Am gestrigen Tag war ich in Brüssel zum Workshop „Democracy in Europe and in the Middle East – Civil Actors Exchange Ideas and Experiences“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung um in einem Panel zum Thema „Mass Media and Internet Democracy“ zu sprechen. Doch bevor ich einiges zum Workshop schreibe, will ich zunächst über das Wetter reden :-). Dieses ist in Brüssel in einer Weise wechselhaft, wie ich es bisher nicht kannte. Während ich am gestrigen Tag geneigt war kurze Hosen und Shirt anzuziehen, ärgerte ich mich ob des heutigen Nieselregens und der Temperaturen keinen Pullover mitgenommen zu haben.
Sehr interessant war der Vortrag von Prof. Tamar Hermann welche regelmäßig einen Demokratie-Index bezogen auf Israel erstellt und einige Daten aus dem Index vom März 2011 vortrug. Ihre Grundaussage war, das Isreal eine Demokratie sei, wenn auch keine perfekte und das mit der Lösung des Isreal-Palästina-Konfliktes nicht alle Demokratie-Probleme gelöst seien. 12% der Wahlberechtigten Israelis sind Araber, eine Tatsache die häufig nicht bekannt ist. Aus ihrer Sicht gibt es eine Spannung zwischen Demokratie und Religion, ein Teil der orthodoxen und ultraorthoxen Juden akzeptiere wesentliche Elemente von Demokratie nicht. Dem jedoch steht eine aktive und offene Zivilgesellschaft gegenüber. Der tiefste Graben der israelischen Gesellschaft sei der zwischen jüdischen und arabischen Menschen. In der Theorie werde die Grundlagen der Demokratie, wie gleiche Rechte für alle, akzeptiert, praktisch gäbe es aber immer wieder Schwierigkeiten. In neuesten Umfragen sprachen sich allerdings 2/3 der befragten Einwohnerinnen und Einwohner dafür aus, dass die in Israel lebenden Araber als Israelis anerkannt werden sollen (wichtig ist hier: es ging hier nicht um die Frage der Staatsbürgerschaft, sondern die Frage des gesellschaftlichen Anerkennung als gleichberechtigee Bürgerinnen und Bürger). Dies entspricht ungefähr dem gleichen Prozentsatz derjenigen, die sich dafür aussprachen, dass eine solche Haltung auch Wehrdienstverweigerern zugesprochen werden sollte. Eine ziemlich Veränderung der israelischen Gesellschaft im Vergleich zu früheren Jahren. Allerdings -und da waren wir dann bei den Gemeinsamkeiten mit Europa- gibt es auch in Israel eine Parteienverdrossenheit. 7% der Bürgerinnen und Bürger sind in Parteien organisiert, deren Ruf ist eher schlecht. Sie gelten als korrupt und altmodisch. Daniel Cirera aus Frankreich sah als größte Herausforderung für die Demokratie in Europa den Umgang mit Fremdenhass an. Er sah die demokratischen Systeme in Europa in der Krise und verwies dabei auf die geringe Wahlbeteiligung von 46% bei der Präsidentschaftswahl in Portugal und die extreme Zunahme von Wahlerfolgen rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in Europa. An dieser Stelle sei mir ein kleiner Abstecher erlaubt. Ich finde es nach wie vor richtig, von Rechtsextremismus zu sprechen und nicht von Neofaschismus.
Mossi Raz sprach im zweiten Panel darüber, dass es aus seiner Sicht zu wenig Linke in Israel gibt, die sich gesellschaftlichen Veränderungen und insbesondere der sozialen Thematik zuwenden. Das führt zu einer Zunahme zivilgesellschaftlichen Engagements, die Zivilgesellschaft will sich dabei aber nicht mehr den Parteien unterornden. Er verwies in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf hin, dass sich trotz der Tatsache, dass sich zwei Drittel der israelischen Bevölkerung für eine Zweistaatenlösung im Israel-Palästina-Konflikt ausprechen, Menschenrechtsorganisationen die sich beispielsweise gegen weitere Siedlungen aussprechen nicht wohlgelitten sind. Aus seiner Sicht sind es auch sekuläre und in der politischen Landkarte in der Mitte angesiedelte Parteien, die sich am Versuch beteiligen, den Demokratieraum einzuengen. Birgit Daiber erklärte im Rahmen dieses Panels das Links für sie sei für Frieden einzutreten, für Demokratie und den Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu führen.
Im dritten Panel sprach Anat Saragusti, die u.a. als Journalistin im Gaza-Streifen unterwegs war, über das Bild der israelischen Gesellschaft, wie es über die Mainstreammedien verbreitet wird. Anhand von Zahlen wies sie nach, dass sowohl Migrantinnen und Migranten als auch die arabischen Einwohner mehr als unterproportional in den Medien eine Rolle spielen. Das wiederum prägt aber das Bild von Migranten und arabischen Einwohnern in der Israelischen Mehrheitsgesellschaft. Deshalb macht sie unter anderem Führungen mit israelischen Journalistinnen und Journalisten in mehrheitlich arabisch bewohnten Gebieten Israels. Sie verwies auf die große Gefahr, die sich daraus ergibt, dass es keinen arabisch sprechenden Fernsehsender in Israel gibt und die arabischen Einwohnerinnen und Einwohner ihre Informationen allein aus den Sendungen von al Dshasira und aus den arabischen Sendungen aus dem Westjordanland erhalten. Eine Gesellschaft die zusammengehören will muss an dieser Stelle tatsächlich zusammenführen und nicht noch über Medien die Gräben weiter vertiefen.
Gern hätte ich dem Workshop noch länger gefolgt, aber ich musste nach Berlin zurück. Hier allerdings scheint jetzt die Sonne 🙂