Entscheidung des BVerfG zur Sperrklausel bei der Europawahl

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 6. Februar 2024 die Sperrklausel bei der Europawahl gebilligt. Im Hinblick auf die von Mehr Demokratie e.V. eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen die 5%-Sperrklausel im Bundeswahlgesetz ist interessant, ob sich der Beschluss des BVerfG auf diese auswirken könnte. Die auf Grund einer nationalen Regelung existierende 5%-Sperrklausel bei der Europawahl wurde vom BVerfG im November 2011 (BVerfGE 129,300) gekippt, die daraufhin geschaffene 3%-Sperrklausel ebenfalls (BVerfGE 135, 259). In der Entscheidung des BVerfG ging es nunmehr um eine europäische Regelung. Das Europäische Parlament unterbreitete im Jahr 2015 dem Rat der Europäischen Union einen Vorschlag zur Änderung des Continue Reading →

Das neue Bundeswahlrecht – Genese, Missverständnisse und Bewertung

  Dieser Text wird sehr lang werden. Vorbemerkung Die Debatte zum Wahlrecht am 17. März 2023 und die Verabschiedung des neuen Bundeswahlgesetzes wurde hoch emotionalisiert geführt, dabei gerieten auch einige Fakten durcheinander. Die sachliche Darstellung des derzeitigen Wahlrechts und seine Herleitung fielen dabei unter den Tisch. Das ist schade. Der aus meiner Sicht akzeptable Grundentwurf des Ampel-Vorschlages wurde durch die kurzfristige Streichung der Grundmandatsklausel leider in seiner Akzeptanz untergraben. Und das vor allem wegen des Verfahrens (auch in der Sache finde ich die Streichung falsch, aber dazu komme ich noch). Am Sonntag sickerten erste Informationen durch, am Freitag wurde beschlossen. Continue Reading →

Vernünftige Idee kaputt gemacht

Öffentlicher Berichterstattung zufolge will die Ampel den Gesetzentwurf zum Wahlrecht ändern. An dieser Stelle hatte ich dem Entwurf bescheinigt, dass er bessser als erwartet ist. Auch wenn es nicht meine Lieblingsvariante ist (die bleibt weiterhin ein reines Verhältniswahlrecht mit veränderbaren Listen), fand ich die Idee insgesamt ganz charmant. Leider macht die Ampel mit den öffentlich gewordenen Änderungsvorschlägen die gute Idee kaputt. Und das ohne Not. Ich will mich jetzt gar nicht an der Erhöhnung der gesetzlichen Sitzzahl der Mitglieder des Bundestages aufhalten, das ist verfassungsrechtlich weder zwingend noch verboten. Ich halte es nicht für zielführend, eine „Rückbenennung“ der Wahlkreis- und Continue Reading →

Besser als erwartet – Der Ampelvorschlag zum Wahlrecht

Die Ampel hat ihren Wahlrechtsvorschlag vorgelegt und dieser ist, das kann schon gesagt werden, besser als erwartet. Die Notwendigkeit der Reform des Wahlrechts und damit der Rückführung der Zahl der Abgeordneten auf die gesetzliche Größe von 598 Abgeordneten wird im Gesetzentwurf vor allem mit der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments begründet. Das ist aus meiner Sicht ein legitimer Grund das Wahlrecht zu ändern. Es ist auch überzeugend darauf zu verweisen, dass „steigende Kosten des parlamentarischen Betriebs“ nicht der entscheidende Grund sind. Denn Demokratie von Kosten abhängig zu machen stellt am Ende Demokratie in Frage. Nicht überzeugend ist der Verweis auf Continue Reading →

Keine Senkung von Unterschriftenquoren trotz Pandemie

Der 2. Senat des BVerfG sieht keine Notwendigkeit das Unterschriftenquorum für die Teilnahme an der Bundestagswahl zu senken. Die Entscheidung ist für mich aus vielerlei Gründen nicht wirklich nachvollziehbar. Geklagt hatten Parteien, die auf Grund einer Regelung im Wahlgesetz für einen Antritt zur Bundestagswahl Unterstützungsunterschriften beibringen müssen. Ich halte dies schon grundsätzlich für problematisch (1.) im konkreten Pandemiefall aber noch einmal mehr (2.). Grundsatzproblem mit Unterstützungsunterschriften In der herrschenden Literatur und vor allem in der Rechtsprechung ist die Voraussetzung, für einen Wahlantritt Unterstützungsunterschriften beibringen zu müssen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 und § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG), Continue Reading →

