwertsteuerpolitik die Sätze zu vereinfachen, so dass die tatsächlichen Einnahmen maximiert werden, ohne dass sich dies negativ auf die soziale Gerechtigkeit auswirkt.
- Alle Gesellschaftsgruppen, insbesondere die Wohlhabenden, heranzuziehen um einen gerechten Beitrag zur Finanzierung der staatlichen Maßnahmen zu leisten.
- Steuerbetrug und Steuerrückständen der höheren Einkommensgruppen effektiv zu begegnen.
- Eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und Qualität unter Wahrung des allgemeinen Zugangs zu medizinischen Leistungen zu gewährleisten.
- „Schuldner mit niedrigem Einkommen und geringen Verbindlichkeiten“ zu entkriminalisieren und „im kommenden Zeitraum Versteigerungen von Hauptwohnungen von Personen mit Einkommen unter einer bestimmten Schwelle“ zu vermeiden.
- Schrittweise die Mindestlöhne anzuheben und den „Bedürfnisse, die mit dem jüngsten Anstieg der absoluten Armut (…) einhergehen, durch gezielte nichtfinanzielle Hilfen“ zu erfüllen.
- Die „derzeitigen Lohnuntergrenzen“ nicht zu senken.
- Um die Grundversorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen.
Das waren jedenfalls die Gründe aus dem damaligen Papier zu Reformmaßnahmen, die mir eine Zustimmung ermöglichten. Ich hätte mir gewünscht -und ja, mein Fehler das ich es nicht eingefordert habe- das regelmäßig darüber in kurzer und knapper Form informiert worden wäre. Aber es gab keine Begleitung der Verhandlungen der griechischen Regierung mit den Institutionen mit den parlamentarischen Mitteln die einer Fraktion zur Verfügung stehen. Ich hörte so manchen abstrakten Vortrag über Griechenland und das Wort „Solidarität“ ging vielen schnell über die Lippen. Auch im Schilder hochhalten war die Fraktion Spitze. Doch ansonsten? Nichts. Kein Monitoring, keine Information was konkret abläuft, keine Strategie der Unterstützung. Ich habe in den letzten Tagen versucht mich aus verschiedenen Quellen zu informieren. Denn eine Zusammenstellung, was seit Februar 2015 passiert ist, was nicht und warum nicht – all das gibt es nicht. Jedenfalls nicht von der Fraktion. Mir fiel auf, dass es durchaus hätte sinnvoll sein können, hinsichtlich des Reformprogramms aus dem März 2015 und des Vorschlages Griechenlands vom 5. Juni 2015 durchaus mit Kleinen Anfragen oder Anträgen hätte reagiereren können. Doch es gibt diesbezüglich lediglich einen Entschließungsantrag der dazu gar nicht sagt. Wäre es nicht sinnvoll gewesen die Bundesregierung zu fragen, wie sie die beiden benannten Vorschläge der griechischen Regierung bewertet, ob sie sich für deren Akzeptanz durch die Institutionen einsetzen wird und wenn nein, warum nicht? Wäre es nicht sinnvoll gewesen mit Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit auf diese Vorschläge hinzuweisen? Wäre es nicht sinnvoll gewesen im Entschließungsantrag auf die Debatte um den Vorschlag Griechenlands vom 5. Juni 2015 einzugehen und -was auch immer die Position der Fraktion zu diesem Vorschlag war/ist- für die Annahme oder Ablehnung zu werben? Ja, auch ich habe das alles verschlafen. Und deshalb trifft es auch mich, wenn ich zu dem Ergebnis komme: Die parlamentarische deutsche LINKE hat versagt. So einfach ist das.
Nun habe ich versucht trotzdem weitere Informationen zu bekommen. Ich fand -was ich mir von der eigenen Fraktion gewünscht hätte- eine Zusammenfassung dessen, was die Regierung Griechenlands in den ersten Monaten getan hat (die Zusammenstellung geht bis Juni 2015). Wie zuverlässig die verlinkte Quelle ist, kann ich nicht sagen. Ich fand diesen Bericht über das jüngste Angebot der Institutionen, welches sich dann doch anders liest als vieles sonst. Es ist eben ein Unterschied ob ich 35 Mrd. Euro als Investitionspaket bekomme oder als förderfähigen Zuschuss wie jedes andere Land. Und ich fand diese Grafik (von der ich ausgehe, dass sie seriöse ist). Klar und eindeutig. Warum kann die parlamentarische deutsche Linke das nicht? Es ist doch überzeugend zu sagen: Von den 230 Mrd. Euro flossen 27 Mrd. Euro in Ausgaben für Staatstätigkeiten und 81,3 Mrd. Euro in Ablösung von Altschulden, 48,2 Mrd. Euro in Bankenrestrukturierung, 40,6% Mrd. Euro in Zinszahlungen und so weiter. Hier wird doch deutlich, dass das Geld nicht für „die Griechen“ aufgewendet wird.
