Eine Entscheidung in der es um mehr als das Demonstrationsrecht geht

Das Bundesverfassungsgericht hat am gestrigen Tag eine Entscheidung zum Demonstrationsrecht gefällt, die von grundlegender Bedeutung sein dürfte.

Wer sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes genauer anschaut wird feststellen, dass es sich um deutlich mehr als eine Entscheidung zum Versammlungsrecht handelt. Wer sich mit der Frage öffentliche Unternehmen und gemischtwirtschaftliche Unternehmen beschäftigen will, wird hier fündig werden und sicherlich wird es auch dazu noch die eine oder andere juristische Stellungnahme geben.

Begrüßenswert ist die Feststellung: Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“ Diese Feststellung nämlich dürfte über die enge Frage des Versammlungsrechtes hinaus Relevanz besitzen und sollte deshalb auswendig gelernt und dick angestrichen werden – auch wenn diese Feststellung tatsächlich nicht neu ist.

Im Rahmen der Gesetzgebung und staatlichen Handels sollte sich aber auch folgende Formulierung gemerkt werden: „Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein. Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und – insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit – prinzipiell begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig.“ Für mich bietet diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts Argumentationsmaterial für eine Ablehnung von Generalverdacht, sei es bei der Vorratsdatenspeicherung oder an anderer Stelle. Und sie bietet die Möglichkeit aus dem Grundgesetz herzuleiten, warum und weshalb Parlament, Regierung und Verwaltung grundsätzlich öffentlich zu tagen haben und Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zwingen nötig sind.

Doch kommen wir nun zum Versammlungsrecht. Es gibt immer wieder Debatten juristischer und politischer Art um das Versammlungsrecht und deshalb tut es gut, dass das Bundesverfassungsgericht durch Wiederholung alter Rechtsprechung und Anwendung auf neue gesellschaftliche Entwicklungen grundsätzliche Ausführungen zum Versammlungsrecht macht. Das Bundesverfassungsgericht wiederholt die  langjährige Rechtsprechung, die -so scheint mir- in jüngster Vergangenheit so mancher/manchem Entscheidungsträger/in entfallen ist. „Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (…).“ Richtigerweise führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die „Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort [verbürgt], wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.Konsequenterweise -und das ist erfreulich- führt das Bundesverfassungsgericht danach aus: Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können.“ Wichtig für potentielle Demonstrationsanmelderinnen und -anmelder erscheint mir auch folgende Passage, die sich auf Orte bezieht wo eine Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen“ . Das Bundesverfassungsgericht führt nämlich zu diesen Orten aus:  „Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung.Ebenfalls interessant für potentielle Anmelder/innen von Demonstrationen ist die Wiederholung der Rechtsprechung zur Einschränkung und Untersagung von Demonstrationen. „Eine Untersagung einer Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der `unmittelbaren` Gefährdung bedarf es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße Belästigungen Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel hingenommen werden. Sind unmittelbare Gefährdungen von Rechtsgütern zu befürchten, ist diesen primär durch Auflagen entgegenzuwirken. Die Untersagung einer Versammlung kommt als ultima ratio nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können (…).

Doch was auf den ersten Blick wie ein großer Sieg der Versammlungsfreiheit aussieht ist am Ende nur ein Sieg. Das Bundesverfassungsgericht spricht sich nämlich lediglich gegen ein allgemeines Demonstrationsverbot auf Flughäfen aus. In dem Urteil  wird durch das Bundesverfassungsgericht dafür quasi eine Anleitung zum Einschränken der Versammlungsfreiheit beim in Privatrechtsform auftretenden Staat -hier konkret Flughafen- aufgeschrieben. Dies hindert die Beklagte allerdings nicht, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, die den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßgaben entsprechen, für den Flughafen näher zu konkretisieren und generalisierend auf der Grundlage ihres Hausrechts in einer Flughafenbenutzungsordnung niederzulegen. Sie kann so für die Wahrnehmung des Versammlungsrechts im Flughafen transparente Regeln schaffen, die an die räumlichen Gegebenheiten und insbesondere an die spezifischen Funktionsbedingungen wie Gefahrenlagen angepasst sind. In Betracht kommen etwa an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpfende, klarstellende Abgrenzungen zwischen multifunktionalen Verkehrsflächen und speziellen Funktionsbereichen, die Bezeichnung von Zonen, in denen Versammlungen grundsätzlich die Sicherheit des Flugbetriebs unmittelbar gefährden, oder auch ein Verbot des Mitführens von Gegenständen wie etwa Trillerpfeifen, Trommeln oder Megafonen, sofern diese erhebliche Beeinträchtigungen der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs besorgen lassen. Auch kann sie etwa eine – die Anmeldepflicht bei den Versammlungsbehörden ergänzende – Anzeigepflicht beim Flughafenbetreiber vorsehen.“ Auch dies könnte zunächst damit abgetan werden, dass es sich ja hier um einen konkreten Fall an einem konkreten Ort handelt. Doch so einfach ist es glaube ich nicht. Denn -im Urteil chronologisch etwas weiter vorn- formuliert das Bundesverfassungsgericht: „Dies lässt unberührt, dass die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, § 1004 BGB, stützen kann. Auch diese Vorschriften füllen in diesem Fall Art. 8 Abs. 2 GG aus. Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. […] Grundrechtseingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG, die sich allein auf die allgemeinen Befugnisse des Privatrechts stützen, sind damit nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Dies ist die Konsequenz dessen, dass der Staat überhaupt in den Formen des Privatrechts handeln darf.Damit setzt sich das Bundesverfassungsgericht in meinen Augen in einen Gegensatz zu seinen obigen Ausführungen. Der Staat müsste in diesem Fall nur an möglichst vielen Stellen in Formen des Privatrechts handeln und kann das Demonstrationsrecht dann auch durch BGB-Regelungen zusätzlich einschränken. Eine erschreckende Vorstellung und ein Grund mehr Privatisierungen der Daseinsvorsorge und öffentlicher Räume abzulehnen.

Für ganz Emsige sei im übrigen noch die abweichende Meinung des Richters Schluckebier empfohlen, nach dessen Auffassung die Verfassungsbeschwerde als unbegründet hätte zurückgewiesen werden müssen.

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