Eines der zentralen Themen, welches immer mehr Menschen bewegt, ist die Frage der Gesundheitsversorgung. Fehlende (Fach)Arztpraxen, lange Wartezeiten für Kassenpatient*innen, drohende Krankenhausschließungen und Zuzahlungen sind ein häufiges Ärgernis. Dieses Ärgernis wird dann an „die Politik“ adressiert, die doch dafür sorgen solle, dass all diese Mangelerscheinungen abgestellt werden.
Dieser Wunsch ist mehr als verständlich. Aber kann Politik da etwas machen und wenn ja, was?
Ich bin keine Politikerin (mehr) und vor allem kenne ich mich mit Gesundheitspolitik nicht aus. Aber ich bin Betroffene und neugierig. Deshalb habe ich in letzter Zeit versucht, mich mal einzulesen. Am Ende glaube ich, dass Politik im Gesundheitsbereich leider viel zu wenig zu entscheiden hat. Das eigentliche Machtzentrum im Bereich Gesundheit ist der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Gebildet wird der GBA aus dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Und der GBA entscheidet über die konkrete Ausgestaltung des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Dieser Sachverhalt ist wiederum kaum bekannt. Das wiederum führt dazu, dass sich Frust und Enttäuschung breit macht, wenn Politik in diesem Bereich keine Lösungen findet. Die Gesundheitspolitik unterliegt der Selbstverwaltung der Gesundheitsdienstleistenden (Ärztevereinigungen, Krankenhausgesellschaften, Krankenkassen). Auf den ersten Blick macht es Sinn, dass nicht medizinfremdes Personal über medizinische Angebote entscheidet, auf der anderen Seite führt dies aber eben zu weniger Einfluss der Politik und auch der Patient*innenvertretungen.
Die gesetzliche Krankenversicherung
In Deutschland gibt es 95 gesetzliche Krankenkassen. Im Verband privater Krankenversicherungen sind 42 private Krankenversicherungen zusammengeschlossen, von denen 36 eine Krankenvollversicherung anbieten. Im Jahr 2023 waren rund 74 Millionen Menschen gesetzlich krankenversichert, 8,7 Millionen Menschen waren 2021 in der privaten Krankenversicherung.
Was es nicht gibt, ist ein direkter Durchgriff der Politik auf die gesetzliche Krankenversicherung. Den die gesetzlichen Krankenkassen „sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts finanziell und organisatorisch unabhängig. Sie führen die ihnen staatlich zugewiesenen Aufgaben eigenverantwortlich durch.“
Bestandteil der Selbstverwaltung ist, dass der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über die konkrete Ausgestaltung des Leistungskataloges der GKV entscheiden (dazu unten mehr).
Die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren sich aus den Beiträgen der Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen. Doch dabei bleibt es nicht. Es gibt auch einen jährlichen Bundeszuschuss aus Steuermitteln, der -in der Theorie- für sog. versicherungsfremde Leistungen gezahlt wird. Im Jahr 2024 sind das 14,5 Mrd. Euro gewesen.
Das ist so demokratietheoretisch aus meiner Sicht ein kleines Problem. Aus Steuermitteln werden die gesetzlichen Krankenkassen mitfinanziert, aber auf die konkreten Entscheidungen wie z.B. den Leistungskatalog hat die Politik keinen Einfluss, dass wir ja im Gemeinsamen Bundesausschuss entschieden.
Das SGB V
Das zentrale Gesetz für die gesetzliche Krankenversicherung ist das SGB V.
Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen unterliegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2). Das SGB V legt fest, wer der Versicherungspflicht unterliegt (§ 3) und wer Versicherungsfrei ist (§ 6). Im Jahr 2023 waren zum Beispiel Arbeiter*innen und Angestellte mit einem jährlichen Einkommen von 66.600 Euro (monatlich 5.550 Euro) versicherungsfrei. Brutto, nicht netto. Wer ein höheres Jahresbruttoeinkommen hat, kann in die private Krankenversicherung wechseln.
