Beschränkung Kleiner Anfragen

Wenn es um die Rechte von Gruppen und die Kleinen Anfragen geht, muss zunächst bei den Rechten von Abgeordneten angesetzt werden.

Dazu ist am besten die sog. Wüppesahl-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 80, 188) heranzuziehen. In der grundlegenden Entscheidung wurde in Rz. 109 festgehalten: „Demgemäß ist jeder Abgeordnete berufen, an der Arbeit des Bundestages, seinen Verhandlungen und Entscheidungen, teilzunehmen. Dem Bundestag selbst obliegt es, in dem von der Verfassung vorgezeichneten Rahmen seine Arbeit und die Erledigung seiner Aufgaben auf der Grundlage des Prinzips der Beteiligung aller zu organisieren (…). Zu den sich so ergebenden Befugnissen des Abgeordneten rechnen vor allem das Rederecht (…) und das Stimmrecht, die Beteiligung an der Ausübung des Frage- und Informationsrechts des Parlaments (…), das Recht, sich an den vom Parlament vorzunehmenden Wahlen zu beteiligen und parlamentarische Initiativen zu ergreifen (…). Indem die Abgeordneten diese Befugnisse ausüben, wirken sie an der Erfüllung der Aufgaben des Bundestages im Bereich der Gesetzgebung, des Budgetrechts, des Kreations-, Informations- und Kontrollrechts und – nicht zuletzt – an der Erörterung anstehender Probleme in öffentlicher Debatte (…) mit und genügen so den Pflichten ihres Amtes (…).“ Anerkannt wird in dem Wüppesahl-Urteil auch (Rz.111) die sog. Geschäftsordnungsautonomie, also die Autonomie des Bundestages seine Verfahrensweisen selbst zu regeln. Mit der Geschäftsordnung werden aber die sich aus dem verfassungsrechtlichen Status der Abgeordneten ergebenden Rechte „nicht erst begründet, sie regelt vielmehr nur die Art und Weise ihrer Ausübung.“ Die Geschäftsordnungsautonomie erlaubt, „die Rechte des einzelnen Abgeordneten“ auszugestalten und auch einzuschränken, sie dürfen „ihm jedoch grundsätzlich nicht entzogen werden“.

Nun wird mit der Begrenzung der Kleinen Anfragen kein Recht entzogen, es wird lediglich eingeschränkt. Alles Palletti also? Mitnichten.

Die Geschäftsordnung des Bundestages regelt in § 75 Abs. 3, dass Kleine Anfragen zwar nicht auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden dürfen, aber durch die Verweisung auf § 76 nur eingereicht werden können, wenn sie von einer Fraktion oder von 5% der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet wurden. Die Kleine Anfrage wird auf der Seite des Bundestages beschrieben als schriftliches Verlangen, von der Bundesregierung Auskünfte über bestimmte Sachverhalte zu verlangen. Vor allem werden sie von der Opposition genutzt, um die Regierung zu kontrollieren und Informationen sowie Stellungnahmen zu erhalten. Nun weiß ich aus meiner Zeit, dass das Instrument sehr unterschiedlich genutzt wird. Ich habe Kleine Anfragen in der Regel nur initiiert, wenn ich damit weiter parlamentarisch arbeiten konnte, zum Beispiel zur Vorbereitung von Anträgen und Gesetzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei grundlegende Entscheidungen zu Gruppenrechten getroffen. Die eine ist aus dem Jahr 1991 (BVerfGE 84, 304) und die andere aus dem Jahr 1997. (BVerfGE 96, 264). Zum Punkt Kleine Anfragen äußern sich beide Entscheidungen nicht dezidiert (wohl aber zu anderen Rechten von Gruppen). Es bestand aber auch kein Anlass, sich explizit mit den Kleinen Anfragen zu beschäftigen, denn in den damaligen Regelungen gab es ein keine Einschränkungen bei den Kleinen Anfragen (vgl. Rz. 18 bei der Entscheidung aus dem Jahr 1991 und Rz. 23 bei der Entscheidung aus dem Jahr 1997).

Dennoch ergibt sich aus meiner Sicht aus den beiden Entscheidungen im Zusammenhang mit der Wüppesahl-Entscheidung, dass eine Einschränkung des Rechts Kleine Anfragen zu stellen nicht zulässig sein dürfte. Aber der Reihe nach.

Zunächst muss aus meiner Sicht darauf verwiesen werden, dass mit der Einschränkung des Rechts zur Stellung von Klejnen Anfragen von der bisherigen Praxis bei Gruppen abgewichen wird. Diese Abweichung müsste aus meiner Sicht begründet werden. Soweit ich das sehe, ergibt sich kein Anlass von der bisherigen Praxis abzuweichen, vor allem -und das Argument werde ich jetzt ständig wiederholen- weil der Parlamentsbetrieb bis auf die Weiterleitung und die Vergabe von Drucksachennummern überhaupt nicht betroffen ist.