Das BVerfG zum Paritätsgesetz

Bereits am 15. Dezember 2020 hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde entschieden, dass es keine Verpflichtung zu einem Paritätsgesetz gibt. An verschiedenen Stellen konnte ich schon einen Abgesang auf die Idee eines Paritätsgesetzes lesen, weswegen ich nachfolgend versuche, die Entscheidung etwas einzuordnen. 1. Eine erfolgreiche Klage im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde ist generell sehr unwahrscheinlich. Das Bundesverfassungsgericht hatte über eine Wahlprüfungsbeschwerde zu entscheiden. Eine solche richtet sich gegen die Gültigkeit der Wahl zum Deutschen Bundestag und war bislang noch nie erfolgreich, selbst dann nicht, wenn das Bundesverfassungsgericht Wahlfehler gesehen hat. Erinnert sei hier an die Entscheidung zur Continue Reading →

Parteitage und Bundestagswahlbewerber:innen-Aufstellung in der Pandemie

An dieser Stelle habe ich mich schon einmal mit  Parteitagen und Wahlaufstellungen in Zeiten der Corona-Pandemie beschäftigt. Nun hat in dieser Woche der Bundestag (genauer am 28. Januar 2021) die Wahlbewerberaufstellungsverordnung beschlossen. Deswegen will ich hier noch einmal kurz erläutern, was das jetzt praktisch bedeutet. Parteitage mit Vorstandswahlen Wer eine Pandemieregelung im Parteitengesetz sucht, wird scheitern. Die Regelung zu Vorstandswahlen und Parteitagen ist eine Mischung aus dem Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzesund des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-,Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrechtzur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie einerseits und dem Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohneigentumsrecht Continue Reading →

Fragen zum Wahlrechtsvorschlag der Großen Koalition

Die Große Koalition aus SPD und CDU hat nun ihren Wahlrechtsgesetzentwurf vorgelegt. Mit diesem Entwurf soll eine Vergrößerung des Bundestages vermieden werden. Der Wahlgesetzentwurf enhält drei Vorschläge die sich konkret auf das Wahlrecht beziehen und eine Kommission. Im Detail: Die Zahl der Wahlkreise soll mit Wirkung zum 1. Januar 2024 von 299 auf 280 reduziert werden. Überhangmandate werden erst ab dem dritten Überhangmandat ausgeglichen. Es gibt die Möglichkeit der Anrechnung von Wahlkreismandaten auf Listenmandate der gleichen Partei in anderen Ländern. Einsetzung einer Reformkommission die sich mit Fragen des Wahlrechts befasst und hierzu Empfehlungen erarbeitet. Die Punkt 1 und 4 sind Continue Reading →

Grundsätzlich erlaubt Gleichstellungsgebot Eingriffe in Wahlrechtsgrundsätze – Zur Entscheidung des VerfGH Thüringen

Nun ist es da, das erste Urteil zu einem Paritätsgesetz. Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Thüringen hat gesprochen und das Paritätsgesetz für nichtig erklärt. Das Urteil ist enttäuschend, vor allem wegen seiner Begründung. Zwar stellt der VerfGH Thüringen klar, dass grundsätzlich Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze durch das Gleichstellungsgebot in Verfassungen gerechtfertigt sind, kommt dann aber zu einem bedauerlichen Ergebnis, weil die Auslegungsgrundsätze fehlerhaft angewendet werden. Der Landtag von Thüringen beschloss mit der Änderung des Wahlgesetzes ein Teilparitätsgesetz. Teilparität deshalb, weil es keine Regelungen zu den Wahlkreisen gab. Nach dem Gesetz sind die für eine Wahl einzureichenden Listen abwechselnd mit Männer und Frauen Continue Reading →

4 Gründe warum Direktmandate nicht unproblematisch sind

Am gestrigen Abend war ich mit einer langjährigen Freundin aus und wir haben über viele Dinge debattiert. Neben Corona auch über das Wahlrecht und hier über Direktmandate. Was an ihnen problematisch ist und welche Missverständnisse existieren. Hier kurz und knapp 4 Dinge dazu: 1. Die Wahlkreissieger*innen vertreten in der Mehrzahl nicht die Mehrheit der Wähler*innen in ihrem Wahlkreis. Von den 299 bei der Bundestagswahl 2017 direkt gewählten Abgeordneten errangen lediglich 13 Abgeordnete ihr Direktmandat mit mehr als 50% der Erststimmen. Das heißt also, 286 Abgeordnete zogen über ein Direktmandat in den Bundestag ein, ohne dass eine Mehrheit in diesem Wahlkreis Continue Reading →