Eine Oppositionspartei im Bundestag muss sich immer wieder die Frage stellen, was sie eigentlich parlamentarisch so erreichen kann. Für einen Antrag oder eigenen Gesetzentwurf bekommt sie im Parlament so gut wie nie eine Mehrheit. Mit einer einer solchen parlamentarischen Initiative kann sie maximal Haltung zeigen und im allerbesten Fall eine Debatte anstoßen. Warum Parlamentarismus der an festgezurrten Koalitionskorsetten hängt ein Problem ist, das habe ich unter anderem hier aufgeschrieben. Aber das ist eine andere Geschichte.
Zu den klassischen Minderheitenrechten in einem Parlament gehören die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und Enquetekommissionen. In Untersuchungsausschüssen werden Missstände untersucht, in Enquetekommissionen soll jenseits aktueller Politik über Themen diskutiert und sollen Handlungsempfehlungen entworfen werden. Das mit den Missständen durch Untersuchungsausschüsse aufdecken geschieht mal mehr und mal weniger gut. Meist nur kurz ist das mediale Interesse an Untersuchungsausschüssen und ihre Beschlussempfehlungen bleiben häufig ungehört. Oder erinnert sich noch jemand an die Beschlussempfehlung des BND-Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode? Die Seiten 346 bis 349 beschäftigen sich beispielsweise mit der Aufklärung der Journalistenbespitzelung durch den BND im BND selbst. Auf der Seite 415 finden sich als Ergebnis der Beweisaufnahme zum Komplex Journalisten unter anderem die Aussagen, es sei nur „global“ oder in „groben Zügen“ informiert worden. Darüber hinaus sei die Dienstaufsicht durch die Führungsebene des BND „nicht hinreichend durchgreifend“ organisiert gewesen. Weiter heißt es, es gab eine „Tendenz zum Eigenleben mancher Teile des BND„.
Aber auch die Untersuchungsausschüsse sind eine andere Geschichte. Ich will ein wenig auf das Mittel der Kleinen Anfrage eingehen. Mit einer Kleinen Anfrage versucht eine Fraktion -meist eine Oppositionsfraktion- der Regierung Informationen zu entlocken. Das dies durchaus sinnvoll sein kann, zeigt diese Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Chancen und Herausforderungen durch die Digitalisierung der Wirtschaft.
Warum finde ich nun diese Kleine Anfrage und die Antworten einen eigenen Blogbeitrag wert? Einfach weil die Antworten informativ sind und zum weiteren Nachdenken anregen. Also zumindest, wenn akzeptiert wird das die Digitalisierung alles ändert und Chancen, Risiken und Herausforderungen nicht mit Antworten aus dem vergangen Jahrhundert zu bewältigen sind. Laut der Antwort der Bundesregierung arbeiten in den 91.000 Unternehmen der digitalen Wirtschaft mehr als 1 Millionen Beschäftigte. Der Anteil der digitalen Wirtschaft an der gewerblichen Wertschöpfung beträgt 4,7 Prozent. Das ist gleichauf wie der Automobilbau. Aus der Antwort ergibt sich, dass es eine Plattform Industrie 4.0 beim BMWi und BMBF gibt, in dessen Strategiekreis sitzt auch ein Vertreter der IG Metall. Besonders spannend -und vielleicht für einige andere auch von Interesse- fand ich aber die Aufzählung der diversen Förderprogramme. Wenn ich jetzt keines übersehen habe, dann gibt es folgende Fördertöpfe:
- Programm „Innovation für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ in welchem bis 2020 Mittel in Höhe von 1 Mrd. Euro vorgesehen sind. Zu diesem Programm gehören (wenn ich das richtig verstanden habe) zwei konkrete Förderprogramme, von denen ich „Arbeit in der digitalisierten Welt“ besonders erwähnenswert finde.
- Das Technologieprogramm „Autonomik für Industrie 4.0 – Produktion, Produkte, Dienste im Internet der Zukunft“.
- Das Technologieprogramm „Smart Service Welt – Internetbasierte Dienste für die Wirtschaft“.
- Das Förderprogramm für Wagniskapital INVEST. Mit diesem Programm erhält der private Investor 20 Prozent des Ausgabepreises seiner Beteiligung zurückerstattet, wenn die Beteiligung für mindestens drei Jahre gehalten wird. Der Investor muss dem Unternehmen aber mindestens 10.000 EUR zur Verfügung stellen. Bis Ende Februar 2015 wurden 14.07 Mio. EUR bewilligt und der Anteil der Digitalwirtschaft daran betrug 66,1 Prozent. Und so ganz nebenbei: „Zum 31. Dezember 2014 ist der Investitionszuschuss in Höhe von 20 Prozent rückwirkend von der Einkommenssteuer befreit worden.“ Ist jetzt nicht mein Spezialgebiet (um es mal zurückhaltend zu formulieren) aber, ist das wirklich okay? Also rückwirkend einen Zuschuss für eine private Investition (deren Ziel am Ende ja wohl auch ist Gewinn zu erzielen) von der Einkommenssteuer zu befreien?
- Das Technologieprogramm „IT2Green“ des BMWi
- Fördermittel in Höhe von mehr als 180 Mio. Euro bis 2020 stehen für das Forschungsrahmenprogramm „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt“ zur Verfügung.
