Bereits hier habe ich etwas zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Frage Trägervielfalt und Zuzahlungen in Kitas in Berlin geschrieben. Nunmehr liegen die Urteilsgründe vor. Sie überzeugen mich nicht.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) urteilte: „Die mit der Regelung im Land Berlin (Anlage 10 Abs. 6 letzter Spiegelstrich i. V. m. § 7 der Rahmenvereinbarung über die Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen vom 25. Mai 2018) verbundene Ungleichbehandlung ist unangemessen, weil sie das Rechtsgut der Trägerpluralität bei Überschreiten der Zuzahlungshöchstgrenze ausnahmslos zurücktreten lässt und nicht berücksichtigt, ob der jeweilige freie Träger zur Verwirklichung seiner gewählten pädagogischen Zielsetzung zwingend auf eigene Einnahmen angewiesen ist, die er durch Zuzahlungen decken will.“
Noch mal kurz zum Hintergrund: Geklagt hatte eine Trägerin der freien Jugendhilfe, die drei Kindertagesstätten mit 400 Betreuungsplätzen betreibt. Die Finanzierung erfolgte überwiegend durch öffentliche Finanzierung durch das Land Berlin und Zuzahlungen der Eltern von durchschnittlich 350 Euro. Diese Zuzahlung wurde auch beibehalten, nachdem eine Neufassung der Rahmenvereinbarung über die Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen in Kraft getreten war, die in einer Anlage eine Begrenzung der Zuzahlung auf maximal 90 Euro vorsieht.
Aus meiner Sicht ist relativ klar, dass mit einer solchen Zuzahlung eine soziale Segregation stattfindet. Anders formuliert, es findet eine Ausgrenzung von Familien statt, die sich keine 350 Euro Zuzahlung leisten können.
Das BVerwG argumentiert, dass bundesrechtlicher Maßstab für die Überprüfung landesrechtlicher Fördersysteme, die – wie hier – auf der Grundlage des § 74a SGB VIII erlassen worden sind, der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist. Ein derartiges Fördersystem, das in seiner Gesamtheit zu betrachten ist, muss eine gleichheitsgemäße Förderung der Einrichtungsträger auch tatsächlich hinreichend sicherstellen. Der Gestaltungsspielraum, der nach § 74a SGB VIII dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber zuzubilligen ist, ist durch die materiellen Grundentscheidungen des Jugendhilferechts für ein möglichst plurales, bedarfsorientiertes Angebot begrenzt. (…) Das Fördersystem muss demgemäß die >Pluralität der Jugendhilfe< (BT-Drs. 11/6748 S. 80), d. h. die Pluralität der Träger und die Pluralität der Inhalte, Methoden und Arbeitsformen ermöglichen, unterstützen und effektiv gewährleisten (vgl. § 3 Abs. 1 SGB VIII).“ Im konkreten Fall, so das BVerwG, liegt eine Ungleichbehandlung vor, die nicht gerechtfertigt ist.
