Das CETA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Über die Abstimmung zu CETA im Bundestag habe ich hier bereits geschrieben. Nun hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt. Bislang liegt allerdings nur die Presseerklärung vor. Diese bietet aber ausreichend Stoff, um das Urteil einer ersten Bewertung zu unterziehen.

Um es vorweg zu nehmen. Ich halte das Urteil für ausgesprochen klug und sehen keinen Anlass für Gerichtsschelte. Mal abgesehen davon, dass es aus meiner Sicht auch generell nicht klug ist, ein Gericht für ein Urteil zu kritisieren, wenn es mal nicht der eigenen Überzeugung entspricht. Das Urteil kommt, so wie es jetzt vorliegt, auch nicht wirklich überraschend. Bereits am 11. Oktober 2016 gab es eine Prognose auf verfassungsblog.de zum Ausgang des Verfahrens. Dort wurde explizit darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht

unter Umständen Vorgaben für die Stimmabgabe im Rat der EU machen“

könnte. Und weiter heißt es:

Meine Prognose lautet daher, dass das Bundesverfassungsgericht die Priorität darauf legen wird, Zeit zu gewinnen. (…) Möglicherweise weist es den deutschen Vertreter im Rat an, seine Zustimmung nur unter der Bedingung zu geben, dass die EU bei Vertragsschluss ihre Bindung ausschließlich als Teilpartei im Rahmen eines gemischten Abkommens anerkennt und dies in einem Vorbehalt kenntlich macht. Zusätzlich dürfte es eine Absicherung verlangen, dass sich die vorläufige Anwendung nach Art. 218 Abs. 5 AEUV nur auf die CETA-Bestimmungen erstreckt, die unstreitig in die ausschließliche Kompetenz der EU fallen, und hieraus keine langfristigen, irreversiblen Folgen für Deutschland entstehen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entscheiden, die sich gegen eine Zustimmung Deutschlands (durch den deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union) zur Unterzeichnung zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung von CETA wendeten. Nun muss kurz was zu einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gesagt werden. Welche Voraussetzungen es für eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes gibt steht in § 32 Abs. 1 BVerfGG. Die einstweilige Anordnung regelt vorläufig einen Zustand. Der Erlass ist nur möglich, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Und weil es sich um eine vorläufige Regelung handelt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dieser wiederum wird noch strenger, wenn völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen eine Rolle spielen. Es muss demzufolge eine Folgenabwägung vorgenommen werden. Diese läuft grob gesagt nach dem Schema: Was wäre wenn? Was wäre, wenn etwas nicht erlaubt wird, obwohl sich in der Hauptsache herausstellt, es wäre zulässig? Und was wäre, wenn etwas erlaubt wird, sich am Ende aber herausstellt, es ist gar nicht zulässig.

Genau diese Abwägung nimmt das Bundesverfassungsgericht nun vor. Dazu argumentiert es:

„Eine einstweilige Anordnung, durch die die Bundesregierung an einer Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von CETA gehindert würde, würde in erheblichem Maße in die – grundsätzlich weite – Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung im Rahmen der Europa-, Außen- und Außenwirtschaftspolitik eingreifen. Dies gälte in vergleichbarer Weise auch für die Europäische Union. Ein – auch nur vorläufiges – Scheitern von CETA dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhandelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Kanada hinaus weit reichende Auswirkungen auf die Verhandlung und den Abschluss künftiger Außenhandelsabkommen haben. Insofern erscheint es naheliegend, dass sich der Erlass einer einstweiligen Anordnung negativ auf die europäische Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der Europäischen Union insgesamt auswirken würde. Die mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit der Hauptsache verbundenen Nachteile könnten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als irreversibel erweisen. (…) Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, sich die Mitwirkung der Bundesregierung an der Beschlussfassung des Rates später aber als unzulässig erwiese.“ 