- Das Forschungsprogramm „Smart Data – Innovationen aus Daten„
In der Antwort auf die Kleine Anfrage formuliert die Bundesregierung (Nr. 15) auch steuerpolitische Ziele. Es heißt dort, die „Ertragsbesteuerung (sollte) dort erfolgen, wo die Aktivitäten ausgeübt werden, auf denen die wirtschaftliche Wertschöpfung basiert und die damit verbundene Einkünfteerzielung stattfindet„. Dies müsse auch in der digitalisierten Wirtschaft gewährleistet sein. Auch hier wieder eine Antwort, wo ich gern wissen würde, ob das sinnvoll ist oder nicht. Was sagt DIE LINKE eigentlich zu diesem Vorschlag? Nach der Antwort der Bundesregierung gibt es im Hinblick auf die BEPS-Initiative eine Untersuchung, deren Ergebnisse Ende 2015 vorliegen sollen. Da wäre wohl eine Wiedervorlage eine sinnvolle Aktion.
Umfassend gefragt und geantwortet wird zu den Themen Ressourcenschonung, diesbezüglichen Einsparpotentialen und Reboundeffekten sowie Recyclingquoten. Vielleicht wären das ja auch Themen, die in der unter dem Namen „Plan B“ in der LINKEN geführten Diskussion zum sozial-ökologischen Umbau Beachtung finden könnten. Mir wäre ja an der Stelle noch eine Debatte wichtig, ob die Digitalisierung eigentlich die Ausbeutung des Südens durch den Norden fortsetzt.
Die Antwort verweist auf zwei Studien, die ich hier ebenfalls erwähnen möchte. Aus dem Jahr 2013 stammt die Studie zu den Markperspektiven von 3 D in industriellen Anwendungen und die Studie mit dem Titel „Dezentrale Produktion, 3D-Druck und Nachhaltigkeit“ ist aus dem Jahr 2014.
Ein weiterer Themenkomplex der Kleinen Anfrage beschäftigt sich mit Veränderungen in Marktstrukturen und Verwertungsketten. Die Bundesregierung formuliert: „Der Staat hat hier nicht die Aufgabe, in den Veränderungsprozess einzugreifen oder ihn anzuhalten, unter der Voraussetzung, dass die Verhaltensregeln einer sozialen Marktwirtschaft eingehalten werden.“ Reicht das aus? Und wenn das so ist, wieso musste dann das Leistungsschutzrecht für Presseverleger her? Die Bundesregierung will ein „technologieoffenes, innovationsfreundliches Umfeld“ und „einen wirksamen Schutz vor Missbrauch von Markmacht„. Soweit, so gut. Stellt sich dann aber doch die Frage, WIE soll das erreicht werden? Vielleicht gibt ja das Gutachten der Monopolkommission zu Internetökonomie eine Antwort, das Ende Mai 2015 fertig sein soll. Im Hinblick auf die sog. Sharing Economy geht die Bundesregierung davon aus, dass die Geschäftsmodelle eher noch zunehmen werden. Sie formuliert in der Antwort weiter: „Dort wo neue Geschäftsmodelle im Wettstreit mit `traditionellen` Dienstleistern stehen, ist es wichtig, dass bestehende Recht- und Schutzstandards, insbesondere Arbeitnehmerschutz, Datenschutz, Verbraucherschutz sowie Steuerpflicht entsprechend eingehalten werden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen mit auf dem gleichen Markt agierenden `etablierten Anbietern` zu gewährleisten.“ Auch hier gilt: Soweit so gut. Aber auch hier stellt sich ja wieder die Frage, WIE das sichergestellt werden kann.
Besonders spannend sind die Fragen und Antworten zum Thema Wandel der Erwerbsarbeit durch Digitalisierung. Nicht nur, weil mit Arbeiten 4.0 gerade ein interessanter Prozess gestartet wurde. Das Grünbuch bietet m.E. viele Debattenpunkte, die sich lohnen. Ein Teil davon taucht in den Fragen und Antworten zu Telearbeit und Entgrenzung der Erwerbsarbeit wieder auf. Die Bundesregierung will sich auf keine Prognosen hinsichtlich eines positiven oder negativen Saldos bei Wegfall und Zunahme von Erwerbsarbeitsplätzen einlassen. In der Antwort auf die Frage 47 verweist die Bundesregierung auf ein „sehr breites Spektrum an nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zugelassenen Weiterbildungskursen„. Das schreit ja fast nach einer Kleinen Anfrage die sich mit der Auflistung der Angebote ebenso beschäftigt, wie mit der Frage der Vermittlungsquote nach Besuchen derartiger Kurse.
Die Antwort auf die Frage 53 a), die sich mit den konkreten Schutzmaßnahmen der Bundesregierung gegen Wirtschaftsspionage beschäftigt, lautet u.a.: „Deshalb führen u.a. die Verfassungsschutzbehörden (…) Sensibilisierungsveranstaltungen durch, um Unternehmen Erscheinungsformen und Hintergründe von Wirtschaftsspionage auch im elektronischen Raum zu erläutern“. Der BND erlaubt der NSA Wirtschaftsspionage und der Verfassungsschutz sensibilisiert und erklärt Hintergründe. Eine lustige Vorstellung, die eigentlich nicht lustig ist.
Zum Schluss: Die Kleine Anfrage hat zumindest für mich viele interessante neue Aspekte im Hinblick auf die Veränderungen der Gesellschaft durch Digitalisierung aufgezeigt. Sie hat mir aber auch wieder schmerzhaft gezeigt, das (fast) überall das Thema Digitalisierung der Gesellschaft und sich daraus ergebende Veränderungen diskutiert wird. Schade, dass meine eigene Partei da so hinterherhinkt. Chancen, Risiken und Herausforderungen der Digitalisierung in all ihren Facetten zu beleuchten und gleichzeitig den Versuch unternehmen demokratisch-sozialistische Antworten darauf zu entwickeln – das wäre wirklich ein Zukunftsthema.
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