BVerwG sieht Trägerpluralität vor Chancengleichheit

Laut der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) vom 26. Oktober 2023 ist es einem Bundesland untersagt, eine Obergrenze (oder einen Deckel) für monatliche Zuzahlungen der Eltern für zusätzliche Leistungen freier Träger von Kindertagesstätten einzuführen. Dies, so das BVerwG, „ist mit dem Anspruch der freien Jugendhilfeträger auf gleichheitsgerechte Beteiligung am staatlichen System der Kindertagesstättenfinanzierung unvereinbar (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG – in Verbindung mit den §§ 3 ff. Achtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VIII).“

Offensichtlich vereinbar ist es aber nach Ansicht des BVerwG eine soziale Segregation vorzunehmen, je nachdem in welchem Umfang Eltern für die Betreuung in einer Kindertagesstätte in der Lage sind, finanzielle Mittel zu mobilisieren. So zu tun, als würde bei einer Obergrenze von Zuzahlungen die Trägervielfalt in Gefahr sein und damit soziale Segregation zu befördern ist eine ziemlich zynische Argumentation.

Im konkreten Berliner Fall hatte eine Trägerin der freien Jugendhilfe eine bilinguale frühkindliche bzw. vorschulische Kindertagesstätte mit einem höheren Personalschlüssel. Der höhere Finanzbedarf wurde durch Zuzahlungen der Eltern gedeckt. Seit dem Jahr 2018 war in einer Rahmenvereinbarung über die Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen geregelt, „dass freie Träger mit den Eltern nur noch Zuzahlungen von maximal 90 Euro pro Kind und Monat inklusive 30 Euro für Frühstück und Vesper vereinbaren dürfen.“

Das BVerwG ist -die Urteilsgründe liegen noch nicht vor- laut der Pressemitteilung der Ansicht, auf Grund der Regelung zur Trägervielfalt, „darf bei der Ausgestaltung der Förderung grundsätzlich nicht nach Wertorientierungen oder Inhalten, Methoden und Arbeitsformen der freien Träger differenziert werden. Diese sind vielmehr wegen der ihnen gewährleisteten Autonomie (§ 4 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) befugt, in ihrem pädagogischen Leistungsangebot auch über das hinauszugehen, was Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder andere freie Träger für erforderlich halten.“  Soweit so gut und kein Widerspruch. Warum dies aber „das Recht ein(schließt), die hierfür notwendigen und nicht durch die öffentliche Förderung abgedeckten Mittel durch Zuzahlungen von Seiten der Eltern zu erheben, wenn ein deren Wunsch- und Wahlrecht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) entsprechender Bedarf besteht“ erschließt sich nicht ganz.

Das BVerwG erkennt laut der Pressemitteilung zwar an, dass die Rahmenvereinbarung einen legitimen Zweck verfolge (Absicherung der eingeführten weitgehenden Elternbeitragsfreiheit und damit Verwirklichung von Chancengleichheit bei der Inanspruchnahme von Tagesstättenplätzen), geeignet und erforderlich ist, aber unangemessen sei, „weil sie das vom Bundesgesetzgeber mit einem hohen Rang versehene Rechtsgut der Trägerpluralität bei Überschreiten der Zuzahlungshöchstgrenze ausnahmslos zurücktreten lasse“.

Aber ist es wirklich so einfach? Zunächst regelt der § 3 Abs. 1 SGB VIII, dass die Jugendhilfe durch „die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen.“ Gekennzeichnet ist. Der Dritte Abschnitt des SGB VIII, also die §§ 22 ff., beschäftigen sich mit der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Aus diesen Rechtsnormen ist nun aber gar nicht erkennbar, dass eine Obergrenze an Zuzahlungen verboten ist. Anerkannt ist, dass dasstaatliche Fördersystem (…) im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen offen für neue inhaltliche und organisatorische Entwicklungen (ist) und (…) daher die Pluralität der Jugendhilfe ermöglichen, unterstützen und effektiv gewährleisten (muss). Dies bedeutet im Umkehrschluss praktisch, dass zB das Vorhalten von Richtlinien, die alle Träger auf eine bestimmte – vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe bevorzugte – Arbeitsform festlegen würde, rechtswidrig wäre. Ein Rechtsanspruch des Bürgers auf bestimmte Angebote kann daraus aber eben auch nicht hergeleitet werden.“ (Beck-OK, SGB VIII, § 3, Rz. 6)

Es bleibt -solange die Urteilsgründe nicht vorliegen- komplett unklar, woher das BVerwG die Ansicht nimmt, „das Rechtsgut der Trägerpluralität“ würde ausnahmslos zurücktreten. Erst wenn die Urteilsgründe vorliegen, wird erkennbar sein, ob das BVerwG Alternativen zur Finanzierung durch die Eltern, z.B. Einwerbung von Drittmitteln jenseits der Erziehungsberechtigten/Eltern überhaupt in Erwägung gezogen hat. Im Hinblick auf gleiche Bildungschancen und die Verhinderung von sozialer Segregation wäre das nämlich ein milderes Mittel und würde die Trägerpluralität nicht ausnahmslos zurücktreten lassen.

Ganz praktisch wird das Problem dadurch, dass im Mai 2023 eine neue Rahmenvereinbarung abgeschlossen wurde, in der in § 4 die Finanzierung der Leistungen und in § 5 die Kostenbeteiligungen sowie Zuzahlungen geregelt wurden. Bei letzterem wird auf das KitaFöG verwiesen und die Anlage 10 verwiesen. Der § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 KitaFöG legt fest: „Die Finanzierung von Tageseinrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe soll auf Grundlage einer landesweiten Leistungsvereinbarung zwischen dem Land Berlin, vertreten durch die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung, und den Trägern der freien Jugendhilfe erfolgen. Hierbei werden unter Beachtung des § 22 Absatz 4 die Betriebskosten durch eine Kostenerstattung des Landes Berlin, angemessene Eigenleistungen des Trägers und eine Kostenbeteiligung der Eltern gedeckt.“  Der § 26 KitaFöG wiederum verweist im Hinblick auf die Kostenbeteiligung auf das Tagesbetreuungskostenbeteiligungsgesetzes. § 3 Abs. 4 legt fest, dass grundsätzlich vor „Beginn der regelmäßigen Schulpflicht (…) mit Ausnahme der Beteiligung an den Kosten für eine im Angebot enthaltene Verpflegung, eine Kostenbeteiligung (…) nicht erhoben“ wird.

2 Replies to “BVerwG sieht Trägerpluralität vor Chancengleichheit”

  1. Jeder kann sein Kind privat durch Zuwendung und zusätzliche kostenpflichtige Leistungen fördern. Ich sehe es nicht ein, dass das nicht auch in den vielen Stunden in der Kita möglich sein soll. „Einwerben von Drittmitteln“ hört sich einfach an, ist es aber nicht. und schon gar nicht vorhersagbar. Damit wird eine unnötige Zusatzbelastung erzeugt und zusätzliches Personal erforderlich. Man kann froh sein, dass es Kitas gibt, die ihren Kindern mehr anbieten. Das sollte ein Ansporn für die anderen Kitas sein, auch besser zu werden. Gleichmacherei durch Zuzahlungsdeckel ist schlecht.

  2. Wenn die Zuzahlung auf Grund Trägervielfalt erlaubt wird, findet eine soziale Segregation statt. Ich finde das falsch.

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