Demokratie verteidigen! 

Demokratie. Was ist das eigentlich? Und woher kommt diese Äquidistanz vieler/einiger Linken zur Demokratie? Warum setzt eine Linke nicht alles daran, die Demokratie zu verteidigen?

Für mich gibt es, wenn ich über Demokratie rede, ein paar entscheidende Knackpunkte: Demokratie heißt, wesentliche Entscheidungen werden durch die Wahlberechtigten getroffen oder es gibt zumindest eine klare Legitimationskette. Demokratie heißt, es gibt die Möglichkeit bei Wahlen zwischen verschiedenen Angeboten zu entscheiden. Demokratie heißt, die Gewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) sind getrennt. Demokratie heißt, es gibt einen Pluralismus an Meinungen, Medien, Glauben, Eigentumsverhältnissen, Erwerbsarbeits-  und Lebensformen. Demokratie heißt, rechtsstaatliche Verfahren einzuhalten. Demokratie heißt, Dinge auszuhalten auch wenn es sehr schwer fällt.

Deshalb ist das Spektrum von Demokraten*innen auch sehr weit. Es reicht zum Beispiel von den im Bundestag vertretenen Parteien bis hin zur FDP (Ja, es gehören noch mehr Parteien hinzu, die nicht im Bundestag sind, ich wollte sie jetzt nur nicht alle aufzählen). Es reicht von zivilgesellschaftlichen Organisationen über engagierte Bürger*innen bis hin zu Religionsgesellschaften und Gewerkschaften. Es endet dort, wo eine Lebensform vorgeschrieben werden soll. Es endet, wo die Gewaltenteilung in Frage gestellt und Meinungs- sowie Medienpluralismus als Gefahr angesehen wird. (Dieser Gefahr muss dann natürlich durch Einschränkung begegnet werden.) Es endet, wo eine systematische Ausgrenzung von Menschen aus der Gesellschaft aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer sexuellen Orientierung, der von ihnen gewählten Lebensform, ihrer Behinderung, ihres sozialen Status oder ihres Aussehens gewollt ist und angestrebt wird. Im politischen Wettbewerb sind Demokraten*innen für mich Kontrahent*innen. Gegner*innen sind für mich nur Parteien und Politiker*innen, die die Demokratie in Frage stellen.

Dieser Prämisse folgend, kann es passieren, dass ich bei Wahlen nicht die Möglichkeit habe meine Lieblingspartei oder meine*n Lieblingspolitiker*in zu wählen. Sie treten nicht an, sie haben keine Chance die widersinnige und demokratiefeindliche Sperrklausel zu überwinden oder sie sind nicht in die Stichwahl gekommen. Wenn in solchen Situationen die Wahl zwischen Antidemokraten*innen und Demokraten*innen steht, dann wähle ich den/die Demokraten*in.

Ich komme aus dem Osten der Republik. Ich war im Jahr 1989 gerade mal 16 Jahre alt. Ich war keine Widerstandskämpferin, kein Opfer der SED-Diktatur, im Gegenteil. Ich war systemtreu. Die DDR ist zurecht untergegangen, auch wegen ihrer demokratischen Defizite. Vielleicht sogar vor allem deswegen. Gerade die Menschen aus dem Osten müssten doch also wissen, wie elementar Demokratie ist. Ich will die DDR nicht wieder haben. Ich will auch keine DDR nachgestrickt nach dem Programm der AfD oder anderer Rechtspopulisten*innen und Antidemokraten*innen.