Nun kann diese Abwägung für falsch gehalten werden. Wer diese Abwägung aber falsch findet, der oder die müsste sich dann inhaltlich mit den weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes beschäftigen. Hier müsste dann klar gesagt werden, warum nicht geglaubt wird, dass Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung bewirkt werden können und warum geglaubt wird, dass eine Zustimmung im Rat nur zu denjenigen Teilen von CETA,

„die sich zweifellos auf eine primärrechtliche Kompetenz der Europäischen Union stützen lassen“ 

nicht möglich sein soll. Ähnliches gilt für die die anvisierte Nichtzustimmung für Sachmaterien, die in der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland verblieben sind. Hier werden die Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems (Kapitel 8 und 13 CETA), zu Portfolioinvestitionen (Kapitel 8 und 13 CETA), zum internationalen Seeverkehr (Kapitel 14 CETA), zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11 CETA) sowie zum Arbeitsschutz (Kapitel 23 CETA) genannt. Wer die Abwägung für falsch hält, müsste erläutern, warum im Hinblick auf die Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) deren Verletzung

durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems

im Rahmen der vorläufigen Anwendung nicht in der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Art und Weise begegnet werden kann. Es müsste zum Beispiel konkret gefragt werden, wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass  eine „interinstitutionelle Vereinbarung“ geschlossen werden kann, nach der

Beschlüsse des Gemischten CETA-Ausschusses nach Art. 30.2 Abs. 2 CETA nur auf Grundlage eines gemeinsamen Standpunktes (Art. 218 Abs. 9 AEUV) gefasst werden, der im Rat einstimmig angenommen worden ist„.

Und wer die Abwägung des Bundesverfassungsgerichtes nicht teilt, der oder die müsste erläutern, warum er oder sie die

Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Abkommens für die Bundesrepublik Deutschland durch schriftliche Notifizierung zu beenden (Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA)

für nicht realisierbar hält.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht nur eine Abwägung getroffen, sondern auch klare Regelungen für eine Zustimmung aufgestellt. Und das sollte in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt nämlich klar, dass die Bundesregierung sicherstellen muss,

dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen,

dass bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist, und

dass die Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland ermöglicht.“

Das Bundesverfassungsgericht erlaubt also im juristischen Sinne nur eine Zustimmung unter Bedingungen. Ich lese das so, dass die Bundesregierung, soweit dieses Bedingungen nicht erfüllt sind, gerade nicht dem Abschluss und der vorläufigen Anwendung von CETA zustimmen darf.  Wenn Sie es dennoch tun würde, würde sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verletzen, was wiederum notwendigerweise eine weitere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nach sich ziehen würde. Diese Interpretation des Urteils ergibt sich meines Erachtens aus den in der Pressemitteilung weiter zitierten Äußerungen des Bundesverfassungsgerichtes. Denn es heißt dort:

Bei Einhaltung dieser Maßgaben bestehen für die Rechte der Beschwerdeführer sowie für die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages keine schweren Nachteile, die im Rahmen einer Folgenabwägung den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten erscheinen ließen.

Dies heißt aber nichts anderes, als dass ohne diese Bedingungen/Maßgaben im Hinblick auf die Rechte der Beschwerdeführer und die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages schwere Nachteile bestehen würden, die im Rahmen einer Folgeabwägung dann den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten erscheinen ließen. Deshalb ist jetzt die große politische Herausforderung, die Bundesregierung dazu zu bringen, genau nur unter diesen Bedingungen eine Zustimmung zu erklären. Und wenn es der Bundesregierung nicht gelingt diese Bedingungen einzuhalten, dann kann sie halt nicht zustimmen.

Kleine Anmerkung am Rande, im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren: Das Bundesverfassungsgericht weist darauf, dass

die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (…) ungeachtet offener Fragen der Zulässigkeit“

ohne Erfolg bleiben. Das ist ein Fingerzeig darauf, dass möglicherweise das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Zulässigkeit im Hauptsacheverfahren noch eine Prüfung vornehmen möchte, ob die Klagen überhaupt zulässig sind.

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