Auf einmal sind die Geschäftsordnungsfristen eine Verletzung von Abgeordnetenrechten

 

Das Bundesverfassungsgericht hat nach eigener Pressemitteilung entschieden, dass trotz eines der Geschäftsordnung entsprechenden Verfahrens, die Rechte von MdB verletzt wurden und deshalb das Gebäudeenergiegesetz (GEG) nicht mehr vor der Sommerpause beschlossen werden kann. Geklagt hatte MdB Heilmann (CDU), Bundestagsabgeordneter seit 2017. Er sah sich in seinen Rechten verletzt.

Hintergrund ist ein Gesetzesvorhaben, dass am 19. April 2023 im Kabinett beschlossen und am 17. Mai 2023 in den Bundestag eingebracht wurde. Am 15. Juni 2023 fand die erste Lesung statt, der Gesetzentwurf wurde in den Ausschuss für Klimaschutz und Energie überwiesen. Eine Sachverständigenanhörung fand am 21. Juni 2023 statt und eine Sondersitzung des Ausschusses am 27. Juni 2023. Auf den 03. Juli wurde eine zweite Anhörung datiert, soweit Änderungsanträge bis 30. Juni 2023 vorgelegt werden. Am 30. Juni 2023 wurde dem Ausschuss eine Formulierungshilfe mit einer 94-seitigen Synopse mit 14-seitiger Begründung übermittelt. Nach der Anhörung am 03. Juli 2023 wurde am Nachmittag des 04. Juli ein Änderungsantrag vorgelegt, der Ausschuss beriet am 05. Juli 2023 erneut. Die zweite und dritte Lesung sollte am 07. Juli 2023 stattfinden. Der Kläger wollte die zweite und dritte Lesung verhindern, sie sollte so lange nicht stattfinden, wie die wesentlichen Textpassagen nicht mindestens 14 Tage vorher zugegangen sind.

Das BVerfG gab nun dem Kläger (im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dem Antragsteller) Recht. Es ist selbstverständlich richtig, wenn es in der Pressemitteilung heißt: „Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert den Status der Gleichheit der Abgeordneten in einem formellen und umfassenden Sinn. Danach sind alle Abgeordneten berufen, gleichermaßen an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken. Den Abgeordneten steht nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten. Dies setzt eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus. Die Abgeordneten müssen dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können.“  Es wird weiter darauf verwiesen, dass

 „bei dem dargestellten Geschehensablauf die Fristen, die die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages für die zweite Beratung eines Gesetzentwurfs vorsieht (§ 81 Abs. 1 Satz 2 GO-BT), gewahrt worden sein dürften“.

Dennoch entschied das BVerfG, dass es „näherer, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht leistbarer Prüfung (bedarf), ob die Beteiligungsrechte des Antragstellers vorliegend ohne ausreichenden sachlichen Grund in substantiellem Umfang beeinträchtigt wurden und sich die durch die Parlamentsmehrheit gewählte Verfahrens-gestaltung als eine rechtsmissbräuchliche Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens darstellt.“

Die Entscheidung des BVerfG ist aus meiner Sicht nicht nachzuvollziehen, denn das BVerfG stellt ja fest, dass das Gesetzgebungsverfahren den Regelungen der GO des Bundestages entspricht. Die Entscheidung dürfte über den konkreten Fall hinausgehen. Es hat für mich darüber hinaus den Anschein, dass es MdB Heilmann gar nicht um das Verfahren an sich geht, sondern um ein im öffentlichen Diskurs breit debattiertes Gesetz, was mit allen Mitteln mindestens verzögert werden soll. Das hat schon etwas von Instrumentalisierung des Rechts für andere Zwecke.

 

Die grundsätzliche Bedeutung

Das BVerfG weist darauf hin, dass in „der vorliegenden Konstellation allerdings zu berücksichtigen (ist), dass die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes zu einem sein Inkrafttreten ab dem 1. Januar 2024 nicht berührenden Zeitpunkt ohne weiteres möglich bliebe.“ Wenn dem aber so ist, denn hätte das BVerfG den Hinweis auf die Geschäftsordnung gar nicht machen müssen.

Der Hinweis auf die Geschäftsordnung lässt eher vermuten, dass das BVerfG hier grundsätzliche Bedenken gegen die Geschäftsordnung hat.

Auf Antrag der SPD hat der Bundestag zu Beginn der derzeit laufenden Wahlperiode einmütig (vgl. S. 14) die Fortgeltung der Geschäftsordnung des Bundestages beschlossen.

81 Abs. 1 S. 2 GO BT besagt, dass die zweite Lesung „am zweiten Tag nach Verteilung der Beschlussempfehlung“ beginnt. Es ist kein unübliches Verfahren, dass am Tag der Ausschusssitzung selbst -in der Regel ein Mittwoch- noch umfangreiche Änderungsanträge eingereicht und beschlossen werden, die Beschlussempfehlung noch am selben Tag verteilt und dann am zweiten Tag nach der Verteilung, an einem Freitag, die zweite und dritte Lesung stattfindet.