Und Linke? Für einige/viele Linke, scheint mir, ist Demokratie häufig zweitrangig. Erst kommt der Frieden, dann soziale Gerechtigkeit. Oder umgedreht. Aber merken diese Linken nicht, dass es nur soziale Gerechtigkeit und Frieden mit Demokratie gibt? Ohne Demokratie wird soziale Gerechtigkeit zu ausgrenzender sozialer Gerechtigkeit, von der eben nicht alle profitieren, sondern nur jene, die als „würdig“ oder „zugehörig“ empfunden werden. Ohne Demokratie gibt es überhaupt keine Chance, mehr soziale Gerechtigkeit einzufordern oder einzuklagen. Denn ohne Demokratie kein Meinungspluralismus, kein Wettbewerb um mehr soziale Gerechtigkeit und keine Option Mehrheitsverhältnisse zu ändern. Möglicherweise werden mittlerweile hart erkämpfte demokratische Rechte viel zu gering geschätzt, als dass ihre Existenz noch als etwas wichtiges wahrgenommen wird. Linke können aber für ihre Positionen nur Unterstützung und ggf. Mehrheiten gewinnen im Rahmen einer Demokratie. Alles andere, da bin ich dogmatisch, ist nicht links.

Es ist richtig, dass soziale Ungerechtigkeit den Zugang zu Demokratie mindestens erschwert. Wer rund um die Uhr einer (oder mehreren) Erwerbsarbeit nachgehen muss, um überleben zu können, kann sich weniger informieren und weniger in demokratische Prozesse einbringen. Wer große Einkommen oder Vermögen hat, kann mehr oder weniger auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen und sei es nur durch Spenden an Parteien. Wer Kinder aufziehen oder Familienangehörige pflegen muss, hat weniger Zeit für politisches Engagement. Wenn Dinge privatisiert werden, werden sie der demokratischen Entscheidungsfindung entzogen. Und wenn irgendwelche Schuldenbremsen eingehalten werden müssen, sinkt ebenfalls der politische Entscheidungsspielraum. All das sollen und müssen Linke immer wieder thematisieren.

Was aber aus meiner Sicht nicht geht, schon gar nicht in einer Situation der Zuspitzung, ist eine Äquidistanz einiger/vieler Linken zur Demokratie. Eine Äquidistanz, die in Situationen begrenzter (Aus)Wahl dazu führt, dass sich nicht klar gegen Antidemokraten*innen positioniert wird. Demokraten*innen müssen kritisiert werden können, es muss auch klar artikuliert werden, was an deren Positionen unzureichend ist. Aber im Kampf gegen Antidemokraten*innen müssen sie unterstützt werden. Es sei denn, es wird geglaubt, wenn erst mal der/die Antidemokrat*in gewinnt wird alles so schlimm, dass es danach nur noch besser werden kann. Diese Art der Verelendungstheorie vergisst, dass wenn es wirklich ganz schlimm wird, auch die Mittel zur Veränderung des ganz schlimmen Zustandes weg sind.

Gegen Antidemokraten*innen müssen Demokraten*innen im Wissen um all ihre Unterschiede und Differenzen zusammenhalten. Ja, ich wünsche mir ein mehr an Demokratie und natürlich auch ein mehr an sozialer Gerechtigkeit und Frieden. Ich wünsche mir die Überwindung des Denkens und Handelns in Staatsbürgerkategorien. Ich wünsche mir, dass solange es noch Nationalstaaten gibt, in diesen alle über die Entwicklung mitentscheiden dürfen, die in ihnen leben. Ich weiß aber auch, dass diese Wünsche nur durch den Einsatz für Demokratie erfüllbar sind. Denn Demokratie ist die unabdingbare Voraussetzung ihrer Erfüllbarkeit. Ohne Demokratie keine Weiterentwicklung derselben. Und ohne Demokratie eben auch kein Fortschritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Frieden. Deshalb kann es doch eigentlich für Linke immer nur eine Wahl geben: Demokraten*innen gegen Antidemokraten*innen, gegen Faschisten und Rechtspopulisten*innen unterstützen. Demokratie verteidigen. Um sie weiter zu entwickeln.

6 Replies to “Demokratie verteidigen! ”

  1. Ein eher allgemein gehaltenes Pladoyer.
    Konkreter Anlass dürfte die innerlinke Diskussion um Wahlempfehlungen aus Deutschland an Jean-Luc Mélenchon sein – mit 19,6 % der erfolgreichsten Kandidat links der Sozialdemokratie seit der Präsidentschaftswahl 1969 (Jacques Duclos/PCF mit 21,3 %).

