Wir

Seit meiner Kindheit bin ich Sportinteressiert. Ein für mich prägendes Erlebnis war das Handball-Finale bei den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau, mit dem grandiosen Wieland Schmidt. Bei den Olympischen Spielen 1988 bin ich fast mitten in der Nacht aufgestanden um (heimlich) den Zieleinlauf im Straßenrad-Einzelrennen zu schauen. Ich habe selbst jahrelang in einem Trainingszentrum Leichtathletik gemacht. Bis 1989 war für mich immer klar „unsere“ Sportler waren die besten, sie mussten gewinnen.

Jetzt ist das anders. Ich weiß nicht ob es an der zunehmenden Kommerzialisierung von Sportereignissen liegt oder einfach einem mindestens seit 2006 unbehaglichen Gefühl. Wenn ich mir heute Sportereignisse ansehe, dann wegen der sportlichen Leistung. Ich will dass der/die Bessere gewinnt, ich will mich über ein schönes Spiel freuen.

So bin ich auch an diese Weltmeisterschaft im Männer-Fussball herangegangen. Na gut, seitdem England ausgeschieden war ;-). Die Mannschaft des DFB hat wirklich guten Fussball gespielt, meistens jedenfalls. Und insofern haben die Spieler auch völlig verdient den Weltmeistertitel gewonnen.

Was mich tatsächlich erschreckt hat war der Grad an „wir“ der sich auftat. Natürlich nur beim Männerfussball. Der Frauenfussball ruft diese Emotionen nicht hervor. Nach dem Finale twitterte ich gestern Abend:

„da haben nun fussballspieler gewonnen, nicht ganz zu unrecht. `wir`haben damit nix zu tun, d.h. `wir`sind nicht weltmeister geworden.“ 

Nichts besonderes. Jede/r kann sich, wenn er/sie mag, über die sportliche Leistung freuen, er/sie muss sie nur nicht zu einer eigenen Leistung machen. Doch offensichtlich geht es vielen gar nicht um Fussball und Sport, sondern um andere Dinge. Die Antworten auf den Tweet kamen sofort. Es gab Beschimpfungen: vaterlandslose dumme kuh

Und die Aufforderung das Land zu verlassen

woanders hin

Und schließlich noch Enttäuschung, dass ich den Nationalstolz zerstöre. nationalstolz

Und da ist sie dann die Frage: Geht es eigentlich um Fussball und den  Spaß am Spiel oder geht es um Nation, Nationalstolz, eben „wir“. Wer „wir“ sagt, der sagt auch „ihr“. Wer „wir“ sagt, der sagt auch „die“. Das finde ich alles solange unproblematisch, wie es sich um Vereinsfussball handelt (um mal nur beim Fussball bzw. Sport zu bleiben). Natürlich gibt es „wir“, wenn ich in eine Organisation eintrete, denn in einer solchen Organisation sind nicht alle und der Eintritt in sie ist ein bewusster Willensakt. Und natürlich kann eine Mannschaft auf dem Spielfeld oder in einem Stadion von „wir“ reden. 

Das „wir“ bei der Fussballweltmeisterschaft ist aber eben zum Großteil nicht das „wir“ von Vereinsmitgliedern, sondern das „wir“ von Staatsbürger/innen, das „wir“ von Nationen. Staatsbürger/in wird mensch -von den Fällen der Einbürgerung mal abgesehen- aber durch Zufall. Kein eigener Verdienst trägt im Regelfall dazu bei. Dieses „wir“ bezogen auf Staatsbürgerschaft und Nationalstaaten finde ich -vorsichtig ausgedrückt- problematisch. Denn Staatsbürgerschaften und Nationen grenzen Menschen aus. Staatsbürgerschaften und Nationen sind Herrschaftsinstrumente. Sie behandeln Menschen eben nicht als Menschen, sondern teilen Menschen ein. Nach denjenigen, die eine bestimmte Staatsbürgerschaft besitzen und deshalb zum „wir“ dazugehören und nach denjenigen die leider draußen bleiben müssen. Eben eine Einteilung in „die“ und „wir“. Staatsbürgerschaften sorgen dafür, dass eben nicht gleiche Rechten und Pflichten für Menschen bestehen, sondern abgestufte. Selbst im Grundgesetz gibt es sog. Deutschen-Grundrechte und sog. Jedermanns-Grundrechte.  Ich glaube ja, dass es Zeit ist das Denken und Handeln in Nationalstaaten und Staatsbürgerschaften zu überwinden. Ein Mensch ist ein Mensch und sollte ohne Rücksicht auf Staatsbürgerschaften als solcher behandelt werden. 

