Das Bundesverfassungsgericht hat heute ein Urteil zum Telekommunikationsgesetz gefällt. Die Beschwerdeführer begrüßten das Urteil. Die Grünen feiern das Urteil ab. Im Gegenzug dazu spricht mein Kollege Jan Korte von einem „Teilerfolg“.
Worum ging es in dem Verfahren, was steht im Urteil und wie ist es zu bewerten?
Das Telekommunikationsgesetz (TKG) verpflichtet im § 111 geschäftsmäßige Anbieter von Telekommunikationsdiensten neben den vergebenen/bereitgestellten Rufnummern, Anschlusskennungen, Mobilfunkendgerätenummern und Kennungen von elektronischen Postfächern auch die persönlichen Daten der Anschlussinhaber (Name, Anschrift,Geburtsdatum) und die Daten des Vertragsbeginns zu erheben und zu speichern. Hinsichtlich der Postfachkennungen wird keine selbstständige Erhebungspflicht angeordnet, sondern nur eine Speicherungspflicht für den Fall, dass diese Daten ohnehin erhoben werden. § 112 TKG schafft ein automatisiertes Verfahren zur Erteilung von Auskünften aus den nach § 111 TKG gespeicherten Daten. Die Daten nach § 111 TKG müssen nach Maßgabe einer die technischen Details regelnden Rechtsverordnung so bereitgestellt werden, dass sie von der Bundesnetzagentur ohne Kenntnisnahme der Anbieter abgerufen werden können. Diese wiederum muss die Datensätze auf Ersuchen zum Beispiel von Strafverfolgungsbehörden, Polizeivollzugsbehörden und des Verfassungsschutzes im automatisierten Verfahren abrufen und diesen übermitteln. Der § 113 TKG regelt ein manuelles Verfahren für Auskünfte. Er enthält eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung durch die Telekommunikationsunternehmen selbst. Sowohl im automatisierten wie auch im manuellen Verfahren ist über die Auskunftserteilung gegenüber den den Datenbetroffenen Stillschweigen zu wahren. Vom manuellen Auskunftsverfahren sind auch solche Anbieter betroffen, die in Behörden oder Unternehmen, zum Beispiel in Krankenhäusern und Hotels, sogenannte Corporate Networks oder WLAN-Netze bereitstellen. Die auskunftberechtigten Behörden sind in § 113 TKG nicht genauer benannt, so dass im Prinzip alle Behörden betroffen sind. „Auskünfte sollen allgemein zulässig sein, soweit dies im Einzelfall für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die Gefahrenabwehr und die Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben erforderlich ist.“ Schließlich erstreckt sich die Auskunftspflicht bei § 113 TKG „auch auf die Daten, die die Anbieter zur inhaltlichen Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung ihrer Vertragsverhältnisse gemäß § 95 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Nr. 3 TKG erheben und speichern dürfen“. Entscheidend dürfte aber folgendes sein: „Neben der allgemeinen Auskunftsverpflichtung des § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG regelt § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG eine spezielle Auskunftspflicht hinsichtlich solcher Daten, die dem Schutz vor unbefugtem Zugriff auf Endgeräte oder Speichereinrichtungen dienen wie insbesondere Persönliche Identifikationsnummern (PIN) und als Personal Unblocking Key (PUK) bezeichnete Nummern. Auskunftsberechtigt sind insoweit die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden sowie die Nachrichtendienste nach Maßgabe von bestimmten, in § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG aufgeführten Rechtsgrundlagen, welche allgemeine Ermächtigungen zur Datenerhebung enthalten. Die Nutzung dieser Auskünfte für einen Zugriff auf Daten, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, ist nur unter den Voraussetzungen der hierfür einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zulässig„. Schließlich ist noch auf § 95 Abs. 3 TKG hinzuweisen. Danach sind bei einer Beendigung des Vertragsverhältnisses die nach § 95 Abs. 1 TKG gespeicherten Daten mit Ablauf des auf die Beendigung folgenden Kalenderjahres zu löschen. Nach § 95 Abs. 4 TKG ist der Diensteanbieter berechtigt, vonKunden die Vorlage eines amtlichen Ausweises zu verlangen und hiervon eine – später wieder zu vernichtende – Kopie anzufertigen.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte zunächst, dass „§ 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (Bundesgesetzblatt I Seite 1190)… mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar“ ist. § 113 Absatz 1 Satz 1 des TKG wiederum wird nicht als unvereinbar mit dem Grundgesetz angesehen. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass hier eine verfassungskonforme Auslegung stattzufinden hat „und damit nur in Verbindung mit qualifizierten Rechtsgrundlagen für den Datenabruf und nicht zur Zuordnung dynamischer IP-Adressen angewendet werden darf.“ § 95 Absatz 3 und 4 wird vom Verfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen.
Somit lässt sich schon nach dem Tenor festhalten, dass allein die Auskfunftspflicht nach § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingeschätzt wird. Mithin also nur die spezielle Auskunftspflicht hinsichtlich solcher Daten, die dem Schutz vor unbefugtem Zugriff auf Endgeräte oder Speichereinrichtungen dienen wie insbesondere Persönliche Identifikationsnummern (PIN) und als Personal Unblocking Key (PUK) bezeichnete Nummern. Alle anderen Auskunftspflichten -sowohl nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG wie auch die nach § 112 TKG werden damit implizit als verfassungsgemäß oder mindestens verfassungsgemäß auslegbar angesehen. Das ist nicht wirklich als Erfolg anzusehen.