    Erstens:
    Es wirkt ein wenig skurril, wenn aus einer Neun-Prozent-Partei östlich des Rheins eine derartige Handlungsanweisung an die gerade doppelt so erfolgreichen Freunde im Westen ergeht.
    Im Grunde sehr deutsch und wenig links.
    Am wenigsten deutsch wäre eine innerlinke Debatte hierzulande, welche inhaltliche Positionen den Erfolg Mélenchons ausmachten – gerade auch im Hinblick auf Institutionen-, aber auch Grundlagenkritik an der real existierenden EU.

    Zweitens:
    Zwei zutiefst bürgerliche Figuren stehen nun in der Stichwahl.
    Emmanuel Macron, ein neoliberaler Elite-Zögling (Finanzdirektor im öffentlichen Dienst, Investmentbanker, Wirtschaftsminister). Sein Rücktritt als Minister wurde beschleunigt durch die Tatsache, zu wenig Steuern gezahlt zu haben. Zuvor drückte er noch per Notstandsartikel 49 ein neoliberales Arbeitsgesetz durch – ein Umstand, welcher für die Juristin Halina Wawzyniak vielleicht von Interesse sein könnte.
    Marine Le Pen stammt bekanntlich aus der faschistischen Dynastie ihres Vaters Jean-Marie Le Pen. Sie selbst ist zweifach geschieden und Anwältin. Ideologisch gibt sie vor, sich vom vulgär-antisemitischen Faschismus ihres Vaters zu distanzieren. Zuletzt nutzte sie das klaffende Vakuum der regierenden Sozialdemokraten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, welches gerade durch Gestalten wie Macron noch einmal verstärkt wurde, um mit sozialer Demagogie Stimmen weißer, naiver Arbeiterseelen zu ködern – leider durchaus mit gewissem Erfolg.

    Drittens:
    Der linke Soziologe Didier Eribon, der mit „Rückkehr nach Reims“ eines der wichtigsten politischen Bücher der letzten Jahre vorgelegt hat, weist darauf hin, dass eine Wahl Marons 2017 eine Wahl Le Pens 2022 noch einmal etwas wahrscheinlicher macht.

    Viertens:
    In aktuellen Stichwahl-Umfragen führt Macron mit 60 bis 65 %. Es besteht daher kein Anlass, als linker „Adabei“ es den den schwindsüchtigen Konservativen und Sozialdemokraten gleichzutun. Man erschiene dann – auch als Linke/r – als Teil des etablierten Parteienkartells. Und man lieferte damit Le Pen ein weiteres Argument für Arbeitende, sich von links nach rechts abzuwenden.
    Viel eher sollten die Sozialdemokraten zur Rede gestellt werden, weshalb ein blasser Sechs-Prozent-Kandidat erst Mélenchon entscheidende Stimmen wegnimmt, um dann am Wahlabend hektisch zur Wahl von Macron aufruft.
    Mélenchon handelt völlig richtig, nun seine Anhänger online abstimmen zu lassen, ob und welche Empfehlung sie wünschen.

  2. tatsächlich sollte es ein eher allgemein gehaltenes plädoyer sein. gerade deshalb aber dürfte aber auch klar sein, dass es aus meiner sicht jetzt macron zu wählen und gleichzeitig zu kritisieren ist.

    was ich, im verweis auf eribon enthalten, nicht verstehe: wieso gibt es eine zwangsläufigkeit zwischen neoliberaler politik und zuwachs bei wahlen für rechtsextremisten/faschisten? es gibt doch immer noch eine individuelle entscheidung zwischen ausgrenzung (rechtsextremisten/faschisten) und solidarischem miteinander (links) als alternative. wenn nicht, braucht (linke) politik nichts mehr machen.

  3. soweit ich das verstanden habe, fordert er auf le pen nicht zu wählen. das ist besser als nichts. sinnvoller fände ich allerdings, zu sagen wählt macron und kritisiert ihn gleichzeitig.

  4. Pingback: Wochenendgrübelei – Blog von Halina Wawzyniak

  5. Pingback: 3 zentrale Aufgaben für linke Politik – Blog von Halina Wawzyniak

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