Doch genau das scheint nicht gewollt zu sein. Wenn ich mir die Reaktionen auf den Tweet von gestern ansehe, dann ist der Nationalstaat und das Denken in Staatsbürgerschaften noch tief verankert. Ob es den meisten derjenigen, die so angepisst reagiert haben wirklich um Fussball ging, kann ich nicht beurteilen.

Ich finde ja, dass Sport eine coole Sache ist. Und ich finde, Menschen sollten an Sport ihren Spaß haben. Deshalb habe ich der Jungle World bereits vor dem Finale einen kleinen Kommentar gegeben: 

Das Schöne an der Fussball-WM ist, dass frau im Regelfall gute Spiele sehen kann. Technik und Taktik überzeugen. »Künstler am Ball« trifft es. Das Schlechte an der Fussball-WM ist die Tatsache, dass sie ein Wettkampf von Na­tionalstaaten ist. Ein Herrschaftskonstrukt wird bestätigt: Millionäre kleistern für wenige Wochen die herrschenden sozialen Unterschiede zu. Eine Alternative für Freunde und Freundinnen des schönen Fußballs, bei dem die bessere Mannschaft gewinnen soll, wäre folgender Vorschlag: Es werden 32 x 16 (oder 18 oder 20) Spieler nominiert, die dann in die 32 Mannschaften gelost werden. So stünde wirklich das Spiel im Mittelpunkt. (…) .

Via Twitter und Facebook wurden Einwände gegen das Losen vorgebracht. Diese sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen, insofern wäre ich diesbezüglich für Alternativen offen. Vielleicht besänftigt ja mein Vorschlag all jene, die nun meinen ich wolle ihnen den Spaß am Sport und Spiel nehmen. Im Gegenteil: Ich will den Spaß am Sport und Spiel, nur eben ohne die Verbindung zum „wir“ als Nationalstaat. 

120 Replies to “Wir”

  1. @klaudia,

    wenn kleinkleckersdorf gegen großkleckersdorf antritt, dann wird das im regelfall traktor kleinklckersdorf gegen motor großkleckersdorf sein, also vereinsfussball :-). damit habe ich -siehe blogbeitrag- kein problem.

  2. Halina, natürlich war der Fußball 1871 ein wenig anders als heute, obwohl…“a price, a tangible reward was waiting for the winners of this competition. It could be argued, that modern Soccer really began that
    afternoon.“ ( Collettt, FA-Cup). Als logische Folge wurde bereits 1888 wurde in England der Profifußball eingeführt. Zuschauerzahlen bewegten sich recht schnell im Zehntausender Bereich, schon kurz nach der Jahrhundertwende wurden beim FA-Cup-Finale zwischen den Spurs und Sheffield United 110.820 Zuschauer gezählt.
    So viel zum „Anderssein“.

  3. und ich dachte doch echt dir gehts um den nationalismus. halina, das ist doch alles zweckargumentation. bei den briten wäre es dir recht gewesen, schreibst du. vereinsfussball kann genauso nationalistisch sein, oder was meinst du was bei spielen von türkiyemspor großheinersdorf gegen stahl hammerstadt abgeht.
    „nationalismus“ im kleinen geht schon bei familien los, setzt sich in gemeinden und städten fort über regionen oder bundesländer zu staaten, kontinenten.
    daranb ist nichts verkehrt oder schlimm wenn es wie im falle des fussballs friedlich und sogar verständigungsfördernd stattfindet. man kann die geschäftemacherei, die gehaltsdiskrepanzen zum normalbürger, das gebaren der FIFA usw. kritisieren. die freude der kleinkleckersdorfer aber, über den gewinn der größten meisterschaft auf diesem erdball, aber unter dem gesichtspunkt des „wir“ zu kritisiern, empfinde ich als reichlich dämlich und arrogant.

