Debatte um AfD-Verbot – juristische und politikwissenschaftliche Debatte läuft

Der Verfassungsblog hat glücklicherweise eine seriöse Debatte zum Thema Parteienverbot in Deutschland und Europa eröffnet. Glücklicherweise deshalb, weil mir scheint, dass eine seriöse Debatte im Hinblick auf ein Verbot der AfD nötig ist, die nicht nur auf Morgen, sondern auch auf Übermorgen und Überübermorgen abzielt. Eine seriöse Debatte ist meines Erachtens nötig, weil mir viel zu häufig eine Vorfestlegung zu existieren scheint, die in der Forderung nach Prüfung auftritt, aber die plausibel erscheinende Lösung Verbot meint. Eine Verbotsdebatte muss aber juristische Pro- und Contra-Erwägungen ebenso berücksichtigen, wie Pro- und Contra- Erwägungen der Politikwissenschaft.

An dieser Stelle habe ich mit dem Urteil im NPD-Verbotsverfahren 2017 auseinandergesetzt. Das Urteil und seine Leitsätze müssen bei der Debatte um ein Verbot berücksichtigt werden. Ich gehe dabei davon aus, dass sollte eine Verbotsantrag gestellt werden, dem vom BVerfG postulierten Gebot der strikten Staatsfreiheit entsprochen wird und Begründung und Beweismaterial nicht auf Beweise gestützt wird, „deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist“. Vermutlich wird ein Verbotsantrag aber nicht umhinkommen sich auf Verfassungsschutzerkenntnisse zu stützen, was aus anderen Gründen problematisch ist aus meiner Sicht.

Entscheidender ist aber m.E., dass das BVerfG inhaltliche Kriterien vorgegeben hat. So hieß es in Leitsatz 4: „Der Begriff des Beseitigens der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bezeichnet die Abschaffung zumindest eines ihrer Wesenselemente oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem.“. Wer die AfD verbieten will, muss dies konkret belegen. Das wird meines Erachtens, anders als bei der NPD, nicht auf der Ebene des völkisch-nationalen Ansatzes (ethnischer Volksbegriff) gehen (den die AfD selbstverständlich auch hat), sondern tendenziell eher mit dem Fokus auf eine Beseitigung des Demokratieprinzips durch die AfD. In der Randnummer 531 des damaligen Urteils gibt das BVerfG einen Fingerzeig, was darunter verstanden werden kann.

Die damalige Entscheidung enthält in den Randnummern 540 und 541 Ausführungen zur Menschenwürde. Dies ist insofern relevant, weil das Deutsche Institut für Menschenrechte in seiner Begründung für eine Verbot der AfD explizit auf die Verletzung der Menschenwürde abstellt. Es heißt dort: Die Partei nimmt eine Abwertung ebenjener Menschen vor, die nach ihren Vorstellungen nicht der deutschen >einheimischen Kultur<“ angehören.“

Beim Verfassungsblog wird das Thema deutlich weiter gefasst. Das tut der Debatte gut.

Wolfgang Merkel stellt in seinem Beitrag die „wehrhafte Demokratie“ in den Mittelpunkt. Er verweist darauf, dass die „konstitutionelle Wehrlosigkeit der Weimarer Demokratie mit guten Argumenten bestritten wird“, Er bezieht die Positionen von Kelsen und Löwenstein in die Betrachtung ein, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen würden – prognostiziert Merkel. Konkret zur Debatte um eine AfD-Verbotsverfahren kommt Merkel demokratietheoretisch zu dem Ergebnis, dass ein solches Verfahren pragmatisch „riskant“ sei. „Die langwierigen Tatsachenerhebungen des Bundesverfassungsgerichts, die Prüfung der Materialsammlung des Bundesamts für Verfassungsschutz, Anhörungen von Experten, Beratungen und Urteil dürften zwei bis drei Jahre dauern. Ein sich hinziehendes Verfahren würde wie ein Konjunkturprogramm für die AfD wirken. Sie könnte sich in ihrer Lieblingsrolle präsentieren, als die von den >Systemparteien> verfolgte wahre Opposition, und weitere Proteststimmen auf sich ziehen. Würde am Ende das Bundesverfassungsgericht ein Verbot ablehnen, entstünde ein Legitimationszuschuss mit unübersehbaren politischen Folgen. Würde das Gericht die Partei verbieten, wären damit noch längst nicht ihre Wähler verschwunden.“ Er plädiert stattdessen für den Entzug der Parteienfinanzierung.

