Die Idee von #demokratiefüralle
Es war ein Experiment. Am Ende würde ich sagen, ein gelungenes Experiment. Seit ca. 1,5 Jahren arbeitete der Arbeitskreis V der Fraktion und später die Fraktion selbst auf meinen Vorschlag hin an #Demokratiefüralle. Wir wollten in einer Sitzungswoche des Bundestages von Seiten der Fraktion DIE LINKE nur Initiativen auf die Tagesordnung setzen, die unter #Demokratiefüralle fallen. Und wir wollten dies auch medial begleiten. Zunächst ging es also an die Erstellung der parlamentarischen Initiativen oder deren Abschluss in den Ausschüssen. Letzteres ist Grundbedingung um die Initiativen im Bundestag auf die Tagesordnung zu setzen, wenn sie bereits einmal behandelt worden sind. Danach wurde geplant, wie in den sozialen Netzwerken #demokratiefüralle begleitet werden kann. Deshalb entstand zum Beispiel dieses Plakat.
Gemeinsam mit dem Neuen Deutschland wurde ein Beilage zum Thema Demokratie erarbeitet und an jedem Tag der Sitzungswoche eine der im Plakat enthaltenen traurigen Wahrheiten in den sozialen Netzwerken verbreitet.
Die Sitzungswoche des Bundestages
Die Sitzungswoche ging dann mit einer Konferenz der Fraktion zum Thema #demokratiefüralle los. Die in dieser Woche unter diesem Thema vorgelegten sechs Initiativen der Fraktion wurden kritisch solidarisch debattiert und ich habe einige Anregungen zur Verbesserung und zur Erstellung des Wahlprogramms von der Konferenz mitgenommen.
Am Donnerstag und Freitag wurde dann geredet oder geschrieben. Letzteres ist der Fall, wenn eine Rede zu Protokoll geht.
Gesetzentwurf mehr direkte Demokratie
Zunächst ging es um den Gesetzentwurf für mehr direkte Demokratie. Dort sagte ich in meiner Rede unter anderem:
„Demokratie für alle heißt, dass jede und jeder, die oder der es will, ohne Existenzangst und mit der dafür notwendigen Zeit direkt mitentscheiden kann, wie sich die Gesellschaft entwickelt. (…) Demokratie für alle heißt eben auch, Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu ermöglichen.“
Mit dem Gesetzentwurf, der in ähnlicher Art und Weise seit vielen Wahlperioden des Bundestages durch die Fraktion DIE LINKE eingebracht wird, wollten wir auf der Bundesebene Volksinitiativen, -begehren und -entscheide ermöglichen. Den Einwohner*innen sollte mehr Verantwortung eingeräumt werden, sie sollten selbst entscheiden. Einiges zu dem Thema habe ich bereits in der nicht gehaltenen Parteitagsrede gesagt.
Antrag umfassendes Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz
Weiter ging es mit der Rede zum Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz, die sich auf diesen Antrag bezog. In der Rede versuchte ich deutlich zu machen, warum wir sagen:
„Demokratie für alle ist, wenn alle hier lebenden Menschen nicht nur ein Anhängsel des Staates und seiner Verwaltung sind.“
Mit diesem Antrag ging es uns um einen tatsächlich freien und dem digitalen Zeitalter angemessenen Zugang zu Informationen staatlicher Stellen. Unter Bezugnahme auf das Hamburger Transparenzgesetz wollen wir ein proaktives, transparenzorientiertes Handeln von Behörden und staatlichen Stellen. Mit öffentlichen Mitteln finanzierte Informationen und Dokumente sollen in einer öffentlich zugänglichen, digitalen Datenbank zur Verfügung gestellt werden. Der Zugang zum Informationsregister soll anonym möglich sein, und gebührenfrei sowie maschinenlesbar (Open-Data-Prinzip). Im Hinblick auf den absoluten Schutz besonderer öffentlicher Belange und des absoluten Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen fordern wir eine Abwägungsklausel.
Ausländerwahlrecht und Jedermannsgrundrechte
Wenig später ging es um Ausländerwahlrecht und Jedermannsgrundrechte, basierend auf den Gesetzentwürfen zum Ausländerwahlrecht und zu den Jedermannsgrundrechten. Hier sagte ich:
„Demokratie für alle ist, wenn alle hier lebenden Menschen die gleichen Rechte haben.“
Zumindest wenn ich die Reaktionen in den sozialen Netzwerken richtig einordne, ist dies der umstrittenste Gesetzentwurf. Es gab sehr viele Kommentare, das Wahlrecht und die Grundrechte sollten doch bitte nur für deutsche Staatsbürger gelten. Und wenn ich das anders sehe, dann würde DIE LINKE Wähler*innen verlieren. Ich habe meistens versucht auf die verschiedenen Initiativen von #demokratiefüralle hinzuweisen und die vielen Initiativen darüber hinaus. Die müssten als Einheit betrachtet werden. Wenn ich damit nicht überzeugen konnte, dann habe ich eingeräumt, dass ich meine Überzeugungen nicht einfach über Bord werfen kann, wenn es mal Gegenwind gibt. Und gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen ist eine meiner Grundüberzeugungen, für die ich gern weiter streiten werde. Für Hintergründe und weiterführende Argumentationen lohnt sich aus meiner Sicht die Lektüre der beiden Gesetzentwürfe.