Der § 20 SGB V legt fest, dass im Bereich der primären Prävention und Gesundheitsförderung der Spitzenverband Bund der Krankenkassen einheitliche Handlungsfelder und Kriterien für Leistungen festlegt. Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln besteht unter anderem, wenn eine Schwächung der Gesundheit in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, es um die Verhütung von Krankheiten oder die Vermeidung deren Verschlimmerung sowie die Vermeidung der Pflegebedürftigkeit geht (§ 23 SGB V). Was in den Bereich der Gesundheitsuntersuchungen fällt, findet sich in den § 25 SGB V. Anspruch auf Krankenbehandlung wiederum besteht, „wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern“ (§ 27 SGB V). Es gibt einen Anspruch auf Heilmittel (§ 32 SGB V) und Hilfsmittel (§ 33 SGB V), konkret auf „Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln“, auf Sehhilfen aber nur unter bestimmten Bedingungen.
Auch hier kommt aber gleich wieder der Gemeinsame Bundesausschuss ins Spiel. Dieser legt nämlich fest, für welche Gruppe von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden. Der gemeinsame Bundesausschuss (§ 35a SGV V) bewertet den Nutzen aller erstattungsfähigen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen.
Die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel (§ 36 SGB V) wiederum erfolgt durch den Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Verzeichnis der Leistungen und Entgelte für Krankenhausbehandlungen (§ 39 Abs. 3 SGB V) wird von den Landesverbänden der Krankenkassen, den Ersatzkassen und der Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See gemeinsam unter Mitwirkung der Landeskrankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung erstellt und der Entwicklung angepasst.
Es gibt also gefühlt 50 verschiedene Entscheidungsstrukturen, ein Parlament ist jedoch nicht dabei. Auch hier noch einmal, ich kann nachvollziehen, dass nicht medizinfremdes Personal entscheidet, aber wenn Politik so gar keinen Einfluss hat, finde ich das auch problematisch.
Zusammensetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA)
In der Einleitung habe ich schon auf den GBA verwiesen und als ein Argument angeführt, dass der Vorteil darin liegen könnte, dass medizinisch gebildetes Personal über Leistungskataloge und ähnliche Dinge entscheidet. Aber ist das auch wirklich so?
Ich habe zunächst mal die Satzung meiner Krankenkasse angesehen. Nach deren § 5 Abs. 3 Buchstabe h) entscheidet der Vorstand über Leistungen, bei meiner Krankenkasse gibt es drei Vorstände und davon hat eine Person Humanmedizin studiert.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat eine eigene Webseite und das Beschlussgremium tagt zweimal im Monat öffentlich. Die vom GBA beschlossenen Richtlinien sind für die Krankenkassen bindend.
Die 13 Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses kommen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Soweit ich das recherchieren konnte, sind Mediziner*innen im Gemeinsamen Bundesausschuss die Minderheit. Auf der Webseite des Gemeinsamen Bundesausschusses ist die Vita der Mitglieder nur in drei Fällen hinterlegt, bei den anderen Mitgliedern habe ich tatsächlich nicht zu jedem Mitglied etwas finden können, meine Anmerkungen sind also nicht vollständig. Vielleicht finde ja ich nur das einigermaßen befremdlich, dass über die Personen, die am Ende entscheiden welche Leistungen die Krankenkassen finanzieren, teilweise keine Vita verfügbar ist und im Übrigen diese Personen auch keiner Rechenschaftspflicht unterliegen, außer vielleicht gegenüber den sie entsendenden Strukturen.
Was ich herausgefunden habe: ein Mitglied ist Psychotherapeut, ein Mitglied Doktorin der Medizin, bei drei weiteren Mitglieder ist ein Medizinstudium bekannt und ein Mitglied hat Zahnmedizin studiert.
Der Gemeinsame Bundesausschuss setzt sich allein aus Vertreter*innen der Angebotsseite (Medizindienstleister*innen) zusammen, die Betroffenen Patienten*innen fehlen komplett. Diese haben lediglich Beratungs- und Antragsrecht, mitentscheiden können sie aber nicht.
Der Einfluss der Politik auf den Gemeinsamen Bundesausschuss beschränkt sich auf die Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Gesundheit. Die Rechtsaufsicht ist aber gerade keine Fachaufsicht, d.h. das Bundesministerium kann nicht die Recht- und Zweckmäßigkeit der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses beanstanden.
Die Leistungen der Krankenversicherung
Die Ausführungen zum Gemeinsamen Bundesausschuss sind aus meiner Sicht so wichtig, weil der § 92 SGB V festlegt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss „die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten (beschließt)“ und er „die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen (kann), wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind“.
