In einem anderen Blogbeitrag habe ich mich mit der juristischen Debatte um den Mietendeckel beschäftigt. Dabei habe ich den Wunsch geäußert, die juristische Debatte mit juristischen Argumenten zu führen und die politische Debatte mit politischen Argumenten.
Ich will mich nun ein paar politischen Argumenten zum Mietendeckel zuwenden, nicht ohne jedoch zuvor noch einmal auf die entscheidende juristische Rahmenbedingung hinzuweisen: Der Mietendeckel ist seiner Konzeption nach öffentlich-rechtliche Marktregulierung, er soll öffentlich-rechtliche Regelungen über Wohnraum aufstellen. Eine solche Konzeption stellt gerade nicht darauf ab, wer vermietet und wer mietet, es geht um den Wohnraum an sich.
Zumindest in meinem Twitter-Feed begegnet mir nun immer wieder das Argument der Eigentumswohnung als Altersvorsorge. Korrekt müsste es wohl aber heißen: vermietete Eigentumswohnung zur Altersvorsorge. Denn wer eine Eigentumswohnung hat und in dieser wohnt, ist vom Mietendeckel nicht betroffen. Denn wenn der/die Eigentümer*in in der Eigentumswohnung wohnt, zahlt er/sie keine Miete. Der Mietendeckel wird erst relevant, wenn die die zur Altersvorsorge erworbene Eigentumswohnung vermietet wird oder vermietet werden soll. Wenn ich meine Eigentumswohnung aber vermiete, dann wohne ich selbst entweder in einer Mietwohnung oder habe neben der Eigentumswohnung noch weiteres Wohneigentum. Wenn ich eine Eigentumswohnung habe, habe ich diese entweder sofort gekauft und mir stehen im Kern die Mieteinnahmen aus der Eigentumswohnung direkt zur Verfügung. Oder ich habe dafür -das wird wohl der Regelfall sein- einen Kredit aufgenommen. Ich habe mal einen Selbsttest unternommen. In diesem Selbsttest ging es um diese 2-Zimmer-Eigentumswohnung von 70 qm für 439.500 € in Berlin. Mit einem fiktiven Eigenkapital von 75.00o € müsste ich bei einer Tilgungsrate von 2% und einer Sollzinsbindung von 10 Jahren monatlich 1.036 € zahlen und das mehr als 40 Jahre. Würde ich eine Tilgungsrate von 1% nehmen und die Sollzinsbindung bleibt bei 10 Jahren, müssten monatlich 676 € gezahlt werden, über mehr als 70 Jahre. Ich müsste also mindestens in diesem Umfang Mieteinnahmen erzielen um keine Miesen zu machen. Es ist nun aber meine Entscheidung, ob ich mich in einem solchen Umfang über viele Jahre finanziell binden will und ob ich die Eigentumswohnung vermieten will um den Kredit zurückzuzahlen. Mich in einem solchen Umfang zu binden ist in meinen Augen immer ein Risiko. Es wäre möglich den Job zu verlieren und kein Einkommen mehr zu haben, ich könnte auch krank werden und nicht wie bisher der Erwerbsarbeit nachkommen und deshalb weniger Einkommen haben. Und es kann passieren, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ädnern oder die Gesellschaft sich wandelt. Zu denken ist hier zum Beispiel an einen Kredit für einen Start in die Selbständigkeit mit einem Geschäftsmodell, das irgendwann vom Gesetzgeber untersagt wird. Oder an die um die Jahrtausendwende (nach meiner Erinnerung) in großem Umfang entstehenden Internet-Cafes, die es heute nur noch vereinzelt gibt. Ich werfe niemandem vor, einen Kredit zur Finanzierung einer Eigentumswohnung aufgenommen zu haben. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass eine solche Entscheidung aus meiner Sicht auf einer Risikoabwägung beruht und eben nicht risikofrei ist.
