Fachkundig über Sicherungsverwahrung debattiert

Einen Beitrag zur Versachlichung in der Debatte zur Sicherungsverwahrung leistete die Berliner Linksfraktion mit ihrem Fachgespräch. Jenseits medialer Schreckgespenste debattierten der Anstaltsleiter der JVA Tegel Ralph Adam, die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue, der Brandenburgische Justizminister Dr. Volkmar Schöneburg und der Rechtsanwalt Sebastian Scharmer zur Frage „Wie weiter mit der Sicherungsverwahrung„.

Unaufgeregt verlief die Debatte und ziemlich sachkundig, trotz allem war sie gespickt auch mit politischen Statements. Die Berliner Justizsenatorin beispielsweise geht davon aus, dass das Urteil des EGMR nicht Ende der Sicherungsverwahrung sei, diese aber nunmehr europarechtssicher ausgestaltet werden müsse. Der Brandenburgische Justizminister wiederum sah durch das Urteil die Möglichkeit, die Balance zwischen Rechtsstaat und Sicherheitsinteresse wieder herzustellen, die bislang zu einseitig zu Lasten des Rechtsstaates entwickelt wurde. Bedauerlich sei aber, das über das Rechtsfolgensystem an sich überhaupt nicht debattiert werde, die vorbehaltene Sicherungsverwahrung -wie von der Regierung geplant- sei beispielsweise europarechtlich bedenklich. Sebastian Scharmer wiederum bedauerte, dass in der Bundespolitik nicht angekommen sei, dass das Instrument der Sicherungsverwahrung an sich grundsätzlich zu überdenken ist. Was er vielleicht nicht wusste, ist die Tatsache, dass zumindest die Rechts- und Innenpolitiker/innen der Fraktion das auch so sehen.  Er verwies darauf, dass es bei der Sicherungsverwahrung um potentielle Straftäter geht und Prognosen immer unsicher sind – das genau mache das Problem der Sicherungsverwahrung aus. Herr Adam wiederum verwies auf die Praxis. In der JVA Tegel sitzen derzeit 38 Personen in Sicherungsverwahrung und in den nächsten Jahren werden noch 40 weitere Personen hinzukommen. Er verwies vor allem auf praktische Schwierigkeiten bei den Entlassungsvorbereitungen, zum Beispiel bei der Frage des Wohnsitzes.

Es wurde ein Abgleich vorgenommen, wie andere Länder das Problem von Schwerstkriminalität lösen und eine -für mich nicht neue- aber dennoch immer wieder erschreckende Statistik beleuchtet. Tatsächlich sind die Sexualmorde bis 2003  um 38% gesunken, in der Wahrnehmung der Bevölkerung stiegen sie jedoch um 26%.Hier war der Appell an die Medien zu einer fairen Berichterstattung sicherlich richtig doch vermutlich wird er auch folgenlos bleiben :-(.

Praktisch wird es auch  für die Justizminister/innen, die davon ausgehen müssen, dass -bedauerlicherweise- die Sicherungsverwahrung wohl bestehen bleiben wird. Hier versuchen Berlin und Brandenburg bis Ende des Jahres Eckpunkte vorzulegen, auf die ich ziemlich gespannt bin. Mindestanforderungen wurden schon auf der Veranstaltung formuliert, so die Wahrung des Abstands- und Trennungsgebotes und mehr Freiheit nach Innen für Sicherungsverwahrte. Ein wichtiger Aspekt scheint mir in der erhitzten Debatte zu kurz zu kommen. Beide Justizminister/innen verwiesen darauf, dass die Forderung der Landesjustizminister war, dass wissenschaftlich aufgearbeitet wird, wie die Rückfallquote ist. Da frage ich mich dann schon, wo ist sie, wenn doch am 29. Oktober bereits die erste Lesung des Gesetzesentwurfes stattfinden soll – den zumindest ich immer noch nicht kenne.

Letzendlich müsse es um ein Sicherungsverwahrungsverhinderungsgesetz gehen. Wie das aussehen soll verschließt sich bislang meiner Phantasie, aber ich werde mir die Vorschläge dennoch gern ansehen. Vielleicht spielen ja dabei auch die Forderungen die Rechtsanwalt Scharmer aufstellte eine Rolle. Er forderte einen Behandlungsanspruch, einen Erprobungsanspruch (könnte man auch mit Haftlockerungen übersetzen), multidisziplinäre Sachverständigenteams die nicht in der JVA angesiedelt sind und vernünftige Entlassungshilfen.

Auch die Studie von Michael Alex wurde erwähnt, eine Studie die die Sicherungsverwahrung noch einmal in völlig anderem Licht erscheinen lässt. Alex hat in 77 Fällen in denen nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnete wurde, jedoch nicht durchgeführt werden konnte die Rückfallquote untersucht. Die Ergebnisse sind mehr als interessant und ein Belege dafür, dass präventives Strafrecht mit Rechtsstaat wenig zu tun hat, weil es billigend in Kauf nimmt eine Menge unschuldiger Menschen einzusperren. Nach der Studie kam es in 50 Fällen (65 %) zu keiner neuen Eintragung ins Strafregister, mithin gab es nur bei einer Minderheit neue Straftaten und diese meist in einem Bereich, wo es lediglich zu Geld- oder Bewährungsstrafen kan. In 12 Fällen (15 %) mussten erneut Freiheitsstrafen ohne Bewährung ausgesprochen werden; (davon zwei Sexualdelikte und zwei Raubdelikte).

Am Rande spielte auch das Thema Fussfessel eine Rolle. Insbesondere in Großstädten wurde eingeschätzt, machen diese keinen Sinn. Weder gehe von ihnen eine präventive Wirkung aus, noch kann sie konkret Straftaten verhindern, allein die Hoffnung auf eine höhere Hemmschwelle kann man ihr zugestehen. Besser wäre an dieser Stelle aber soetwas wie ein betreutes Wohnen.  Kriminalpolitisch wurde bemängelt, dass zwar mehr Haft vermieden werden könne, aber dies zu einer viel früheren Anordnung der Fussfessel führen könne. Und dennoch gebe es ein praktisches Problem, dann nämlich wenn sie zur Alternative für lebenslangen Knast wird.

Spannend wurde es ganz zum Schluss noch einmal, als Rechtsanwalt Scharmer deutlich darauf hinwies, dass es eine Illussion sei, man könne mit Sicherheit feststellen, das jemand gefährlich ist und Volkmar Schöneburg den Diskurs aufmachte, dass erst ein Paradigmenwechsel in der Strafrechtswissenschaft zur Wiederbelegung der Sicherungsverwahrung führte, ein Paradigmenwechsel hin zum kriminalprognostisches und präventives Strafrecht. Diesem Diskurs müsse deutlich entgegengetreten werden.

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