Auf einer Bahnfahrt

… gibt es einiges zu erleben.

Zunächst hat man/frau Zeit zu lesen. Ich habe die Zeit genutzt diese Studie zum 1. Mai in Berlin noch einmal ganz genau zu lesen. Sie zu lesen würde auch anderen wohl ganz gut tun. Im Ergebnis halten die Autoren fest: „Bei den Auseinandersetzungen am 1. Mai 2009 handelt es sich um ein vielschichtiges Ereignis, eine Art Mehrebenenkonflikt. Verschiedene Einzelpersonen und Personengruppen (…) bringen unterschiedliche Interssen am 1. Mai zusammen.“ Aus meiner Sicht noch viel interessanter sind allerdings die sich aus den Untersuchungen ergebenden Zahlen: 93% der festgenommenen Personen sind männlichen Geschlechts, 86,8% der Festgenommenen hat ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft, 75,5% war zum Zeitpunkt der Festnahme in Berlin gemeldet, bei 56,6% wurde eine Einwirkung von Alkohol auf die Tat angegeben und bei den Festgenommenen wo Einträge im Bundeszentralregister vorlagen bezogen sich lediglich 15% auf politisch definierte Delikte.

Doch zurück zur Bahnfahrt. Von Berlin aus begab ich mich über Angermünde nach Schwedt.

Schwedt

Die örtliche LINKE hatte mich eingeladen um über die Lage in der Partei und die nächsten Aufgaben zu reden. Die Zugverbindung war so ausgesucht, dass eigentlich kein Terminstress entstehen konnte. Aber eben nur eigentlich. Zunächst wurde den Reisenden nämlich mitgeteilt, dass eine Weichenstörung vorliegt und der Zug sich um ca. 5 Minuten verspäten würde. Kein Problem, mit meinen Sprintfähigkeiten hätte ich den Umstieg in Angermünde sicherlich geschafft. ;-). Doch wenig später änderte sich die Durchsage: Wegen eines Lokschadens an einem Güterzug würde sich die Weiterfahrt noch weiter verzögern. Es hätte sich nämlich ein Stau von Zügen gebildet, der langsam abgearbeitet werden müsse. Die überaus freundliche Zugbegleiterin rief extra noch an, aber der Zug nach Schwedt war, als ich in Angermünde ankam schon weg. Die Zugbegleiterin hatte mir aber freundlicherweise den nächsten Zug bereits rausgesucht, so dass ich wusste ich würde nur knapp verspätet ankommen. Ich versuchte also mein Büro anzurufen und es zu bitten, in Schwedt anzurufen um zu sagen, dass ich später komme. Daraus entwickelte sich ein Dauertelefonat. Als ich die Bahnhofsvorhalle in Angermünde erreichte, stellte ich nämlich fest, dass der Zug nach Schwedt eine Verspätung um 30 Minuten haben würde. Zunächst. Denn nach ungefähr 5 Minuten war diese Verspätung schon wieder von der Anzeigetafel wieder verschwunden. Leider hatte der „Bahnhof“ Angermünde nicht wirklich einen wärmenden Aufenthaltsort, so dass ich frierend in der Vorhalle herumstand und zusehen konnte, wie junge Männer sich einen Spaß daraus machten Silvester-Knaller zu zünden. Aber am Ende kam der Zug doch noch und ich war nur leicht verspätet in Schwedt.

Über den Bahnhof in Schwedt sage ich lieber gar nichts, dort gab es nicht mal soetwas ähnliches wie einen Aufenthaltsraum, so dass ich auf den Zug nach Berlin weitere 25 Minuten in der Kälte herumstand.

Dafür war die Veranstaltung in Schwedt dann ziemlich interessant, weil die Genossen/innen viele gute Ideen hatten wir eine lebhafte Debatte hatten, in der weitgehend Konsens herrschte. Weitgehend deshalb, weil wir schließlich doch an einem Punkt ins Streiten gerieten. Ich wendete mich gegen eine Schlussstrich-Debatte in der Frage der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR. Ich wiederholte, dass die DDR kein Rechtsstaat war und das ein Sozialismus von den Menschen gewollt werden muss, sonst ist er kein Sozialismus und schon gar nicht ist es Sozialismus wenn der sich so nennende Staat die Menschen einsperrt und sie am Verlassen des Landes hindern will. Wir sind mit der Debatte nicht zu Ende gekommen und so werde ich wieder nach Schwedt fahren, wenn der Programmentwurf vorliegt. Dann diskutieren wir weiter.

4 Replies to “Auf einer Bahnfahrt”

  1. Ja, ja, die DDR war kein Rechtsstaat; das bestreitet ja mittlerweile auch niemand mehr, außer vielleicht ein paar ehemalige Stasi-Generäle. Die Frage ist doch, ob Du soweit gehen würdest, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Wahrscheinlich nicht, oder? Denn der Begriff „Unrechtsstaat“ ist juristisch nicht definiert (ähnlich wie der der „Gerechtigkeit“), sondern kommt allein im politischen Diskurs (gewissermaßen als „Kampfbegriff“) vor. Ja, ja, eine StVO gab es in der DDR, und diese wurde auch eingehalten. Aber Amtsgerichte, wo man gegen amtliche Bescheide hätte klagen können als DDR-Bürger, gab es nicht. Und die Todesstrafe gab es offiziell bis ´87. Als deren Abschaffung verkündet wurde, wunderten sich viele DDR-Bürger darüber, dass es überhaupt eine Todesstrafe gab.