Ausschussöffentlichkeit
Meine Kollegin Petra Sitte schrieb zum Antrag, die Ausschüsse sollen grundsätzlich öffentlich tagen diese Rede.
Mit diesem gemeinsamen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird darauf abgestellt, dass der Bundestag öffentlich verhandelt, die Ausschüsse des Bundestages aber grundsätzlich nichtöffentlich. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit des gesamten demokratischen Prozesses soll dies nicht länger so bleiben. Denn Demokratie ist ohne Öffentlichkeit undenkbar. Deshalb soll das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Zugangs zu den Ausschusssitzungen umgekehrt werden, nicht die Öffentlichkeit, sondern die Nichtöffentlichkeit einer parlamentarischen Beratung ist in der Demokratie als Ausnahme begründungsbedürftig.
Lobbiystenregister
Den vorläufigen Abschluss bildete die Debatte zum Lobbyistenregister mit dem dazugehörigen Antrag der LINKEN. Auch hier redete meine Kollegin Petra Sitte.
Der Antrag verweist darauf, dass sich Politik in modernen Gesellschaften immer mehr als Gesellschaftspolitik vollzieht, an deren Willensbildungs- und Aushandlungsprozessen zahlreiche Akteure mitwirken. Das macht sich an der an sich positiv zu wertenden Entwicklung deutlich, nach der gesetzgeberische Entscheidungen in vielen Bereichen nicht mehr nur Ausdruck machtvoller Staatspolitik in einem Über-Unterordnungsverhältnis sind, sondern potentiell Betroffene während des Gesetzgebungsverfahrens Einfluss nehmen können. Lobbyismus ist deshalb ein differenziert zu betrachtendes Phänomen pluralistischer Demokratien und bewegt sich zwischen dem Anspruch legitimer, demokratischer Interessenvertretung und illegaler Einflussnahme, die bis hin zu Korruption reichen kann. Gerade deshalb muss in einem demokratischen Rechtsstaat der Willensbildungsprozess für die Bürgerinnen und Bürger voll und ganz durchschaubar sein. Um das zu ermöglichen, soll es eine Registrierung von Lobbyisten in einer öffentlich zugänglichen Datenbank mit umfangreichen Informationen einschließlich der finanziellen Aufwendungen für Lobby-Aktvitäten geben. Diese Art des Umgangs mit dem Phänomen des Lobbyismus ist in vielen Ländern, beispielsweise in den USA, lange verbreitet. Gefordert wird ein verpflichtendes Lobbyistenregister.
Zumindest im Bundestag war die Schwerpunktsetzung der LINKEN mit #demokratiefüralle erkennbar. Sowohl die Grünen als auch die Union haben dies an der einen oder anderen Stelle deutlich gemacht.
Dranbleiben
Manchmal kommt auch noch Glück dazu. Tagesspiegel Causa frage an, ob ich nicht einen Artikel zum Thema Demokratie und Internet schreiben wolle. Das habe ich dann getan und einen Artikel unter der Überschrift: „Das Internet produziert keine Vorurteile“ veröffentlicht.
Ich will mich bei all jenen bedanken, die dieser Idee aufgeschlossen gegenüber gestanden und sie unterstützt haben. Der Dank geht insbesondere an meine Mitarbeiter*innen und die (auch ehemaligen) Mitarbeiter*innen des Arbeitskreises V der Fraktion.
Mit #demokratiefüralle ist noch lange nicht Schluss. Am 16. Juni gibt es dazu eine Veranstaltung in Berlin im Berlinxx.net und ich komme gern auch an andere Orte um darüber zu debattieren. Damit es irgendwann wirklich #demokratiefüralle gibt.
Ich habe – eher aus Zufall – die Bundestagsdebatte verfolgt und wollte schon das Video Ihrer Rede verlinken/posten, als ich die Gegenargumente der Redner von CDU und SPD hörte.
Letztere waren mE wesentlich fundierter und so hoffe ich – wie beim BGE – dass ihr Linken nie, auch nicht ansatzweise, politische Macht bekommt, um sie dann (vermeintlich) ans Volk zurück zu delegieren.
Übernehmt (bitte) gefälligst die Verantwortung, die die Wähler euch übertragen habt und macht (so lange) eine gute Oppositionsarbeit.
Dazu gehört mE auch, den Menschen Politik zu erklären. Vielleicht nicht einzelne Entscheidungen, sondern eher die „groben Züge“, wie z.B. Gewaltenteilung, Subsidiarität, Rechtsstaatlichkeit usw.
Die Politik(er)verdrossenheit ist nicht allein das Problem der Regierung(sfraktionen), sondern mE auch das der (aktuellen) Opposition.
Gutes Gelingen! 🙂
das eine (aufklärung) tun, ohne das andere (mehr direkte demokratie) zu lassen. welche der drei reden meinen sie denn?