  4. @ralf

    Ihr Werben für den Nationalstaat und gegen vermeintliche deutschlandfeindliche Bestrebungen wäre überzeugender, wenn sie dem einzigen belastbaren und dauerhaften Verbindungselement deutscher Kultur, nämlich der deutschen Sprache, etwas mehr Wertschätzung entgegen brächten: Es heißt „liest“ (nicht „ließt“) und „Miesmacherei“ (nicht „Mießmacherei“). Habe ich als Ausländer in einer deutschen Grundschule gelernt. 😉

  5. Seit Jahrzehnten wird auf der ganzen Welt „We are the champions, no time for loser“ gesungen.

  6. liebe klaudia,

    natürlich geht es mir um nationalismus :-). wenn die englische mannschaft gewinnen würde, würde ich mich freuen und gut ist. aber doch nicht weil es mir um england geht, um gottes willen, die haben da noch eine königin, sondern einfach weil ich den stil und die verrückten typen mag. von seaman über gascoigne bis hin zu rooney.

    vielleicht streiten wir -genau das mögen sie aber nicht- um worte, klare definitionen. ich rede, wenn ich von nationalismus rede über nationalstaaten und denken in staatsbürgerkategorien, sie reden von nationalismus in familien und gemeinden. die sind nun aber mal keine nationalstaaten. wenn jemand findet, kleinkleckerdsorf ist sein ein und alles, bitteschön. bleibt mir unverständlich, aber stört mich auch nicht, solange -das schrieb ich bereits- alles außerhalb von kleinkleckersdorf nicht diskriminiert und körperlich verletzt wird. mithin, solange keine gruppenbezogene diskriminierung stattfindet.

    und beim genauen lesen des blogbeitrags -und der kommentare- werden sie feststellen, ich kritisiere nicht die freude über einen sieg, sondern das sich zu eigen machen eines sieges, für den die wenigsten etwas können (wiederholung 20: ausgenommen sind die ehrenwmtlich übungsleiter, fussballfans, mitglieder des dfb…)

  7. das kommt nun mal daher, dass die nationalmannschaften aus bürgern von nationen ausgewählt, unter der flagge der nationen antreten, nationaltrikots tragen usw. wo da der unterschid zu gemeinden, ländern, regionen und staaten sein soll?

    ich persönlich halte nichts von dem rummel, aber ich käme auch nie auf die idee mich darüber öffentlich zu mokieren. die masse der sich mit den nationalmannschaften freuenden oder trauernden sind weder großartige nationalisten noch rassisten. das die vorhandenen rassisten und ultranationalisten bei solchen ereignissen aufgehen ändert nichts an der tatsache. nach meinem empfinden schädigt deine und wie man (meinem empfinden nach) an der „antwort“ eines deiner parteigenossen weiter oben sehen kann, arroganten art, die interessen der Linken. ps. rooney? echt? mein gott tust du mir leid.

  8. liebe klaudia,

    zum absatz 1: unterschied ist gewaltmonopol des staates. zumindest in deutschland gibt es nur eine bundeswehr und nicht bundesländer-armeen.

    zum absatz 2: die einschätzung zur masse teile ich. das darunter auch nationalisten etc. sind, sieht mensch zum beispiel an den kommentaren :-). was das schädigen angeht: die einen sagen so und die anderen so :-). aber da sie ja nicht in der linken sind, ist das ja sekundär. by the way: mit welchem mdb diskutieren sie eigentlich sonst so intensiv? (nein, nicht antworten, führt ja vom thema weg). ach und rooney, na der ist halt ein wenig verrückt. nicht so geschniegelt und gebügelt. halt noch richtig fussballer und darum geht es ja 🙂

  9. halina, eingeweihte wissen um was es dir geht. du entwickelst nach meinem empfinden antideutsche texte, stellst sie in antideutsche zeitungen wie jungle world die übrigens mit dem nationalstaaten israel oder usa wenig probleme hat, und erblödest dich nicht hier immer neue kapriolen aufzuführen. zweckargumente wie die bundeswehr müssen nun herhalten. von budesländern scheinst du (nach meinem empfinden) auch wenig ahnung zu haben unterschlägst du doch glatt das gewaltmonopol auch der landespolizeien. selbst ordnungsämter von gemeinden unterhalten inzwischen polizeien (siehe ruhrgebiet). aber selbst dazu wird dir noch irgend eine, trotz smiley wenig witzige antwort einfallen.

    rooney, nicht geleckt? du hast (nach meinem empfinden) wirklich keine ahnung, nicht mal vom fussball. es gibt kaum einen kleinbürgerlicheren fussballprofi als rooney. aber das ist ja auch egal.