Ein weiterer Einwand ist, dass die Mietentabelle des Mietendeckels zu erheblichen Einnahmeverlusten bei der Nettokaltmiete (nur um diese geht es) gerade bei Genossenschaften führen. Das wird meist pauschal in den Raum gestellt, selten detailliert unterlegt. Ich habe mir einmal anhand einiger Beispiele die Mietspiegeltabelle 2019 angeschaut und neben die Mietentabelle des Mietendeckels gelegt. Da wird es interessant:
- Wohnung bis Baujahr 1918 mit Sammelheizung und Bad: der unterste Mittelwert der Mietspiegeltabelle ist 6,23 € und der höchste Mittelwert ist 11,44 €. Nach der Mietentabelle sind grundsätzlich 6,45 € möglich. Zuzüglich des 1,00 € für moderne Ausstattung ist hier ein Betrag von 7,45 € möglich.
- Wohnungen des Baujahres 1919 bis 1949 mit Sammelheizung und Bad: der unterste Mittelwert der Mietspiegeltabelle liegt bei 5,87 € und der höchste Mittelwert liegt bei 7,80 €. Nach der Mietentabelle sind grundsätzlich sind 6,27 € möglich. Zuzüglich des 1,00 € für moderne Ausstattung wäre ein Betrag von 7,27 € möglich.
- Wohnungen des Baujahres 1950-1964 mit Sammelheizung und Bad: der unterste Mittelwert der Mietspiegeltabelle liegt bei 5,58 € und der höchste Mittelwert bei 8,23 €. Nach der Mietentabelle sind 6,08 € grundsätzlich möglich. Zuzüglich des 1,00 € für moderne Ausstattung wären dies 7,08 €.
- Wohnungen des Baujahres 1965-1972 mit Sammelheizung und Bad: der unterste Mittelwert der Mietspiegeltabelle liegt bei 5,40 € und der höchste Mittelwert bei bei 8,90 €. Nach der Mietentabelle sind grundsätzlich 5,95 € möglich. Zuzüglich des 1,00 € für moderne Ausstattung sind das 6,95 €.
- Wohnungen des Baujahres 2003-2017 mit Sammelheizung und Bad: Hier beträgt niedrigste Mittelwert 9,85 € und der höchste Mittelwert 12,89. Bei der Mietentabelle sind für Wohnungen des Baujahres 2003-2013 (also nicht bis 2017!) grundsätzlich 9,80 € möglich, zuzüglich des 1,00 € für moderne Ausstattung sind das 10,80 €.
Natürlich liegen die Tabellenwerte des Mietendeckels unterhalb der Mittelwerte der ortsüblichen Vergleichsmiete des Mietspiegels 2019. Alles andere würde dem Anliegen des Mietendeckels ja auch widersprechen.Ein Blick in den Mietspiegel zeigt aber, dass die Tabellenwerte nicht per se unter dem Mietspiegel liegen, insbesondere wenn nicht auf die Mittelwerte abgestellt wird. Vielleicht sollte zukünftig jede*r der sich beschwert eine Beispielsrechnung aufmachen, damit nachvollzogen werden kann, um welche Wohnungen in welcher Lage es sich handelt und ob der/die sich Beschwerende sich bislang eigentlich im Rahmen des Mietspiegels bewegt hat und was konkret die Differenz ausmacht.
Schließlich wird noch darauf verwiesen, dass insbesondere Wohnungsbaugenossenschaften den Mietendeckel nicht stemmen können. Leider habe ich bisher keine konkrete Berechnung der Genossenschaften gesehen, in welchem Umfang sie warum den Mietendeckel nicht stemmen können. Es wäre ja interessant zu wissen, in welchem Umfang konkret Genossenschaften mit Kappungsbegehren zu rechnen haben und wie sich dieses zum Beispiel auf ihren jährlichen Überschuss auswirken. Ich habe mir einmal die Geschäftsberichte der Wohnungsbaugenossenschaften angeschaut:
- GeWoSüd (Geschäftsbericht 2018): Durchschnittsmiete unter 6 €, durchschnittliche Nettokaltmiete pro Quadratmeter sollte bis 2023 auf 6,81 € erhöht werden, Jahresüberschuss knapp 1,4 Mio. € (S. 31)
- Märkischen Scholle eG (Geschäftsbericht 1.10.2017-30.09.2018): Durchschnittliche Nettokaltmiete 5,80 €/qm. Jahresüberschuss in Höhe von fast 3 Mio. € (S. 8).