Zur Begründung macht das BVerwG -soweit korrekt- Vergleichsgruppen auf. „Ein freier Träger kann infolge dieser Regelung i. V. m. § 7 RV Tag BE die Betriebskostenfinanzierung ganz oder teilweise verlieren, wenn er – wie die Klägerin – aufgrund seines pädagogischen Konzepts Zusatzangebote machen will, die von den Eltern auf privatrechtlicher Grundlage durch Zuzahlungen über den Schwellenwert hinaus finanziert werden sollen, während andere freie Träger, die Zusatzleistungen mit einer solchen Finanzierung nicht erbringen (wollen), in vollem Umfang finanziert werden.“
Schon diese Vergleichsgruppen überzeugen aber nicht. Denn es wird hier so getan, als sei allein die private Zuzahlung durch Eltern eine Option für ein erweitertes Angebot. Das scheint mir deutlich zu kurz gegriffen. Es wäre ja auch denkbar, dass ein Träger, der weitergehende Angebote unterbreitet, sich Drittmittel besorgt. Dies wäre denkbar durch einen (Spenden)Verein (ehemalige Nutzer*innen der Kita, interessierte Eltern, Institutionen, Interessierte) oder Sponsoring. Das würde dazu führen, dass das weitergehende Angebot erhalten bleibt, aber gerade keine soziale Ausgrenzung durch Zuzahlungen von Eltern stattfindet. Wenn das BVerwG meint, eine Vorverlagerung des Aspektes der Zuzahlung bei der Vergleichsgruppenbildung sei nicht möglich, kann dem nur gefolgt werden, wenn die von mir angestellten Erwägungen an anderer Stelle wenigstens umfassend abgewogen wären. Insoweit wird aber in Rz. 44 lediglich auf weitere Förderprogramme verwiesen und die Alternative Förderverein abgelehnt. Der lapidare Satz lautet:
„Weder kann einem freien Träger mit Blick auf sein Selbstbestimmungsrecht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Initiierung eines solchen Vereins abverlangt werden, noch könnte ersichtlich eine solche Finanzierung angesichts des freiwilligen Charakters einer Vereinsmitgliedschaft oder von an den Verein geleisteten Spenden die Erhebung von vertraglich verbindlichen Zuzahlungen in gleich verlässlicher Weise ersetzen.“
Das BVerwG argumentiert, dass das Fördersystem den Grundsatz der Trägerpluralität, „der im hier in Rede stehenden Kontext jeden einzelnen Träger gerade davor schützt, dass die von ihm für angebracht gehaltenen pädagogischen Konzepte sich im Rahmen der öffentlichen Finanzierung nachteilig auswirken (berührt ist). Deshalb ist es auch nicht von Bedeutung, dass andere freie Träger mit den nach Anlage 10 Abs. 6 letzter Spiegelstrich RV Tag BE zulässigen Zuzahlungen ebenfalls bilinguale oder sonst ähnliche Zusatzangebote erbringen können. Entscheidend ist, ob solche Angebote nach ihrem von dem jeweils betroffenen freien Träger bestimmten Inhalt und Umfang von diesem finanziell getragen werden können.“
Das BVerwG sieht in der Begrenzung der elterlichen Zuzahlung zwar ein legitimes Ziel (immerhin!), die Regelung auch für geeignet das Ziel zu erreichen, die Regelung ist aber nicht angemessen.
Das legitime Ziel sei die Chancengleichheit aller Kinder zu gewährleisten, denn „obligatorische Zuzahlungen, die sich nicht jede Familie leisten könne, führten zu einer Begrenzung des für diese Familien zur Verfügung stehenden Angebots an Kindertagesbetreuungsplätzen. Letztlich geht es dem Landesgesetzgeber also darum, ökonomische Hindernisse für den Zugang zu den mit Landesmitteln finanzierten Kindertagesstättenplätzen weitgehend abzubauen, und zwar auch, soweit es um Zuzahlungen für besondere Trägerleistungen geht.“
Der entscheidende Knackpunkt, so das BVerwG ist die Angemessenheit. Es argumentiert: „Angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne ist eine Ungleichbehandlung dann, wenn die mit ihr einhergehende Schlechterstellung nach Ausmaß und Intensität in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des mit der Differenzierung verfolgten Ziels und zu dem Ausmaß und Grad der Zielerreichung steht. Eine übermäßige und unzumutbare Belastung ist unangemessen.“
Das BVerwG kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelung unangemessen ist, „weil sie das vom Bundesgesetzgeber mit einem hohen Rang ausgewiesene Rechtsgut der Trägerpluralität bei Überschreiten der Zuzahlungshöchstgrenze ausnahmslos zurücktreten lässt und nicht berücksichtigt, ob der jeweilige freie Träger zur Verwirklichung seiner gewählten pädagogischen Zielsetzung zwingend auf eigene Einnahmen angewiesen ist, die er durch Zuzahlungen decken will.“ Das ist es wieder das Problem, dass hier einseitig allein auf die Zuzahlungen durch die Eltern abgestellt wird. Keine Erwägung ist, ob durch die Aufhebung der Zuzahlungsgrenze nicht die Chancengleichheit von Kindern ausnahmslos zurücktritt. Eine solche Abwägung wird gar nicht erst ernsthaft vorgenommen.