Er soll insbesondere Richtlinien über die ärztliche Behandlung, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten und zur Qualitätssicherung der Früherkennungsuntersuchungen, Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie die Verordnung von Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege, Soziotherapie und außerklinischer Intensivpflege sowie zur Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien beschließen.
Also nicht die Gesundheitsminister*innen und auch nicht der Bundestag oder der Landtag entscheiden, was an medizinischer Versorgung gewährleistet wird, sondern der Gemeinsame Bundesausschuss. Patient*innen-Vertretungen haben -wie schon erwähnt- lediglich ein Mitberatungsrecht.
Auch hier wieder: Auf den ersten Blick mag es sinnvoll sein, dass über angemessene medizinische Leistungen nicht medizinisch nicht gebildete Personen entscheiden. Auf der anderen Seite erscheint es mir aber ein Problem zu sein, wenn aus reiner Sicht der Wirtschaftlichkeit trotz Zuschuss aus Steuermitteln ein Gremium nicht direkt legitimierter Menschen über das entscheidet, was Kassenpatient*innen an Leistungen erhalten und was nicht. Zudem im Gemeinsamen Bundesausschuss -siehe oben- eben nicht nur Mediziner*innen sitzen.
In der Corona-Pandemie wurden vor allem Epidemiologen*innen und Infektiologen*innen als Berater*innen beigezogen, nicht aber Soziologen*innen, Psychologen*innen, Erziehungswissenschaftler*innen und Verfassungsrechtler*innen. (Das wird im Übrigen so gut wie gar nicht thematisiert von denjenigen, die Untersuchungsausschüsse und Aufarbeitung wollen). Im Gemeinsamen Bundesausschuss nun entscheiden zum Teil ausgebildete Mediziner*innen, aber eben auch Wirtschaftswissenschaftler*innen und Juristen*innen über angemessen gesundheitliche Versorgung. Das heißt dann Wirtschaftlichkeit und Medizin als Entscheidungskriterium, nicht aber weitere Auswirkungen auf Entwicklung und Psyche von Menschen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses eine Rechtsnorm sein sollen, die nur eingeschränkt richterlicher Kontrolle unterliegen (vgl. Becker/Kingreen, SGB V, § 12, Rz. 5). Diese findet im Regelfall nur inzident (indirekt) statt im Rahmen von Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. Leistungsklagen der Versicherten oder Ärzt*innen.
Um es einmal zugespitzt zu formulieren: Die Gesundheitsversorgung obliegt wegen des Selbstverwaltungsprinzips keiner demokratischen Kontrolle. Auch das kann sinnvoll sein, denn wer will schon einen Zugriff autoritär-populistischer Politik (am besten noch mit ein wenig Darwinismus) auf die Gesundheitsleistungen. Aber ein ungutes Gefühl ob der Verselbständigung der Strukturen verbleibt dennoch.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Der § 12 Abs. 1 SGB V legt fest, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein müssen und „das Maß des Notwendigen“ nicht überschreiten dürfen.
Dieses Wirtschaftlichkeitsgebot soll es seit 1930 geben (vgl. Becker/Kingreen, SGB V, § 12, Rz. 2). Zur Begründung des Wirtschaftlichkeitsgebotes wird ausgeführt, dass der Sozialstaat ressourcenabhängig ist und aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dem individuellen Leistungsanspruch Grenzen gesetzt sind (BT-Drs. 17/4621, 25). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden (Rz.10), dass „die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassungs wegen gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist.“ Konkreter soll das Wirtschaftlichkeitsgebot auf Rationalisierung abzielen und „das Notwendige und Zweckmäßige keiner Rationierung unterwerfen“ (Becker/Kingreen, SGB V, § 12, Rz. 6). Das SGB V legt aber auch fest, dass die Pflicht zur Leistungserbringung in fachlich gebotener Qualität mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot auf gleicher Stufe steht. Wirtschaftlich im engeren Sinn ist dann eine Leistung mit der besten Kosten-Nutzen-Relation (vgl. Becker/Kingreen, SGB V, § 12, Rz. 9).
