Mit der Entscheidung vom 23. Januar 2024 hat das BVerfG zunächst erst einmal klargestellt, dass die Änderung des Grundgesetzes aus dem Jahr 2017, mit der ein Entzug der staatlichen Teilfinanzierung von Parteien ermöglicht wurde, der Verfassung entspricht. Über die konkrete Entscheidung hinaus, hat das Urteil weitere Implikationen:
- Absoluter Bestandsschutz für Menschenwürde und Staatsstrukturprinzipien
Der Ls. 2 stellt klar, dass die „von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Inhalte (…) absoluten Bestandsschutz (genießen). Hieraus folgt, dass Art. 79 Abs. 3 GG im Vergleich zu anderen Verfassungsnormen als übergeordnet anzusehen ist und Verfassungsänderungen, welche die von Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen nicht beachten, sich als >verfassungswidriges Verfassungsrecht< darstellen würden und nichtig wären.“ Damit so das BVerfG (Rz. 203) errichtet die Norm „für den verfassungsändernden Gesetzgeber unverbrüchliche Schranken und entzieht den Verfassungsgrundsatz der Achtung der Menschenwürde und die Staatsstrukturprinzipien jeder Verfassungsänderung.“ Dabei wird, soweit ersichtlich, erstmals in der Rz. 207 festgehalten, dass alle Staatsstrukturprinzipien von der Bestandsgarantie umfasst sind, allerdings nur gerichtet auf „die Wahrung der Kernelemente der dadurch etablierten verfassungsmäßigen Ordnung“.
Was heißt das nun? Eigentlich heißt das, dass die Kernelemente der freiheitlich demokratischen Grundordnung, also die die Menschwürde und die Kernelemente der Grundsätze in Art. 20 GG absoluten Bestandsschutz genießen. Noch konkreter: Der demokratische und soziale Bundesstaat, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist. Das BVerfG sagt (Rz. 208): „Eine Verfassungsänderung darf mithin nicht dazu führen, dass einer der in Bezug genommenen Grundsätze in seinem substantiellen Gehalt beeinträchtigt oder beseitigt wird.“
Doch dann folgt eine Überraschung. Es wird nämlich präzisiert (Rz. 249), dass der absolute Bestandsschutz nicht unter Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG bestimmbar ist, denn dieser Regelungsgehalt „geht – etwa durch die Bezugnahme auf die Prinzipien der Republik und des Bundesstaates – über den für einen freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbaren Mindestgehalt hinaus“. Hoppla, hier wird mal so nebenbei das Bundesstaatsprinzip und das Prinzip der Republik in Frage gestellt oder zumindest von der Ewigkeitsgarantie ausgenommen. Republik steht nun aber als Gegenteil zur Monarchie. Monarchie und freiheitlich-demokratischer Verfassungsstaat sollen also irgendwie zusammen auch möglich sein.
- Materielle Voraussetzungen für Ausschluss aus der Parteienfinanzierung
Den Kern des Urteils bilden die materiellen Voraussetzungen für einen Ausschluss aus der Parteienfinanzierung.
Ein solcher Ausschluss geknüpft daran an (Ls. 3.b)), „dass die betroffene Partei selbst die Beseitigung der für den demokratischen Wettbewerb konstitutiven freiheitlichen Grundordnung anstrebt oder den Bestand des Staates angreift. Damit betrifft er nur solche Parteien, deren chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung nicht Teil des grundgesetzlichen Demokratiekonzepts im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG ist.“
Voraussetzung dafür ist (Ls. 4) „ein >Darauf Ausgerichtetsein< im Sinne von Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG, (das) ein qualifiziertes und planvolles Handeln zur Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder zur Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland voraus(setzt), ohne dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankommt.“
Die dogmatische Neuerung und damit die zentrale Botschaft des Urteils ist die Auseinandersetzung mit der Anforderung an den Ausschluss aus der Parteienfinanzierung („Darauf Ausgerichtetsein“, Art. 21 Abs. 3) und der Anforderung an ein Parteienverbot („Darauf Ausgehen“, Art. 21 Abs. 2).
Beiden gleich (Rz. 227) ist, dass sie nur Parteien betreffen, „die die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstreben“. Unter „Darauf Ausgerichtetsein“ (Ausschluss Parteienfinanzierung) ist (Rz. 277) „ein qualifiziertes und planvolles Handeln zur Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (zu verstehen), ohne dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankommt.“ Im Gegensatz oder besser in Ergänzung dazu wird bei einem „Darauf Ausgehen“ (Parteienverbot) verlangt (Rz. 278), „dass sich eine Partei durch aktives Handeln für ihre Ziele einsetzt und damit auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland hinwirkt.“
Mithin kann als Faustformel formuliert werden: Darauf Ausgehen (Parteienverbot) – Potentialität = Darauf Ausgerichtet (Entzug der Parteienfinanzierung).