Vielleicht ergibt sich die Bezeichnung als Erfolg ja aus den Urteilsgründen. In den Urteilsgründen findet sich dann der Satz, auf den sich die ganzen Erfolgsmeldungen beziehen: „§ 113 Abs. 1 Satz 1 TKG von Verfassungs wegen so auszulegen, dass die Vorschrift nicht zu einer Zuordnung von dynamischen IP-Adressen berechtigt.“ Okay, im Hinblick auf die dynamischen IP-Adressen kann man jetzt jubilieren. Aber deshalb das ganze Urteil gut finden? Das funktioniert wohl nur, wenn man alle anderen Aspekte der Speicherung jenseits der dynamischen IP-Adressen und der PIN und PUK außen vor lässt.
Gerade im Hinblick auf die viel diskutierte Vorratsdatenspeicherung kann das Urteil wohl eher nicht als Erfolg bezeichnbet werden. Denn im Urteil heißt es: „Strikt verboten ist demgegenüber die Speicherung von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten und noch nicht bestimmbaren Zwecken (vgl. BVerfGE 65, 1 <46>; 100, 313 <360>; 125, 260 <317>). Eine solche prinzipiell unzulässige Vorratsdatenspeicherung steht vorliegend jedoch nicht in Rede. Vielmehr regelt der Gesetzgeber mit § 111 TKG punktuell die Vorhaltung bestimmter, begrenzter und in ihrem Informationsgehalt genau umschriebener Daten für die in den §§ 112, 113 TKG eingehend definierten Verwendungszwecke. Eine derart ausgestaltete Bereitstellung einer Datenbasis für spezifische Auskünfte fällt nicht unter dieses strikte Verbot der Vorratsdatenspeicherung.“ Über den ersten Satz freut man sich noch. Auch über den Beginn des zweiten Satzes („prinzipiell unzulässige Vorratsdatenspeicherung“). Doch dann ist es vorbei mit der Freude. Eine Vorratsdatenspeicherung für „spezifische Auskünfte“ fällt also nicht unter das Verbot der Vorratsdatenspeicherung. Soweit ich die §§ 111-113 TKG richtig verstanden habe, sind Auskünfte auch zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr möglich. Und damit bleibt es beim Generalverdacht, denn für die „spezifischen Auskünfte“ von Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden werden erst mal vorsorglich jede Menge Daten aufgehoben. Und bedauerlicherweise macht das das Bundesverfassungsgericht auch gleich weiter mit der Zulässigkeit der anlasslosen Speicherung von Daten. „Auch wenn die Vorschrift eine vorsorglich anlasslose Erhebung und Speicherung von Telekommunikationsdaten mit einer großen Streubreite anordnet, handelt es sich angesichts des nicht sehr weit reichenden Informationsgehalts der erfassten Daten doch um einen Eingriff von nur begrenztem Gewicht.“ Und wem das nicht reicht, der findet ein weiteres Zitat: „Die Möglichkeit der Zuordnung der in § 111 TKG erfassten Daten dient einer effektiven Aufgabenwahrnehmung der in den Verwendungsvorschriften näher bestimmten Behörden. Sie ist verfassungsrechtlich dadurch gerechtfertigt, dass der Staat anlassbezogen ein legitimes Interesse an der Aufklärung bestimmter Telekommunikationsvorgänge haben und diesem Interesse zur Erfüllung bestimmter Aufgaben ein erhebliches, in Einzelfällen auch überragendes Gewicht zukommen kann. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die unmittelbare Kommunikation ohne Telekommunikationsmittel vergleichbare Eingriffe nicht kenne. Denn dort stellt sich die Sachlage anders dar. Weil die unmittelbare Kommunikation nicht auf technische Kommunikationsmittel zurückgreift, die es erlauben, sich unter Ausschluss öffentlicher Wahrnehmung über jede beliebige Distanz in Echtzeit miteinander auszutauschen, zeigt sich dort weder ein vergleichbares Substrat noch eine vergleichbare Notwendigkeit für ein entsprechendes Register. Die traditionellen Ermittlungsbefugnisse wie die Einvernehmung von Zeugen oder die Beschlagnahme von Unterlagen reichen hier zur Aufklärung weiter als gegenüber einer Kommunikation mittels elektronischer Dienste.“ Die Echtzeitkommunikation ist also die Begründung, warum man bei Telekommunikation darf, was man bei Brief und Paket nicht wollte. Halleluja. Weil die Gefahr besteht, dass in einem Fall ein Problem bestehen könnte, sammeln wir die Daten einer unbestimmten Anzahl von Personen. Absurd.
Sicherlich, im Hinblick auf die IP-Adressen ist das Urteil ein Erfolg. Aber ist das nicht ein klein wenig ein zu verengter Blick? Wer über die IP-Adressen sowie die PIN und PUK hinaussieht, der kann das Urteil wohl kaum als großen Erfolg verkaufen. Und weil wir gerade beim verkaufen sind: Es ist schon ganz schön putzig, wie die Grünen ein Urteil loben, welches Teile eines von ihnen verabschiedeten Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Erst verfassungswidrige Gesetze machen und sich dann darüber freuen, dass das Verfassungsgericht dies auch noch feststellt. Irgendwie seltsame Logik.