Heußner und Pautsch sehen in ihrem Beitrag mindestens im Hinblick auf die Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Brandenburg das vom BVerfG aufgestellte Kriterium der „Potentialität“ als gegeben an und weisen auf das Problem hin, dass eine Landesregierung keinen Antrag vor dem BVerfG im Hinblick auf Landesverbände in ihrem Bundesland stellen können.

Koß wiederum hält ein Verbotsantrag für „kontraproduktiv“. Der „neue Strukturwandel der Öffentlichkeit“ sei „dazu geeignet (…), ein Parteiverbotsverfahren zum Schaden aller zu delegitimieren.“

Der Beitrag von Volkmann wägt Pro und Contra ab. Er macht deutlich, dass „nicht mehr Putsch und Revolution die größten Gefahren für demokratische Ordnungen sind, sondern die schleichende Aushöhlung von innen, nachdem autoritäre Führungsfiguren durch demokratische Wahlen einmal an die Macht gelangt sind.“ Volkmann meint, ein Verbotsverfahren könne man „nur dann, wenn man einigermaßen sicher ist, dass es zum Erfolg führen wird; man hat gleichsam nur diesen einen Schuss, und der muss sitzen. Gerade das kann aber derzeit niemand auch nur einigermaßen seriös prognostizieren, und zur Redlichkeit der Diskussion würde es gehören, sich dies zunächst einzugestehen.“ Die von Heußner und Pautsch verneinte Frage hinsichtlich einer Antragsberechtigung einer Landesregierung in Bezug auf einen Landesverband hält er für offen.

Fischer-Lescano sieht ein AfD-Verbotsverfahren als „demokratische Pflicht“ an. Aufgrund der Formulierung des entsprechenden Grundgesetzartikels sieht er eine „Ermessensreduzierung auf Null“ als gegeben an. „Sehenden Auges in die Katastrophe zu gehen, ohne die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung auszuschöpfen, ist insofern keine Alternative.

Auch Hong in seinem Beitrag plädiert für einen Verbotsantrag und sieht ebenfalls die Möglichkeit den Antrag auf einzelne Landesverbände zu begrenzen.

(Update: 31.03.2024): Nunmehr gibt es auch den ersten Beitrag einer Frau. Hailbronner argumentiert unter anderem, da es das Parteiverbot im Grundgesetz gibt, sollte sich „wer Parteiverbote ganz grundsätzlich ablehnt, (…) im Klaren sein, dass dies angesichts der früheren Praxis dann eben durchaus nahelegt, dass es in Wirklichkeit kein Problem gebe und die AfD eben doch nicht so schlimm sei„. Puh, ich halte das in einer juristisch-politischen Debatte für eine ziemliche harte Zuspitzung, die meines Erachtens der Debatte nicht gut tut. Im Weiteren verweist sie auf die Erfahrungen mit dem Verbot der türkischen AKP und fordert ein Festhalten bzw. die Reparatur der Brandmauer gegen die AfD. Sie plädiert dafür, zumindest mit der Materialsammlung zu beginnen.

Die Beiträge der hier zitierten Autoren aus dem Verfassungsblog sind sicherlich streitbar und lohnen eine Auseinandersetzung. Die Verweise auf die verschiedenen Artikel soll deutlich machen das die Debatte um eine AfD Verbot vielschichtig ist. Eine Vorwegnahme eines „Prüfungsergebnisses“ ist nicht angebracht, wer eine ernsthafte Debatte um ein Verbot möchte, muss diese konkret organisieren, alles andere ist reines Bekenntnis. Der Verfassungsblog tut dies auf der wissenschaftlichen Ebene. Die politische Ebene muss ihre Debatte selbst organisieren.

So notwendig eine Debatte um ein Verbot scheint, so wichtig ist real der AfD den Boden zu entziehen: Das fängt damit an, deren Narrative nicht nachzuplappern (Beispiel „Migrationskrise“) und geht weiter damit, sich einer Banalisierung von Politik und Lösungsansätzen zu widersetzen (Stichwort „Aufmerksamkeitsökonomie“, Populismus und einfache Lösungen). Entscheidend wird aber sein, wie Demokrat*innen miteinander umgehen, also eine Frage der Kommunikation und der Wortwahl gegenüber dem politischen Konkurrenten. Schließlicht ist auch jede*r Einzelne gefragt, in den täglichen Gesprächen AfD-Propaganda deutlich zu widersprechen.

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