Gerade die Begründung aus der Bundestagsdrucksache erinnert mich ein wenig an die aus meiner Sicht Grundauseinandersetzung im Rahmen der Corona-Pandemie. Weil nicht ausreichend Daseinsvorsorge betrieben wurde, wurden Freiheitsrechte eingeschränkt. Übersetzt auf das Wirtschaftlichkeitsgebot im SGB V heißt das: Weil nicht ausreichend Ressourcen für den Sozialstaat zur Verfügung gestellt werden (sollen) und wir finden, dass Gesundheit sich rechnen muss, werden den Leistungen im Gesundheitswesen auf das ausreichend, zweckmäßige und wirtschaftliche beschränkt. Nicht die bestmögliche Gesundheitsversorgung wird angeboten, sondern Gesundheitsversorgung nach dem „Maß des Notwendigen“.
Ausnahmen gibt es dann für diejenigen, die aufgrund eigener ausreichender finanzieller Mittel sich Leistungen „dazukaufen“ können.
Aber was heißt das konkret? Ich versuche das mal an einem Beispiel deutlich zu machen. Ich bin sehr, sehr stark kurzsichtig und war neulich beim Augenarzt. Bei sehr, sehr starker Kurzsichtigkeit ist das Risiko für eine Netzhautablösung, Glaukom oder Makuladegeneration erhöht. Es wird empfohlen, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen. Die entsprechende Untersuchung kostet die „Kleinigkeit“ von 110,00 EUR und wird von der Krankenkasse nicht übernommen. Vermutlich wäre aber die Kostenübernahme in einem solche Fall wirtschaftlicher, als die Folgen einer der benannten Erkrankungen zahlen zu müssen.
Die Sache mit den Kassenarztsitzen
Die fehlende Versorgung mit (Haus)Artzpraxen ist besonders ärgerlich. Es wird völlig zu Recht kritisiert, dass nicht ausreichend (Haus)Arztpraxen zur Verfügung stehen, was sich wiederum auf die Verfügbarkeit von Terminen auswirkt.
Dann wird auch ganz schnell die Politik aufgefordert, dies zu ändern. In der Sache ist der Anspruch komplett nachzuvollziehen, die Politik ist aber der falsche Ansprechpartner.
Der § 72 Abs. 2 SGB V normiert ganz abstrakt, dass die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen zu regeln ist. Übersetzt: Es gibt gesetzliche Vorschriften und die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, nach denen wird die Sicherstellung der Versorgung im Rahmen von Verträgen der Kassenärztliche Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen gewährleistet. Die Absicherung umfasst „eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse“ und die angemessene Vergütung der ärztlichen Leistungen.
Auch hier gilt also die Selbstverwaltung und die Politik kann nicht einfach anordnen, dass (Kassen)Arztpraxen entstehen. Die Aufsicht über die Kassenärztliche Vereinigung hat die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder (§ 78 Abs. 1 SGB V), sie beschränkt sich nach Abs. 3 aber auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht.
Konkret über die Zulassung entscheiden nach § 96 SGB V Zulassungsausschüsse, die von der Kassenärztlichen Vereinigung und den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen errichtet werden. Die besteht aus Vertreter*innen der Ärzteschaft und der Krankenkassen in gleicher Zahl.
Es bedarf eines Bedarfsplanes nach § 99 SGB V, d.h. die kassenärztlichen Vereinigungen haben im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen nach Maßgabe der vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Richtlinien auf Landesebene einen Bedarfsplan zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung aufzustellen und jeweils der Entwicklung anzupassen.Nach § 100 SGB V obliegt den Landesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen festzustellen, dass in bestimmten Gebieten eines Zulassungsbezirks eine ärztliche Unterversorgung eingetreten ist oder in absehbarer Zeit droht. Wann eine Unterversorgung vorliegt, regelt die BedÄrzte-RL. Danach ist eine Unterversorgung gegeben, wenn „in bestimmten Planungsbereichen Vertragsarztsitze, die im Bedarfsplan für die bedarfsgerechte Versorgung ausgewiesen sind, nicht nur vorübergehend nicht besetzt werden können und dadurch eine unzumutbare Erschwernis der Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen eintritt“ (vgl. Becker/Kingreen, SGB V, § 100, Rz. 2). Bei einer Unterschreitung um mehr als 25% zum ausgewiesenen Bedarf wird eine Unterversorgung der hausärztlichen Versorgung angenommen, bei der fachärztlichen Versorgung ist dies bei Unterschreitung um mehr als 50% der Fall (vgl.a.a.O.). Die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen prüfen das von Amts wegen entsprechend der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte.
