Über Pegida, also die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, ist an verschiedenen Stellen bereits geschrieben worden. Am heutigen Abend habe ich mir selbst ein Bild gemacht. Vor Ort.
Zunächst war ich am Kanzleramt wo die Demonstration gegen den Berliner Ableger dieser Organisation startete. Am Brandenburger Tor bin ich dann zur Kundgebung des Berliner Ablegers gegangen. Als ich da war, waren es ungefähr 150 Menschen, später wurden es noch ein paar mehr. Das reicht bei weitem nicht an die Teilnehmer/innenzahlen der Gegendemonstranten/innen ran, ist dennoch erschreckend.
Neben einigen auch optisch erkennbaren Nazis waren es „ganz normale“ Bürger/innen, die sich dort versammelten. Nicht wenige von ihnen waren älteren Semesters. Sie trugen ein Schild auf dem Stand „Wir sind keine Nazis. Wir sind Bürger Deutschlands„, wobei Deutschland in Schwarz-Rot-Gold geschrieben war. Kleiner Hinweis: Im Dunkeln liest sich das wie „Deutsch“, das „land“ ist nicht richtig zu sehen. Als erstes fielen mir zwei Bürger auf, die einem Fernsehteam der ARD die Arbeit erschwerten, in dem sie ständig laut „Lügenpresse“ brüllend um das Team herumsprangen. Wenig später bekam ich mit, wie ein Bürger einem Journalisten erzählte, die auf der anderen Seite des Brandenburger Tores seien „rotes Drecksgesindel„. Und auf die Frage des Reporters wogegen sie eigentlich demonstrieren antwortete der Mann sinngemäß: „Wir wollen nicht das der Islam die Gesellschaft dominiert. Wer garantiert mir denn das wenn ich auf dem Weg von der Arbeit über den Alex gehe nicht Opfer eines Attentats werde.“ Ja klar. Islam = Terror. Mann, mann, mann.
Als zu vermuten stand, dass die Pegida-Anhänger/innen tatsächlich ein wenig spazieren gehen können -am Ende gingen sie einmal im Kreis- hingen wir aus meinem Bundestagsbüro das Transparent „Flüchtlinge willkommen“. Was sich beim Vorbeimarsch der Pegida-Anhänger/innen dann abspielte waren Stinkefinger und Rufe „Volksverräter“.
Nein, ich habe kein Verständnis für Pegida. Nein, ich habe kein Verständnis für diejenigen, die da mitlaufen. Und nein, nach dem heutigen Tag habe ich auch kein Bedürfnis mit Mitläufer/innen zu sprechen. Sie wissen was sie tun, das wurde heute sehr deutlich.
Ja, ich habe Verständnis für Kritik an den derzeitigen Zuständen. Aber diese Zustände will ich nicht im Sinne von Pegida verändert haben. Die Ungerechtigkeit fängt nämlich nicht im eigenen Land an, sie fängt dort an wo der Norden den Süden ausbeutet. Sie fängt dort an, wo ein Mensch nicht mehr als Mensch wahrgenommen wird, sondern nach Nützlichkeitskriterien für die Gesellschaft sortiert wird. Die Ungerechtigkeit fängt dort an, wo Asylsuchende immer noch weniger Geld bekommen als Transferleistungsempfangende. Die Ungerechtigkeit fängt dort an, wo die Einkommens- und Vermögensverhältnisse weltweit und in Deutschland immer weiter auseinanderklaffen. Das aber hat weder etwas mit Asylsuchenden und Flüchtlingen zu tun, noch mit dem Islam. Und wer Lügenpresse skandiert, der will keine Pressefreiheit.
Ich möchte eine Gesellschaft, wo Krieg als Mittel der Politik geächtet ist. Ich möchte eine Gesellschaft in der verschiedene Kulturen und Religionen friedlich nebeneinander leben. Ich möchte, dass jede und jeder in sozial sicheren Verhältnissen leben kann. Ich möchte das Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen verhindern. Ich möchte Pressefreiheit und ich möchte, dass der Norden aufhört den Süden auszubeuten.
Das alles will Pegida nicht. Deshalb bleibe ich dabei: No Pegida!
Mein Wohnort befindet sich an der französischen Grenze.Da bin ich auch aufgewachsen.So habe ich schon recht früh mit Menschen aus anderen Nationen
Kontakt gehabt.Französisch als Umgangssprache lernte ich nicht in der Schule, sondern von meinen französischen Freunden,deren Väter mit ihren Familien durch das Militär in Kehl stationiert waren – wo ich meine Kindheit und Jugend verbrachte.Inzwischen habe ich einen französischen und italienischen Schwager, mein Sohn ist mit einem türkischen Mädchen verlobt -und ich bin mit einer Somalierin verheiratet.Wir alle leben in einem familiären Zusammenhalt, verschiedene religiöse Ansichten haben auf unser Zusammenleben keinen Einfluss.Die Behauptung, der Islam würde uns unterwandern oder beherrschen wollen ist einfach absurd.Die sozialen Probleme in unserem Land werden durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik und nicht durch „Ausländer“ oder „Asylanten“ verursacht.HartzIV mit all seinen negativen Folgen ist das Ergebnis einer profitorientierten Lobbyistenpolitik, sonst gar nichts.Dazu kommt, das Waffenhandel und einseitige Aussenpolitik die Menschen aus ihren Heimatländern vertreiben, die flüchten ja nicht ohne Grund.In Anbetracht dessen, das jeder Mensch der durch Gewalt zu Tode kommt ein Opfer ist,egal ob er aus Frankreich kommt oder aus irgendeinem anderen Land, sehe ich diese „Nou somme Charlie“ Bewegung doch aus einem anderen Blickwinkel – wenn auch diese Anschläge natürlich ein furchtbares Verbrechen sind.Mal sollte bedenken das jeden Tag in den Krisengebieten tausende Menschen durch Waffen aus Europa und Amerika umkommen.Solange hier nicht ein deutliches Zeichen gesetzt wird, bleibt da schon ein Hauch von Heuchelei.
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