Selbstbewusste Flüchtlinge überfordern Minderheit im Innenausschuss

Ein gutes Dutzend Abgeordnete nahm am Gespräch der Flüchtlinge, die am Brandenburger Tor und am Oranienplatz protestieren, und dem Innenausschuss des Bundestages teil. Die Koalition stellte davon 3 und war damit in der Minderheit.

Frau Böhmer, die ebenfalls am Gespräch teilnahm, stellte klar, dass das Gespräch auf ihre Initiative anberaumt wurde, erzählte noch einmal, wie es zum Gespräch Anfang November kam und was in ihren Augen die damalige Vereinbarung war. Sie werde das Anliegen der Flüchtlinge in der Integrationskonferenz vortragen und einen Brief an die Landesinnen- und -justizminister/innen schreiben, damit die Flüchtlinge keine negativen Konsequenzen aus dem Bruch der Residenzpflicht tragen müssen. Sie habe ihre Versprechen erfüllt. Aha. Über die Absendung der Briefe und eventuelle Reaktionen sagte sie nichts. Jedenfalls nicht, so lange ich am Gespräch teilnehmen konnte. Aber ich kann ja mal parlamentarisch nachfragen.

Die vier Flüchtlinge begannen das Gespräch damit, dass sie eine von ihnen verfasste Pressemitteilung verlasen. Sie machten deutlich, dass sie Delegierte der protestierenden Flüchtlinge sind. Sie forderten ein, dass dies nicht das letzte Gespräch sein dürfe und es noch für viel mehr Flüchtlinge die Möglichkeit geben müsse, ihr Anliegen vorzutragen. Sie trugen ihre Forderungen (Abschaffung Residenzpflicht, Abschiebestopp, Abschaffung Asylbewerberleistungsgesetz) vor. Sie wiesen darauf hin, dass sie mit Rassismus konfrontiert wurden und Fluchtbewegungen auch was mit kolonialer Politik zu tun haben.

Dieses Selbstbewusstsein war zu viel für die Minderheit, bestehend aus den Koalitionsabgeordneten. Selbstbewusste Flüchtlinge, die nicht betteln sondern Gleichbehandlung einfordern, war wohl was völlig neues für diese Minderheit. Die Flüchtlinge wurden unterbrochen, ihnen wurde mitgeteilt, dass eine Propaganda gegen die Bundesregierung nicht helfe. Sie wurden gefragt, wer eigentlich den Text verfasst habe. Für die Minderheit ist offensichtlich auch unvorstellbar, dass die Flüchtlinge selbst politische Texte verfassen. Wenn sich jemand diesen Text zu eigen mache, dann überlege man, ob man an dem Gespräch weiter teilnehme.

Einer der Flüchtlinge erklärte nun, dass es ein gemeinsamer Text der protestierenden Flüchtlinge sei. Er sei Ergebnis ihrer Erlebnisse, sie würden nun gern über ihre Forderungen reden. Man sei nicht 600 Kilometer gelaufen um dann einen Brief geschrieben zu bekommen, dass man doch bitte keine Probleme wegen des Verstoßes gegen die Residenzpflicht bekomme, sondern um auf die Situation aufmerksam zu machen und eine Änderung einzufordern.

Die Reaktion der Minderheit war darauf hinzuweisen, dass man nicht zum ersten Mal mit Flüchtlingen rede und auch schon zentrale Aufnahmelager besucht habe sowie Wiederholungen der Aussagen aus der Aktuellen Stunde zum Thema Flüchtlinge, deren Niederschrift ich jetzt verweigere (weil sie so unerträglich sind). Das ganze wurde noch ergänzt durch den Hinweis, es sei ein Privileg mit den Abgeordneten zu reden, derzeit kommen monatlich 4.000 Flüchtlinge, vor allem Sinti und Roma, die nicht politisch verfolgt werden und es sei falsch, das koloniale Politik eine Fluchtursache sei.

Auch Frau Böhmer schaltete sich noch einmal ein und meinte, dass man doch im Gespräch so verblieben sei, dass die Flüchtlinge ihre Situation schildern. Gegenstand der Vereinbarung sei nicht gewesen, politische Propaganda vorzutragen. Man solle sich doch an die gegenseitigen Vereinbarungen halten. Eines Kommentars enthalte ich mich jetzt an dieser Stelle.

Tatsächlich schilderten die Flüchtlinge dann die Situation, in der sie sich befinden. Immer wieder unterbrochen mit der Frage, ob sie jetzt über sich reden oder über andere. Dabei dürfte es doch auch für die Minderheit nicht so schwer sein zu verstehen, dass wenn die vier Anwesenden als Delegierte der Flüchtlinge das Gespräch führen, sie natürlich nicht nur von ihrer ganz persönlichen Situation berichten.

Ich musste dann leider weg. Nach Pressemeldungen lehnte der Vorsitzende des Innenausschusses die Forderungen der Flüchtlinge ab. Wenig verwunderlich aus meiner Sicht und zu erwarten. Leider. Aber ich habe noch einen Tipp für die Minderheit. Wenn sie wirklich Interesse an der Situation der Flüchtlinge haben, sie können sie u.a. am Brandenburger Tor und am Oranienplatz treffen. Ein bisschen mehr Demut und weniger deutsche Arroganz als heute im Innenausschuss wäre da aber angebracht und hilfreich.

10 Replies to “Selbstbewusste Flüchtlinge überfordern Minderheit im Innenausschuss”

  1. danke fuer die aufbereitung. schoen auch deine schlussempfehlung. 🙂 <3

  2. es gibt um 11.00 uhr eine pressekonferenz. da wird sicherlicher erklärt werden, wie es weitergeht. eben war niemand draußen und ich wollte im bus niemanden wecken.

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