  2. Genossin Wawzyniak,

    darf ich dir die Frage Stellen:

    Wie definierst Du „Rechtsstaat“? Wie könnte Mensch (kein Jurist) sich das anschaulich machen?

    Würdest du soweit gehen und öffentlich vor dem Bundestag sagen, dass die BRD ein 100% Rechtsstaat sei, oder nur ein 80%? Ist die BRD ein Rechtsstaat für alle? Oder nur für die, die es sich leisten können, die ihre Rechte einfordern könne, wie Z.B. Abgeordnete?

    Solaris Post, Sachsen

  3. Hallo Solaris;

    ein Rechtsstaat zeichnet sich zum Beispiel dadurch aus, dass es in ihm Gewaltenteilung gibt, dass es die Möglichkeit gibt Regierungen abzuwählen und das Recht auf eine Opposition.

    In der DDR gab es so gut wie keine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Du konntest dich gegen einen Akt der Verwaltung nicht per Gericht wehren, du konntest maximal eine Eingabe schreiben. Es gab keine Möglichkeit die Regierung abzuwählen, weil bereits in der Verfassung festgeschrieben stand, dass die SED die führende Kraft ist.

  4. Danke für Deine prompte Antwort. Ich stimme soweit zu.

    Die Probleme fangen an, wenn man das politische System, die real existierende Gewaltenteilung und die täglichen Abläufe in den Parlamenten analysiert.

    1. Es gibt eigentlich nur eine Oppositionspartei: Die LINKE
    2. Gregor Gysi ist der Auffassung, dass der Bundestag kaum noch eine Rolle für die Regierung spielt. Den Maßstab für das Regierungshandeln setze das Bundesverfassungsgericht, nicht die Volksvertretung. Wegen des Kompetenzverlustes des Bundestages gegenüber der Regierung könne nur noch das Bundesverfassungsgericht der Regierung Schranken setzen: http://bund-laender.verdi.de/fachgruppen/justiz/richterinnen_und_richter_staatsanwaeltinnen_und_staatsanwaelte/verdikt/data/verdikt-1-2009_mo.pdf
    3. Gewisse Vorgänge von existenzieller Bedeutung für das Gemeinwohl (Bankenrettungspakete, Soffin, Ausrufung des Nato-Bündnisfalls 12.9.2001,…
    wurden unter keinen oder falschen Informationen dem Parlament abgenötigt.
    4. Dazu kommen:
    Verkauftes Mandat, Konzernvertreter in den Ministerien die Gesetze schreiben, Cross-Border-Leasing-Veträge, Toll-Collect-Vertrag: Die Abgeordneten der Stadt- und Gemeindeparlamente und des Bundestages, haben es zugelassen, von der verfassungsgemäßen Informationspflicht zu Gesetzesakten über die abzustimmen waren, „befreit“ zu werden. Es wurden bisher keine erfolgreichen Verfasungsklagen gegen diese Einschränkung ihrer Rechte durchgesetzt. Und wo bleiben die Klagen auf Offenlegung der Verträge?

    5. EU-Vetrag: Wie Lafontaine explizit in einer Podiumsdiskussion anmerkte, verbietet der Art. 56 Lissabon-Vertrag die Regulierung und Begrenzung des freien Kapitalverkehrs in Europa . „Wir können uns die ganze Debatte über die Regulierung der Finanzmärkte sparen“ (O. Lafontaine). Kaum ein Abgeordneter hat diesen Vertrag gelesen. http://www.youtube.com/watch?v=f-8djWDG1_g&feature=related
    (ab 8:50 min)

    6. Humanitäres Völkerrecht verlangt von allen im Krieg Beteiligten die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten. In diesem Sinne Unverhältnismäßige Angriffe sind Mord, Massenmord und müssen untersucht und strafrechtlich verfolgt werden. Wenn das in diesem Staat (im heutigen Kriegszustand) nicht mehr möglich sein sollte, dann ist es kein Rechtsstaat. Wahlen hin oder her.

    Es gibt also keinen wirklichen Rechtsstaat und die Regierung abzuwählen hat – um es salopp zu sagen, den Bürgern der BRD in den letzten Jahrzehnten auch nichts genützt.

    Daher ist es einseitig und nicht angemessen immer nur wieder die DDR als Nicht-Rechtsstaat oder Unrechtsstaat zu bezeichnen. Das ist eigentlich ein gewollter Affront gegen alle Linken und systemkritischen Bürger und die Partei DIE LINKE wird damit sicherlich nicht glaubwürdiger aber mensch interpretiert diese Stellungnahmen von Dir als Signal an SPD und Grüne einen gemeinsamen Grundkonsens zur DDR zu finden/auszuhandeln, der zwar vieles im Dunkeln lässt und nicht mit der Parteibasis abgestimmt ist, aber eben die Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen soll. Das
    ist denke ich das Problem und die Verantwortung ist zu groß als das sie von Dir oder FDSlern um Bartsch, Liebich, Rico Gebhardt, usw. getragen werden könnte. Diese Fragen überlasst bitte einem Gesamtmitgliederentscheid.

    Mit solidarischen Grüßen
    Solaris Post

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