Natürlich finde ich ein Referendum richtig. Auch Wolfgang Schäuble fand das mal. Aber das war Anfang Mai. Wenn ich mir das Papier der griechischen Regierung ansehe und die Veränderungen durch die Institutionen, dann stelle ich fest, die griechische Regierung hat sich im Hinblick auf die Vorschläge aus dem März und Juni erheblich bewegt (ob das positiv oder negativ ist, bewerte ich jetzt mal gar nicht). Ich stelle fest, die griechische Regierung will auf Einsparungen im Sozialsystem verzichten, die Institutionen wollten hier Vorgaben für Einsparungen machen. Angesichts der humanitären Situation in Griechenland scheinen mir Einsparungen aber absurd zu sein. Die griechische Regierung wollte einmalig Ertragssteuern auf Unternehmensgewinne über 500.000 EUR erheben, die Institutionen aber nicht. Wenn es darum geht die Reichen zu besteuern, dann sagte die Europäische Elite einfach „Nein„. Genau das scheint bei allem der Kernkonflikt zu sein und den gilt es -mit Fakten untermauert- immer wieder anzusprechen. Die Institutionen wollen nicht, das Vermögende und Reiche zur Kasse gebeten werden, wie die griechische Regierung es will. Sie schützen die Reichen und Vermögenden. Es geht meines Erachtens um die Frage, ob es einen Ausbruch aus der Logik der Austeritätspolitik geben kann.
Neben der schon zitierten Zusammenfassung dessen, was die griechische Regierung bereits getan hat, habe ich noch andere Sachen gefunden, die ich ganz interessant fang, ohne allerdings auch hier die Seriosität der Quelle wirklich bewerten zu können. Es gab seitens der griechischen Regierung Maßnahmen zum Umgang mit Geflüchteten. Mich interessiert, was aus der Auseinandersetzung um skandalöse Kredite an Medienunternehmer geworden ist. Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde die Ambulanz-Gebühr tatsächlich abgeschafft. Ob das Grundbuchproblem gelöst wurde, konnte ich nicht herausbekommen. Ob die aus bürgerrechtlicher Sicht schwierige Aufhebung des Bankengeheimnis tatsächlich stattgefunden und wieviel Einnnahmen dadurch generiert werden konnte, ließ sich ebenfalls nicht recherchieren. Interessant ist, dass eine Solidaritätsabgabe für Verfassungswidrig erklärt wurde, was vermutlich zu weiteren Einnahmeverlusten geführt haben dürfte. Wie weit es mit der Korrektur von Steuerungerechtigkeiten ist, konnte ich ebenfalls nicht klären. Ob es zu einer Besteuerung nicht deklarierter Einkommen gekommen ist, auch nicht. Wichtig erscheint mir, dass es ein Urteil zu rechtswidrigen Steuerprüfungen gegeben hat. Eine der wichtigstens Fragen aus meiner Sicht ist, ob es zu einer Sondersteuer für Reiche gekommen ist.
Von meiner Fraktion (und Partei) wünsche ich mir faktenbasiertes Agieren, einen konkreten Vorschlag eine Neubegründung der Europäischen Union mit einer Sozial-, Währungs- und Wirtschaftsunion und ein eine Idee, wie Vereinigte Staaten von Europa aussehen könnten?
Überfällig ist auch die Frage einer möglichen Neupositionierung der Linken zu den Institutionen der EU. Gregor Gysis schwärmerische Deutung der real existierenden EU als „linker Idee“ musste schmerzhafte Bekanntschaft mit der Realität machen.
na wenn die linke eine idee entwickelt von vereinigten staaten von europa mit einer sozial-, wirtschafts- und sozialunion, dann erledigt sich die rolle der institutionen von selbst.
Na, immerhin gleich zweimal Sozialunion. 😉
Auch hier ist die Geschichte der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart.
Die EWG von 1957 war eine Wirtschaftsgemeinschaft, eine wenn auch ordoliberal regulierte aber dennoch kapitalistische dazu. Das hat sich bei den Erweiterungen zunächst nicht geändert. Ab den 1990ern mit der „Wiedervereinigung“ Deutschlands dann aber ganz schnell: Der kapitalistische Charakter des 1947 und 1949 von der CDU verdammten aber jetzt nun wieder regierenden Laissez-faire-Wirtschaftsliberalismus [aka Neoliberalismus] tritt mehr und mehr hevor.
