Praktisch nicht Theoretisch

Meine Wahlkreistourentage nutze ich um die in der Theorie und im Raumschiff Bundestag debattierten Positionen auf praktische Relevanz zu überprüfen. Dank meines serviceorientierten Fahrradladens war auch unplattbar wieder mit Luft gefüllt und ich konnte die Tour mit dem Fahrrad absolvieren, was immerhin zu ordentlichem durchpusten des Kopfes führte.

Zunächst ging es zu Stützrad e.V., ein Projekt welches sich vor allem im präventiven Bereich von Jugendsozialarbeit und Familienhilfe betätigt. Wie in so vielen anderen Projekten taucht auch hier das Problem der Förderung auf. Statt einer Regelfinanzierung die nachhaltige Angebot ermöglicht, bleibt es häufig bei Projektfinanzierung. Diese muss allerdings im Regelfall alle zwei Jahre neu beantragt werden und wenn es ganz schlecht läuft, laufen Projekte aus, weil sie keine Modellprojekte sind. So erging es Stützrad mit dem Projekt „Piazza“.  Ein besonders spannendes Projekt war für mich das Projekt „wellcome“. Hier entwickelte sich eine sehr spannende Debatte um das sog. Ehrenamt.  Die Einschätzung vor Ort war nämlich die, das ein solches Projekt nur über Ehrenamt funktioniert, andere Projekte wiederum benötigen tatsächlich den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Dies insbesondere im Bereich der niedrigschwelligen Prävention und Angebote. Hier wäre es auch falsch mit Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes die Angebote zu unterbreiten, weil dies die Hemmschwelle erhöhen würde.  Dringend nötig – da waren sich alle einig- wäre eine gesellschaftliche Diskussion um eine angemessene Vergütung sozialer Arbeit. Diese dürfe nicht als zweitrangig oder Minderwertig angesehen werden.

Von Stützrad ging es zu Ewa. Bei Ewa handelt es sich um ein Frauenzentrum und zwar nicht um ein x-beliebiges, sondern um den Ersten Weiblichen Aufbruch, der sich im Dezember 1989 gründete. Seit dem Frühjahr 1990 befindet sich das Frauenzentrum in den gleichen Räumen. Wer solange Projekte-Arbeit macht, der weiß auch was sich verändert. Mittlerweile müsse man die doppelte Zeit für die Beantragung von Mitteln aufbringen um die Hälfte des früheren Geldes zu erhalten. Immerhin hat EWA jetzt Zweijahresverträge und kann ein vielfältiges Angebot an Beratung, Bildung und Kultur verzeichnen. Und das Angebot ist nötig. Bei EWA lernen ältere Frauen (ab wann ist frau eigentlich eine ältere Frau?) ihre ersten Schritte im Internet und zunehmend wir Beratung im Bereich der Pflege nachgefragt. Bedauert wird, dass die Arbeitsmarktpolitik keine längerfristigben Beschäftigungsmöglichkeiten zulassen, beispielsweise im Rahmen des Öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, sondern immer nur kurzfristige Maßnahmen im Angebot sind. Insbesondere für Frauen zwischen 50 und 60 Jahren müssten längerfristige Angebot gemacht werden.

Zum Abschluss des heutigen Tages ging es zu mob e.V., dem einen oder der anderen deshalb bekannt, weil in Verantwortung des Vereins die Obdachlosenzeitung „Straßenfeger“ herausgegeben wird. Der Straßenfeger ist das Sprachrohr des seit 15 Jahren bestehenden Vereines. Dieser Verein finanziert sich selbst, ist unabhängig vom Staat und ist darauf stolz. Eine staatliche Förderung wolle man nicht, schließlich will man frei sein in der Ausrichtung. Die Standbeine des Vereins sind neben dem Straßenfeger das Cafè, die Notübernachtung und der Trödelladen.  Einzige „Unterstützung“ seien ÖBS-Stellen bzw. Stellen über das Jobcenter, der Verein selbst finanziert zwei Stellen. Das Cafè hat jeden Tag von 8.00 -20.oo Uhr offen und gute Hausmannskost bekommt man dort für 1,50 EUR. Wer den Straßenfeger verkauft behält von den 1,50 EUR die der/die Käuferin zahlt 90 Cent. Der/Die Verkäuferin selbst muss für den Straßenfeger 60 Cent bezahlen.  Der Straßenfeger entsteht im Übrigen im Rahmen einer offenden Redaktionssitzung, an der bis zu 25 Leute teilnehmen. Die Notunterkunft bietet Platz für 17 Personen maximal für 8 Wochen, für die Übernachtung sind ebenfalls 1,50 EUR zu zahlen. Der Verein bietet eine Sozial- und Rechtsberatung an. Das Ziel des Vereins ist, die Menschen zu stabilisieren und motivieren, wieder aktiv zu werden. Am schönsten ist es, wenn nach der Notunterkunft entweder eine Wohnung direkt oder über den Umweg des betreuten Wohnens gefunden wird. Auch hier wurde deutlich, dass es leichter ist zu einem unabhängigen Verein zu gehen um Rat und Hilfe zu bekommen, statt sofort zu öffentlichen Stellen geschickt zu werden.

Manchmal stimmt die die Theorie mit der Praxis überein, manchmal sind die vor Ort diskutierten Probleme aber auch ganz andere als die im Raumschiff – und auch deshalb freue ich mich auf die nächste Wahlkreistour.

One Reply to “Praktisch nicht Theoretisch”

  1. Interessanter Beitrag. Würde gern mehr Beitraege zu der Thematik sehen. Ich freue mich schon auf die naechsten Posts.

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