  10. liebe klaudia,

    gut wenn wenigstens eine weiß worauf ich hinaus will. richtig ist, dass es in den ländern polizei gibt und es gibt auf bundesebene die bundespolizei. die bundesrepublik versteht sich als bundesstaat und die meisten bürger/innen als deutsche und nicht als sachsen, thüringer, bayern etc.

    was rooney oder andere fussballspieler neben dem fussball -also unabhängig von ihrem job als fussballer- machen ist mir egal. wenn ich mich auf fussball einlasse -wieder eine wiederholung- dann wegen des spiels und dann ist mir ein spieler sympathisch auf grund seines spiels oder eben nicht. und dann -um auf den blogbeitrag zurückzukommen- ist mir egal woher er kommt.

  11. Pingback:     DEMOKRATISCH - LINKS » Blog Archiv » Wir - Nicht mit Mir !

  12. wenn bayern gegen dortmund spielt, verstehen die bayerischen bayern sich mit sicherheit als bayern. bundewehr hin oder her.
    jetzt bleibt aber von deinen „argumenten“ NICHTS mehr übrig. aber ist ja auch egal. war ja auch nicht anders zu erwarten. wie immer halt.

  13. @kl

    Mag sein, dass mein Kommentar arrogant rüberkam. Ich behaupte gar nicht, dass ich selbst fehlerlos bin. Meine Sätze sind es sicher auch nicht immer. Aber ich finde, dass man denjenigen, die in dieser Diskussion die deutsche Karte spielen, gelegentlich mal vorhalten darf, was da eigentlich draufsteht.

  14. liebe klaudia,

    wir kommen nicht zueinander, müssen wir auch nicht. nur macht es wenig sinn um den heißen brei herum zu diskutieren. wenn sie ständig vereinsfussball mit städten/gemeinden, also staatlichen gebilden verwechseln, reden wir aneinander vorbei.

  15. ja es macht wirklich keinen sinn. deine „argumnente“ erscheinen mir hohl und da kommt auch nichts neues mehr was dies ändern könnte. in diesem sinne, schönen urlaub noch und bleib da, wo auch immer!

  16. Noch ein Wort zu England. Zumindest in den Blogs der Zeitungen fordern die Fans angesichts der andauernden Erfolgslosigkeit ihrer Mannschaft eine Übernahme des Modells Löw. Auch die systematische Nachwuchsförderung des DFB wird hoch gelobt. Vielleicht ist die Erfolgslosigkeit des englischen Fußballs auch Spielern wie „Gazza“ oder eben jetzt Wayne Rooney geschuldet, die zwar glänzende Fußballer waren/sind, aber eben auf Dauer auf Grund ihrer z.T. auch alkoholisch bedingten Eskapaden mehr schadeten als nutzten. Man weiß es nicht, die Fans in England jedenfalls haben die Schnauze voll von der Führung der FA, ein Blogger nannte sie doppelköpfiges Biest, stieß damit auf viel Zustimmung.
    Ein Nachteil des englischen Fußballs liegt auch darin, dass die englischen Vereine ver-und gekauft werden können bis der Arzt kommt. Dieses Modell ist in Deutschland Gott sei Dank vorerst abgewehrt, somit der Einfluss fußballfremder Elemente begrenzt ist.
    Der heutige DFB ist gewiss nicht mehr mit dem DFB des unsäglichen Herrn Neubeger zu vergleichen. Unter Herrn Neuberger hätte es gewiss keinen Walter-Bensemann-Preis gegeben, keine Parteinahme für Homosexuelle und intensive Förderung des Frauenfußballs wie unter Theo Zwanziger, der für die CDU im NRW-Landtag saß. Der Fußball hat viel für die Integration von Migranten getan, der Ball macht keine Unterschiede zwischen Einheimischen und Zuwanderen, höchstens zwischen guten und weniger guten Fußballern.
    Es gibt also einigen Grund sich über den Erfolg im fernen Südamerika zu freuen, zumindest die 7 Millionen Mitglieder des DFB dürfen das WIR zu Recht benutzen.

  17. @thomas
    dem letzten satz stimme ich uneingeschränkt zu.

  18. Ws geht doch nicht um die Frage Nationalstolz ja oder nein. Das schlimme ist doch die Geschäftemacherei. Warum war Franz Beckenbauer nicht bei der Siegesfeier? Er war sauer über die Untersuchungen wegen der WM in Katar. Leider scheint sich über die Korruption niemand zu empören.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert