Danke Union – für die Wahlrechtsreform zu spät :-(

Nach noch ein wenig auch medialer Aufregung ist es nun amtlich. Der Bundestag geht in die Sommerpause und eine Wahlrechtsreform ist nicht beschlossen worden. Zu den absurden Vorschlägen der CDU (Brinkhaus) und den noch absurderen Vorstellungen der CSU habe ich an anderer Stelle etwas geschrieben. Heute geht es mir eher um die Frage, ob eine Wahlrechtsreform zur Bundestagswahl 2021 überhaupt noch möglich wäre und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

Der § 21 Abs. 3 S. 4 Bundeswahlgesetz legt Fristen für die frühstmögliche Aufstellung von Kandiderenden für die Bundestagswahlen fest. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat freundlicherweise ausgerechnet, was dies für die Aufstellung von Kandierenden für die Bundestagsawahl 2021 bedeutet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass bereits seit dem 25. Juni 2020 Kandidierende für die Bundestagswahl aufgestellt werden dürfen, also seit knapp 1,5 Wochen. Und jetzt wird es spannend.

Zunächst: Hätte der Bundestag gestern entschieden, den Gesetzentwurf der demokratischen Oppositionsparteien doch zu behandeln und hätte dieser eine Mehrheit gewonnen, hätte dies zur Konsequenz, dass zunächst die 250 Wahlkreise hätten festgelegt werden müssen und erst nach dieser Festlegung Kandidierende hätten aufgestellt werden können. Ziemlich viel hätte und er hat ja auch nicht.

Die Änderung des Wahlgesetzes, wie von den drei demokratischen Oppositionsparteien vorgeschlagen, wäre also schon ein ziemlich schwieriges Unterfangen gewesen, was aber nicht an den drei demokratischen Oppositionsparteien lag, sondern an der Union die den ganzen Prozess der Reform verkackt hat. Es wäre aber noch zu argumentieren gewesen. Die Wahlkreiseinteilung für die Bundestagswahl 2021 wurde pünktlich zum 25. Juni im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Streng genommen können erst ab diesem Zeitpunkt die Vertreter*innen zur Aufstellung von Wahlkreiskandidierenden gewählt werden.Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass dies bis zur -theoretischen- Änderung des Wahlgesetzes am 03. Juli geschehen ist und insofern würde die Gesetzesänderung nicht in ein laufendes Wahlverfahren eingreifen. Schon das wäre aber nicht schön gewesen.

Nun hat heute der Bundeswahlleiter verkündet, er halte ein Reform des Wahlrechts für die Bundestagswahl 2021 immer noch für möglich. Sollten schon Kandidierende aufgestellt worden sein, müsste der Wahlvorgang wiederholt werden. Er knüpft damit an eine These des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages an. Dieser sagt,

nach überwiegender Ansicht (ergibt sich aus den Fristen des § 21 Abs. 3 S. 4 BWahlG) nicht zwingend, dass im Anschluss an die Vertreterversammlung nach geltendem Recht keine Wahlrechtsreform mehr durchgeführt werden kann. Bis wann eine Wahlrechtsänderung erfolgen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, bei der es auf die jeweiligen Änderungen ankommt.

Anderer Ansicht war im Jahr 2016 das Land Thüringen, meiner Meinung nach zutreffend. Das Land Thüringen argumentierte:

Nach Auffassung der Landesregierung sollte das notwendige Gesetzgebungsverfahren mit Blick auf § 21 Absatz 3 Satz 4 BWG zum frühestmöglichen Termin zur Wahl der Vertreter für Vertreterversammlungen (23. März 2016) bereits abgeschlossen sein. Von Verfassungswegen sei es aus Gründen der Chancengleichheit der Parteien und der Wahlkreisbewerber sowie aus allgemeinen Gründen der Rechtssicherheit notwendig, dass zum Zeitpunkt des frühestmöglichen gesetzlich festgelegten Beginns der Wahl der Vertreter für Vertreterversammlungen die Einteilung und Größe der Wahlkreise vom Deutschen Bundestag festgelegt seien. Würde die Wahlkreiseinteilung erst nach diesem Zeitpunkt wirksam, läge darin ein Eingriff des Gesetzgebers in die laufende innerparteiliche, demokratische Willensbildung.

Abgesehen von der Tatsache, dass außer dem Gesetzentwurf der drei demokratischen Oppositionsparteien kein weiterer Gesetzentwurf vorliegt, scheint es mir angesichts der fortgeschrittenen Zeit bis zur Bundestagswahl 2021 nicht mehr seriöse möglich, das Wahlrecht zu reformieren. Und noch einmal: Schuld daran ist die Union. Mal angenommen, irgendwann in dieser Sommerpause einigt sich die Koalition auf einen Gesetzentwurf, könnte dieser -es sei denn der Bundestag kommt zu einer Sondersitzung zusammen- frühestens in der Woche vom 07.-11. September 2020 den Gesetzesentwurf in erster Beratung beraten und in der Woche vom 14.-18. September 2020 in zweiter und dritter Beratung beschließen. Dies schließt eine seriöse Auseinandersetzung mit diesem eventuell geeinten Vorschlag de facto ebenso aus, wie eine Anhörung mit Sachverständigen.  Im nächsten Schritt müsste die Wahlkreiskommission dann die reduzierten Wahlkreise festlegen, die -wenn es sehr schnell geht- der Bundestag zwischen 1. und 9. Oktober 202o beschließen könnte. Ob dies tatsächlich so schnell möglich ist weiß ich nicht, denn die Wahlkreiskommission hat die Vorgaben des § 3 BWahlG zu beachten. Wahlkreise müssen folgenden Kriterien entsprechen:

  • Ländergrenzen sind einzuhalten
  • Zahl der Wahlkreise in den Bundesländern muss deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen
  • Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise um nicht mehr als 15% abweichen, spätenstens bei einer Abweichung von 25% ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen
  • Wahlkreise sollen ein zusammenhängendes Gebiet bilden
  • Grenzen von Gemeinden, Kreisen und kreisfreien Städten sollen nach Möglichkeit eingehalten werden

Wenn ich das richtige sehe (Punkt 1.3.), gehört es zum guten Standard, dass die Landesregierungen zum Vorschlag der Wahlkreiskommission Stellung nehmen. Ich bin vor diesem Hintergrund eher skeptisch, dass bereits im Oktober 2020 die Wahlkreiseinteilung stattgefunden haben könnte. Der nächstmögliche Termin, von Sondersitzungen abgesehen, für die Wahlkreiseinteilung wäre dann in der Woche vom 2.-6. November 2020. Erst wenn die Wahkreiseinteilung feststeht, können aber die Vertreter*innen für die Aufstellung von Kandidierenden gewählt werden, für diesen Vorgang sind selbstverständlich auch Fristen einzuhalten. Kurz und gut, vermutlich würde bei einer Neueinteilung von Wahkreisen die Aufstellung von Kandidierenden erst zu Beginn des Jahres 2021 erfolgen, mithin ein gutes halbes Jahr später als im Gesetz vorgesehen. Soweit ich das recherchieren konnte gibt es keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich der Mindestfristen und Höchstfristen für Aufstellung von Kandidierenden.

Das ist aber noch nicht alles. Mal angenommen eine Partei hat bereits für den August oder September zur Wahl eines/einer Wahlkreiskandidierenden eingeladen und die Vorbereitungen in Form der Wahl von Vertreter*innen läuft schon. Im August oder September 2020 wird dann ein*e Kandidierende*r bestimmt. Dann ist das nach geltendem Recht möglich. Mit der Wahlrechtsreform würde nun aber die Wahlkreise neu bestimmt und diese Wahl hinfällig. Das gesamte Verfahren beginnt von vorn, rückwirkend wird sogar die Frist zur Aufstellung von Kandidierenden geändert (wie soll es sonst gehen?). Was soll der/die gewählte Kandidierende dann machen?

Kurz und gut: Ich bin eine große Anhängerin des Grundsatzes, im laufenden Verfahren kein Wahlverfahren zu ändern. Hat etwas mit Chancengleichheit zu tun. Vor diesem Hintergrund halte ich -bedauerlicherweise- eine Wahlrechtsreform für die Bundestagswahl 2021 nicht mehr für möglich. Danke Union! Um den Schaden etwas zu minimieren wäre eine frühe Wahlrechtsreform im Hinblick auf die reguläre Bundestagswahl 2025 aber sinnvoll. Kann auch noch dieser Bundestag beschließen.

 

 

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