- Baugenossenschaft Ideal (Geschäftsbericht 2018): durchschnittliche Nettokaltmiete 5,63 €/qm, Jahresüberschuss knapp 1,30 Mio. € (S. 8).
- Reinickes Hof (Geschäftsbericht 2018): Jahresüberschuss knapp über 700.000 € (S. 21)
- BG Vaterland eG: aktuellster Geschäftsbericht ist der aus 2016
- bbg Berliner Baugenossenschaft eG (Geschäftsbericht 2017/2018): Jahresüberschuss knapp 4 Mio. € (S. 35).
- Beamten-Wohnungs-Verein zu Köpenick eG (Geschäftsbericht 2018): durchschnittliche Nettokaltmiete 5,42 €, Jahresüberschuss 4,4 Mio. € (S. 28).
- Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 (Geschäftsbericht 2018): Jahresüberschuss mehr als 10 Mio. € (S. 17).
- Berliner Wohnungsgenossenschaft NordOst 77: mehr als 4 Mio. € Jahresüberschuss
- Bewohnergenossenschaft FriedrichsHeim: lediglich Informationen zum Jahresabschluss 2017
- Charlottenburger Baugenossenschaft: Geschäftsbericht 2018 nicht vorliegend
- Erste Wohnungsgenossenschaft Pankow (Geschäftsbericht 2018): durchschnittliche Nettokaltmiete 5,60 € (S. 6), Jahresüberschuss fast 2,9 Mio €. (S. 7).
- EVM Berlin eG (Geschäftsbericht 2017/2018): durchschnittliche Nettokaltmiete von 5,27 €/qm (S. 11), Jahresüberschuss 1,2 Mio. € (S. 24).
- GEWIWO Berlin (Geschäftsbericht 2018): Jahresüberschuss etwas mehr als 2 Mio. €.
- WBG Köpenick Nord (Geschäftsbericht 2018): durchschnittliche Nettokaltmiete 5,31 €/qm (S. 8), Jahresüberschuss fast 5 Mio. € (S. 20).
- Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg (Geschäftsbericht 2018): Jahresüberschuss von 5,6 Mio. € (S. 30).
- Wohnungsbaugenossenschaft Treptow-Nord (Geschäftsbericht 2018): Jahresüberschuss knapp 3,5 Mio. € (S. 5)
- Wohnungsneubau-Verein Neukölln: kein Geschäftsbericht
- Wohnungsbaugenossenschaft Amtsfeld: kein Geschäftsbericht
- Wohnungsbaugenossenschaft „Vorwärts“ (Geschäftsbericht 2018): durchschnittliche Soll-Nettokaltmiete 5,57 €/qm, Jahresüberschuss fast 2 Mio. € (S. 26).
- Wohnungsbaugenossenschaft Wendenschloß: kein Geschäftsbericht
- Wohnungsbaugesellschaft Berolina e.G (Geschäftsbericht 2018): Jahresüberschuss von 4 Mio. €.
- Wohnungsbaugenossenschaft Wilhelmsruh: kein Geschäftsbericht
- Wohnungsgenossenschaft Johanissthal: kein Geschäftsbericht
- Wohnungsgenossenschaft Merkur: kein Geschäftsbericht
Bei der Durchsicht der zur Verfügung stehenden Geschäftsberichte fällt auf, dass bis auf Reinickes Hof alle Wohnungsbaugenossenschaften einen Überschuss von mehr als 1 Mio. € zu verzeichnen hatten. Möglicherweise haben Wohnungsbaugenossenschaften durch den Mietendeckel für die 5 Jahre seiner Dauer weniger große Überschüsse, dass sie den Mietendeckel nicht stemmen können, sehe ich nicht. Wenn es diesbezüglich ein valides Argument gibt, setze ich mich gern mit diesem auseinander.
Schließlich bleibt noch das Argument, der Mietendeckel schafft keinen neuen Wohnraum. Dieses Argument ist so richtig, wie die Tatsache, dass Birnen kein Gemüse sind. Der Mietendeckel soll gar keinen neuen Wohnraum schaffen. Zum einen nimmt der Bestand an Wohnungen in Berlin zu, zum anderen wurde noch am 18.10.2019 vermeldet, dass die Berliner Baubetriebe über dem Vorjahresniveau liegen.