Das wirklich tragische an dem Urteil ist, dass mit ihm die Tür geöffnet wird, die Elternbeiträge „freizugeben“. Wer es sich leisten kann, schickt sein Kind dann in eine Kita, wo die „gut betuchten“ ihre Kinder ebenfalls hinschicken. Für alle anderen bleiben dann die „Regelkitas“. Das ist ein sehr bitterer Befund.
Die Berliner Landespolitik ist nun gefragt, Ideen zu entwickeln, wie gemessen an den Maßstäben des BVerwG, dennoch sichergestellt werden kann, dass eine soziale Segregation von Kita-Kindern vermieden wird. Denn das BVerfG erkennt an (Rn. 35), dass das Ziel der Chancengleichheit nicht zu beanstanden ist. Es formuliert sogar,
„dass der mit § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VII verfolgte Zweck, jedem anspruchsberechtigten Kind Zugang zu einer bedarfsgerechten Betreuung zu eröffnen und tatsächlich eine verlässliche, bestmögliche Kinderbetreuung zu gewährleisten, nicht dadurch gefährdet oder gar vereitelt werden darf, dass die Inanspruchnahme eines nachgewiesenen Betreuungsplatzes für den Leistungsberechtigten mit unzumutbar hohen Aufwendungen verbunden ist.“
Eine richtig zündende Idee wie dies nach der Entscheidung des BVerwG umgesetzt werden kann, ist mir noch nicht eingefallen. Außer vielleicht tatsächlich explizit zu verankern, dass ein „Mehrbedarf“ durch Drittmittel zu decken ist oder eine „soziale Klausel“ zu verankern, nach der die Eltern von der Zuzahlung befreit sind, wenn sie diese nicht leisten können. (Aber dann sehe ich schon Eltern klagen, die Beitrag zahlen müssen.) Ein Anknüpfungspunkt für eine Drittmitteldeckung könnte in Rz. 42 gesehen werden. „Allerdings kommt im Rahmen der Abwägung, (…), dem Umstand ausschlaggebende Bedeutung zu, dass mangels einer Ausnahmeregelung für diejenigen freien Träger, deren pädagogisches Konzept für besondere Trägerleistungen nur mit höheren Zuzahlungen als nach Anlage 10 Abs. 6 letzter Spiegelstrich RV Tag BE zulässig finanziert werden kann, insbesondere der Grundsatz der Trägerpluralität als Maßstab einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung der landesrechtlichen Finanzierungsbestimmungen infolge der Regelungen in § 23 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b und Abs. 4 Satz 3 KitaFöG BE i. V. m. § 7 RV Tag BE insoweit vollständig zurücktreten muss.“ Insofern könnte argumentiert werden, dass von Ausnahmeregelungen die Rede ist. Angesichts der Tatsache, dass Drittmittel als Kompensation höherer Bedarfe nicht mitgedacht wurden, bliebe hier die Option die „Zuzahlungen“ durch genau diese Drittmittel zu decken. Dann wäre nämlich Trägervielfalt und Chancengleichheit gegeben. Daran ändert auch die Aussage des BVerwG nichts, dass ein Träger nicht verpflichtet werden kann, z.B. einen Förderverein zu gründen. Wenn ich Chancengleichheit und Trägervielfalt zusammen haben will, dann muss ich halt auf Drittmittel gehen oder auf ein weitergehendes Angebot verzichten.
Die Frage der Absicherung des gleichen Zugangs der Kinder zur Kita bleibt also eine drängende und große Herausforderung.