Ich weiß auch aus Erfahrung, dass es möglich ist binnen kurzer Zeit Synopsen und Begründungen zu bewerten, insbesondere bei einem hoch umstrittenen Thema.

Wenn das BVerfG die Regelung in der GO für nicht mit den Rechten der MdB vereinbar ansieht, dann dürfte die Folge sein, dass nach einer Ausschusssitzung am Mittwoch nicht am Freitag die zweite und dritte Lesung von Gesetzentwürfen stattfindet. Wenn es keine Doppelsitzungswoche gibt, führt das zu einer Verzögerung von mindestens zwei Wochen.

Das wäre legitim, ich bin mir nur recht sicher, dass das nicht zwingend zu einer Qualitätssteigerung führen wird.

Die doppelten Standards

MdB Heilmann ist in der 20. Wahlperiode Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Er ist also eigentlich nah dran am Thema des Gesetzes. Warum er seine Rechte als MdB dadurch verletzt sieht, dass er in der Zeit vom 30. Juni 2023 bis zum 03. Juli eine 94-seitige Synopse mit 14-seitiger Begründung durcharbeiten soll und am 04. Juli 2023 bei einem eingereichten Änderungsantrag möglicherweise Änderungen erkennen können soll, würde mich im Detail tatsächlich interessieren. Aber das das ist nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, dass es MdB Heilmann offensichtlich die vier Jahre zuvor nicht interessiert hat.

In der 19. Wahlperiode war er nämlich auch schon Abgeordneter, damals einer Regierungsfraktion. Bei der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zum Beispiel datierte der Gesetzentwurf auf den 10. Mai 2019, die Beschlussempfehlung des Ausschusses datiert auf den 5. Juni 2019 und die zweite und dritte Beratung fand am 7. Juni 2019 statt. Im Kern also das gleiche Verfahren. Berichterstatter des Ausschusses MdB Heilmann. Damals waren Abgeordnetenrechte nicht verletzt. Nun ja.

Wenn es um doppelte Standards geht, dann geht es vor allem darum, dass es bei dem gewählten Verfahren nicht um eine Neuerung oder Überraschung oder ähnliches geht. Kurzfristige Gesetzgebungsverfahren sind seit langem ein üblicher Vorgang.

Bei der Hartz-IV-Gesetzgebung beispielsweise ging das Verfahren deutlich schneller, ohne dass es einen großen Aufstand gegeben hätte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung datiert auf den 1. Oktober 2003, der Gesetzentwurf der regierenden Koalition von Grünen und SPD auf den 5. September 2003. Am 15. und 16. Oktober 2003 lagen die Beschlussempfehlungen der Ausschüsse vor, am 17. Oktober 2003 fand die zweite und dritte Lesung statt. Dass die endgültige Beschlussfassung erst im Dezember 2003 stattfand, lag allein daran, dass es eine Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses gab.

 

Was Rechte von MdB einschränkt

Im November 2021 hat der Bundestag einen Hauptausschuss eingesetzt. Das ist keine Besonderheit, sondern seit 2013 nach dem Ende der Wahlperiode Praxis. Der Hauptausschuss übernimmt für eine begrenzte Zeit die Rechte der Ausschüsse, die erst nach Regierungsbildung eingesetzt werden.  MdB Heilmann ist seit 2017 Mitglied des Bundestages, den Hauptausschuss 2017 hat er also mit eingesetzt.

Im November 2013 habe ich bereits gegen diesen Hauptausschuss argumentiert. Dieser ist nämlich de facto ein Miniparlament. Die Fraktionen wählen aus ihrer Mitte aus, wer in ihm arbeiten darf. Die anderen Abgeordneten sind Ausschusslos für diese Zeit. Ich hielt und halte den Hauptausschuss für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, denn er verstößt gegen die sich aus Art. 38 Abs. 1, S. 2 GG ergebende Gleichheit der Abgeordneten. Im sog. Wüppesahl-Urteil des BVerfG wird ausgeführt, dass alle Abgeordneten gleichberechtigt an der Arbeit des Bundestages teilnehmen können müssen. Das ist mit dem Hauptausschuss ausgeschlossen.

Wenn es wirklich um Abgeordnetenrechte gehen würde, dann kann nicht ein Hauptausschuss eingesetzt, eine Geschäftsordnung beschlossen, regelmäßig die parlamentarischen Verfahren strapaziert werden und dann, wenn ein Gesetz inhaltlich nicht passt, geklagt werden. Warum das BVerfG die Geschäftsordnungsfrist für nicht mit den Rechten der MdB für vereinbar hält, wird es dann sicherlich im Hauptsacheverfahren erklären.

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