Jetzt könnte eingewendet werden, dass ja über diese Zulassungsverordnung Einfluss der Politik genommen werden könnte. Das ist richtig, allerdings sind die Regelungen in der Verordnung logischerweise abstrakt-generell und obliegt es der Selbstverwaltung sie zu untersetzen. Auch hier ist es also wieder, es obliegt der Selbstverwaltung wieviel (Haus)Ärzte*innen es gibt.
Die Krankenhausversorgung
Ein wenig mehr Einfluss scheint mir Politik im Bereich der Krankenhäuser zu haben.
Es gibt immerhin ein Krankenhausgesetz. Dies allerdings hat nicht zum Ziel, ausreichend Krankenhausversorgung für die Bevölkerung sicherzustellen, sondern der Zweck des Gesetzes ist nach § 1 Abs 1 „die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser“. Die Standortfrage obliegt nach § 2a dem Spitzenverband der Krankenkasse, der Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Verband der Privaten Krankenversicherung und den Ländern. Dies mussten bis zum 30. Juni 2017 „eine bundeseinheitliche Definition, die die Kriterien für den Standort oder die Standorte eines Krankenhauses und dessen Ambulanzen festlegt“ vereinbaren. Die Länder stellen nach § 6 Krankenhauspläne und Investitionsprogramme auf. Diese Krankenhauspläne sollen eine patienten- und bedarfsgerechte Versorgung durch leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhäuser sicherstellen. Die Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu den planungsrelevanten Qualitätsindikatoren sind Bestandteil des Krankenhausplans, die Länder können diese aber ganz oder teilweise ausschließen oder einschränken. In Berlin wurde ein Krankenhausplan 2020 beschlossen.
Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnungen (§ 16) Vorschriften unter anderem zu den Pflegesätzen erlassen, die Grundsätze werden in § 17 festgelegt. Nach § 17a gilt für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen „ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem“. Die gesetzliche Vorgabe kommt also von der Politik und könnte von der Politik verändert werden. Die Vereinbarung des Vergütungssystem machen dann aber der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Das System orientiert sich auf Grund gesetzlicher Vorschrift „an einem international bereits eingesetzten Vergütungssystem auf der Grundlage der Diagnosis Related Groups (DRG)“ und „unter Wahrung der Qualität der Leistungserbringung an wirtschaftlichen Versorgungsstrukturen und Verfahrensweisen“.
Hinzu kommt noch das Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Nach dessen § 9 vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der Privaten Krankenversicherung gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft unter anderem einen Fallpauschalen-Katalog.
Fragen
Nachdem ich mich nun einmal quer durch die rechtlichen Rahmenbedingungen gelesen habe, bleiben Fragen. Antworten habe ich noch nicht, aber die muss ich ja vielleicht auch nicht haben.
- Wie kann eine demokratische Kontrolle des Gesundheitswesens aussehen und dennoch abgesichert werden, dass medizinisch gebildete Personen prominent an der Entscheidungsfindung beteiligt sind?
- Warum braucht es diese Unmenge von gesetzlichen Krankenkassen? Wenn es denn so dringend einer Auswahlmöglichkeit bedarf, warum kann diese nicht aus 2-5 Krankenkassen bestehen? Wäre das nicht auch wirtschaftlicher als diese Unmenge?
- Warum muss die Unterscheidung zwischen Privat- und gesetzlicher Versicherung sein? Wäre es nicht solidarischer, wenn -wissend das auch der Kreis der Anspruchsberechtigten größer wird- es nur ein System gibt? Immerhin würde dann die Ungleichbehandlung von Patient*innen beendet werden?
- Wenn aus Steuermitteln Zuschüsse an die gesetzliche Krankenversicherung gezahlt werden, muss dann nicht auch eine Mitentscheidung über die Verwendung stattfinden? Wäre ein staatliches Gesundheitswesen eine Alternative?
- Wie verhält es sich mit dem Auftrag der Gesetzlichen Krankenkassen „bei der Durchführung ihrer Aufgaben und in ihren Verwaltungsangelegenheiten sparsam und wirtschaftlich zu verfahren“ (§ 4 Abs. 4 SGB V), wenn die Mitglieder des Vorstandes zum Teil erheblich über 130.000 EUR im Jahr verdienen?
- Wie kann ein Gesundheitssystem aussehen, in dem die Bestmögliche medizinische Versorgung gewährleistet wird und nicht nur das „Maß des Notwendigen“?