Das BVerfG formuliert das in Rz. 155 und 156 so: „Abgesehen von dem Erfordernis des >Darauf Ausgehens< sind das Parteiverbot und der Finanzierungsausschluss tatbestandlich und verfahrensrechtlich identisch ausgestaltet.“
- Beachtenswertes für die Debatte um ein AfD-Verbot
Die Lektüre des Urteils ist im Hinblick auf die laufende Debatte um eine AfD-Verbot hilfreich. Das BVerfG bezeichnet ein Verbot (Rz. 140) wiederholt als „ultima ratio“.
Es wird noch einmal explizit darauf verwiesen, dass der Einsatz von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf der Führungsebene während eines laufenden Verbotsverfahrens mit dem „rechtsstaatlichen Gebot strikter Staatsfreiheit“ nicht vereinbar ist. Wenn also der Verfassungsschutz in der AfD V-Leute und Verdeckte Ermittler in der Führungsebene haben sollte, müssten diese zunächst abgezogen werden. Zumindest im Jahr 2020 soll es V-Leute des Verfassungsschutzes in der AfD gegeben haben. Ob dies heute noch der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssten diese aber bereits mit der öffentlichen Debatte, also jetzt, zurückgezogen werden.
Im Rahmen eines Verbotsverfahrens dürfte die AfD umfassend ihre Position vortragen, sicherlich unter großem Medieninteresse.
Die materiellen Kriterien für ein Parteienverbot werden mit Verweis auf das NPD-Urteil von 2017 geschärft:
- Das BVerfG legt fest (Rz. 248), dass ein Parteienverbot nur dann in Betracht kommt, „wenn dasjenige infrage gestellt und abgelehnt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss“.
- Die Menschenwürde wird in Rz. 253 näher definiert: „Menschenwürde ist egalitär; sie ist unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, einer behaupteten >Rasse<, Lebensalter oder Geschlecht. (…) Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich – ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte (…) – jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (…).“
- Als weiterer Punkt wird (Rz. 257) die parlamentarisch-repräsentative Demokratie angeführt: „Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann.“
- Unter Beeinträchtigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung wird vom BVerG wird (Rz. 261) verstanden, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirken will. Sie liegt vor, „wenn eine Partei, selbst wenn sie noch nicht erkennen lässt, welche Ordnung an die Stelle der bestehenden treten soll, qualifiziert die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassungsordnung betreibt. Ausreichend ist, dass sie sich gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet“.
- Das BVerfG spezifiziert (Rz. 293) die Voraussetzungen für eine „aktiv kämpferische Haltung im Sinne eines planvollen und qualifizierten Vorgehens“ Dafür ist erforderlich, „dass kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechenden politischen Konzepts hingearbeitet wird.“ Es ist (Rz. 294) „ein zielorientierter Zusammenhang zwischen den Parteiaktivitäten und der Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beziehungsweise der Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland“ erforderlich.
- Als konkret nicht mit der Garantie der Menschenwürde vereinbar (Rz. 325) wird angesehen, wenn die „Würde des Menschen nicht als obersten und zentralen Wert der Verfassung anerkannt, sondern (…) sich zum Vorrang einer ethnisch definierten >Volksgemeinschaft<“ bekannt wird. Es wird auf die Programmatik der NPD verwiesen, mit der >Verhinderung einer Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung<“ und die Forderung nach einer grundsätzlichen Rückkehrpflicht für Fremde in Deutschland in ihre Heimat, was auch bedeutet, dass Eingebürgerten mit Migrationshintergrund kein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zugestanden wird.
Das BVerfG äußert sich nicht zum kulturell definierten Volksbegriff, wozu die Entscheidung allerdings auch keinen Anlass gab. Schließlich weist das BVerfG selbst darauf hin, dass Art. 21 Abs. 2 GG, also das Parteienverbot, restriktiv auszulegen ist (Rz. 221).
- Anmerkungen zum Schluss
Die Einführung des Instruments des Ausschlusses von der Parteienfinanzierung als Bestandteil der „wehrhaften Demokratie“ ist, soweit recherchierbar, in linken Kreisen weitgehend auf Zustimmung gestoßen. Mich überzeugt das Konzept nicht wirklich, weil damit die Parteienfinanzierung von der strikten Bindung an rein formelle Erfolgskriterien bei Wahlen entkoppelt wurde. Damit wurde die Tür geöffnet inhaltliche Vorgaben für die Beteiligung an der staatlichen Teilfinanzierung festzulegen. Dennoch finde ich die Argumentation des BVerfG zur Verfassungsgemäßheit der entsprechenden Norm überzeugend. Allerdings finde ich es nicht konsistent, wenn der Entzug finanzieller Mittel für die verfassungsrechtlich abgesicherte Institution Partei auf Zustimmung trifft, es aber Debatten darüber gibt, ob an anderer Stelle die Mittelbereitstellung durch den Staat an „Vorgaben“ zur Einhaltung der Kernelemente der Grundsätze der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein kann. Dies umso mehr als mit der hier besprochenen Entscheidung in Rz. 253 auf Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte als Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung eing