EWG-6: bis einschließlich 1972
EG-9: bis einschließlich 1980
EG-10: bis einschließlich 1985
EG-12: bis einschließlich 1994
EU-15: bis einschließlich April 2004
EU-25: bis einschließlich 2006
EU-27: bis einschließlich Juni 2013
EU-28: die Europäische Union Juli 2013
Von 1979 bis 1998 verrechnete man zwischen einigen EU-Staaten mit dem ECU. Dabei hätte man es auch belassen sollen, bis man eine Wirtschafts- und Sozialunion geschaffen haben würde, so im Jahre 2050.
Griechenland machte im Währungssystem von 1984 mit, seine Gewichtung am ECU sank von ursprünglich 1,315 auf 0,437% im Jahre 1998. Währungspolitisch war Griechenland ein Fliegengewicht.
Eine Wirtschafts- und Sozialunion müsste nun vor einer Währungsunion gekommen sein. Aber schon bis zu einer Sozialunion hatte man es ja gar nicht geschafft.
Die Einführung des € war also der dritte vor dem zweiten noch gar nicht verwirklichten Schritt.
Zu diesem Zeitpunkt ahnten die wirtschaftlich kleineren Länder der €-Gruppe aber nicht, was ihnen mit der SPD&Grünen Agenda 2010 aus Deutschland bevorstand.
Da man auf wirtschaftliche Verwerfungen in der nunmehrigen €-Gruppe nicht mehr mit Auf- oder Abwertung der eigenen Währung reagieren konnte und kann, musste und muss man mit „internen Abwertungen“ reagieren, also mit einem massiven und rabiaten Lohnsenkungsprogramm, der Senkung der Sozialstandards und der Renten.
Durch die Liberalisierungen der Finanzmärkte, in Deutschland durch SPD&Grüne willig und willfährig betrieben, ermöglichte man auch einen Angriff auf den € durch Banken und Spekulanten. Die Erlaubnis, mit vorher aus guten Gründen verbotenen Finanzderivaten wie den CDS zu handeln, ermöglichte die sogenannte Subprime-Krise.
Das alles geschah sogar wider besseren Wissens. Denn schon 1992 hatten Soros und Unterstützer gegen das britische Pfund spekuliert und das EWS, welches mit dem ECU verrechnete, beinahe zerstört.
Bei der Einführung des € hatte man gegen so etwas offensichtlich keine wirkungsvollen Vorkehrungen getroffen.
Das darauf folgende wirtschaftliche Aushungerungsprogramm [Austeritätsprogramm] nach Vorbild deutscher Regierungen macht alles nur noch schlimmer, so wie man schon 1929 mit falschen Programmen die Krise verschlimmerte.
Griechenlands Regierungen seit 1981 handelten zumindst unklug.
Das griechische Volk ist nun in der üblen Lage, das ausbaden zu müssen. Griechenland ist in diesem großen Spiel so etwas wie ein Bauernopfer.
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Hallo Uwe R,
danke für die ergänzenden Infos.
Die EU-Institutionen erinnern in ihrer ideologischen Versteinerung irgendwie an die Sowjetunion vor Gorbatschow. Ein Jean-Claude Juncker wirkt als hilfloser Apparatschik wie ein Widergänger eines Konstantin Tschernenko. Finanzminister Schäuble, dessen Funktionärskarriere ja bereits in den 70ern begann, erinnert als Neolib-Chefideologe am ehesten an Kurt Hager. Die Kanzlerin schließlich weist mit ihrem „Scheitert-der-Euro-scheitert-Europa“-Mantra Parallelen auf zu einem „Amtsvorgänger“, der einem steinernen Bauwerk einst noch 100 Jahre Zukunft verhieß…
Hallo Linksmann,
die EU-Institutionen sind einfach das, was sie sind, ein Teil der ausführenden Gewalt [Exekutive], die tatsächlich von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten ausgeübt wird. Da Staaten keine Freunde sondern Interessen haben, bildet sicht das auch in den EU-Institutionen ab: da wird immer wieder neu um die nationalen Interessen gerungen.
Von einer EU als gemeinsamer Staat mit Einzelstaaten als Mitgliedern sind wir noch wenigstens 100 Jahre entfernt.
Die €-Gruppe wurde übrigens aus einem weiteren Grund zum falschen Zeitpunkt gegründet. Schon 1971 gab es keine festen Wechselkurse mehr, die zuvor gut 20 Jahre in den USA und Europa für eine wachsende und stabile Wirtschaft sorgten, da Spekulationgeschäfte kaum eine Rolle spielten. Das war ein Ergebnis des New Deal Roosevelts und des Bretton-Woods-Abkommens.
Nachdem das Bretton-Woods-Abkommen in den 1970ern nicht mehr fortgeführt wurde, begannen weltweit wieder die Spekulationen und auch die Talfahrt der sozialistischen Länder, die von diesem Abkommen indirekt geschützt worden waren.
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