Daran setzt auch mein zweites Argument an. In der zitierten Wüppesahl-Entscheidung ist darauf hingewiesen worden, dass die Rechte von Abgeordneten nicht entzogen werden dürfen. Genau das ist aber -je nach Ausgestaltung der Beschränkung- denkbar, nämlich dann, wenn die Anzahl der zulässigen Kleinen Anfragen unterhalb der Grenze der Mitglieder der Gruppe liegt. Dann nämlich müsste sich innerhalb der Gruppe geeinigt werden, wer denn nun die Abgeordnetenrechte wahrnehmen kann.

Schließlich wird mit einer solchen Regelung, zumindest wenn es sich um eine Oppositionsgruppe handelt, das Recht der Opposition eingeschränkt, ihr Kontrollrecht auszuübenb. Der Bundestag selbst schreibt ja, dass mit den Kleinen Anfragen Kontrolle ausgeübt wird und Stellungnahmen eingeholt werden.

Aber ist das alles nicht dennoch durch die Geschäftsordnungsautonomie gedeckt? Aus meiner Sicht nicht, was sich aus den beiden zitierten Gruppen-Entscheidungen des BVerfG ergibt. In der Entscheidung aus dem Jahr 1991 wird darauf verwiesen, dass um der Repräsentationsfähigkeit und der Funktionstüchtigkeit des Parlaments willen, das Recht der einzelnen Abgeordneten „an der Willensbildung und der Entscheidungsfindung des Bundestages mitzuwirken“ durch die Geschäftsordnung „nicht in Frage gestellt werden“ darf (Rz. 77). Unter bestimmten Bedingungen, siehe oben, wäre genau das der Fall. Hinzu kommt, dass diese Entscheidung (vgl. Rz. 78) darauf abstellt, dass die Geschäftsordnung Entscheidungen zur Selbstorganisation und zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs treffen kann. Wie aber dargestellt, ist das Thema Kleine Anfragen für den Bundestag selbst eher ein „Durchlaufposten“ ohne weitere Auswirkungen auf die parlamentarische Arbeit. Und das BVerfG spricht in der Entscheidung aus dem Jahr 1991 die Kleinen Fragen indirekt an, wenn es formuliert (Rz. 102): „Zu den Rechten der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gehört auch das Recht, parlamentarische Initiativen zu ergreifen (…). Indem der Antragstellerin das Recht eingeräumt wurde, Gesetzentwürfe, Anträge, Große und Kleine Anfragen sowie Entschließungsanträge einzubringen (Nr. 2 Buchst. d) des Beschlusses des Bundestages), hat der Bundestag das Initiativrecht der Antragstellerin dem Initiativrecht der Fraktionen weitgehend angeglichen; (…). Es bedarf daher hier keiner Entscheidung, ob und inwieweit es mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, der Antragstellerin die genannten Initiativrechte vorzuenthalten.“  Das gefundene Bild bestätigt sich auch bei Bezugnahme auf die Entscheidung aus dem Jahr 1997. In Rz. 58 wird zunächst festgehalten, dass es keinen Grund gibt, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Im Hinblick auf die Geschäftsordnungsautonomie präzisiert das BVerfG allerdings (Rz. 61): „Das Recht des Bundestages nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG, sich eine Geschäftsordnung zu geben, setzt ihn in den Stand, seine Aufgaben zu erfüllen. (…) Differenzierungen zwischen Abgeordneten bedürfen jedoch stets eines besonderen rechtfertigenden Grundes (…).“ Dieser rechtfertigende Grund (Rz. 62) wird darin gesehen, „die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten“.  An gleicher Stelle wird ausgeführt: „Die Differenzierung zwischen Fraktionen und anderen Zusammenschlüssen ist gerechtfertigt, da sie der Gefahr begegnet, dass die parlamentarische Arbeit durch eine Vielzahl von – letztlich aussichtslosen – Anträgen kleiner Gruppen behindert wird.“  Und jetzt komme ich auf mein Argument von weiter oben zurück: Die Kleine Anfrage beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit des Parlaments überhaupt nicht. Für die Funktionsfähigkeit des Parlaments ist es völlig egal ob eine Gruppe/Fraktion 20 oder 30 oder 50 Kleine Anfragen im Monat stellt. Das Parlament muss lediglich eine Drucksachennummer vergeben und die Anfragen weiterleiten.

Wem es nicht egal sein dürfte, in welchem Umfang Kleine Anfragen gestellt werden, sind die Ministerien. Die müssen nämlich die Kleinen Anfragen beantworten und es ist gut vorstellbar, dass diese darunter ganz schön stöhnen und sich vielleicht auch bei der einen oder anderen Kleinen Anfragen fragen: Was soll das?  Aber ein solches möglicherweise vorhandenes Problem lässt sich halt nicht über eine Ungleichbehandlung zwischen Fraktionen und Gruppen in der Geschäftsordnung lösen, denn diese soll die Funktionsfähigkeit des Parlaments sichern, nicht die der Ministerien.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert