Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Wahlrecht der Ampel im Wesentlichen bestätigt. Wer von einer Niederlage der Ampel spricht, liegt falsch. Vielmehr wurde der ursprüngliche Ampel-Entwurf bestätigt und die massive Kritik der Union am Wahlrecht der Ampel vom BVerfG abgelehnt. Der Wegfall der Grundmandatsklausel war als Zugeständnis an die Union gedacht.
Dennoch ist das Urteil leider an zwei Stellen nicht überzeugend: Sperrklausel und parteiunabhängige Einzelbewerbende in Wahlkreisen.
Das Urteil ist mit 72 Seiten bemerkenswert kurz, die Ausführungen zur Sache (materielle Ausführungen) beginnen erst auf Seite 35 mit der Randziffer 124. Die Organklage der damaligen Fraktion Die Linke im Übrigen wurde als unzulässig bewertet (Rz.119), da ihr die Antragsbefugnis fehlte.
Das neue Wahlrecht, seine Entstehung und die Bewertung des BVerfG
Das neue Wahlrecht basiert auf mehrheitlichen Empfehlungen der Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit (S.21).
Mit dem Artikel 2 wurde das Bundeswahlgesetz so geändert, dass für die Verteilung der Mandate vorrangig Bewerbende berücksichtigt werden, „die in einer Wahl nach Kreiswahlvorschlägen in 299 Wahlkreisen ermittelt werden. Jede Partei erhält in jedem Land für diejenigen ihrer Bewerber, die in den Wahlkreisen in diesem Land die meisten Erststimmen erhalten haben, die Sitzzahl, die von den auf die Partei entfallenden Zweitstimmen gedeckt ist (Zweitstimmendeckung).“ (§ 1 Abs. 3)
Der § 4 Abs. 1 ergänzt, dass die Gesamtzahl der Sitze nach den Grundsätzen der Verhältniswahl (Verhältnis der Zweit- oder Parteistimmen) zunächst auf die Parteien in Bezug auf das ganze Wahlgebiet und dann auf die Landeslisten jeder Partei verteilt werden und von diesen die Zahl der Wahlkreisbesten abgezogen wird. Der § 6 Abs. 1 konkretisiert, dass Wahlkreisbewerbende nur dann ein Mandat bekommen, wenn er/sie die meisten Erststimmen erhält „und im Verfahren der Zweitstimmendeckung (…) einen Sitz erhält.“
Kurz und knapp: Es gibt keine Direktmandate mehr, sondern nur noch Wahlkreisbeste. Und die bekommen nur ein Mandat, wenn ihre Partei ausreichend Zweitstimmen hat, um den ersten Platz im Wahlkreis abzudecken. Es kann passieren, dass es für die Partei X fünf Wahlkreisbeste gibt, aber nach Zweitstimmen es nur für vier Mandate reicht. Dann werden die Wahlkreisbesten der Partei X gereiht und der/die mit dem schlechtesten Ergebnis geht leer aus.
Ausgeschlossen von der Mandatsverteilung waren Parteien, die an der 5%-Sperrklausel scheiterten (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2).
Bereits in der Wahlrechtskommission hatten die Sachverständigen der Union andere Vorstellungen (vgl. Rz. 22), denn die Sachverständigen Grzeszick, Mellinghoff und Schmahl „wiesen darauf hin, dass sie das Wahlsystem einer verbundenen Mehrheitsregel für verfassungswidrig hielten“. Die Union manifestierte diese Position sogar in einem Antrag: „Ein Modell, bei dem den in den Wahlkreisen durch die Erststimme direkt gewählten Kandidatinnen und Kandidaten nur dann ein Mandat zugeteilt wird, wenn und soweit dieses von dem durch die Zweitstimmen ermittelten Parteienproporz gedeckt ist, (…) würde einen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellosen Bruch mit dem System der personalisierten Verhältniswahl bedeuten. (…) Dies wäre nicht nur verfassungsrechtlich problematisch, sondern würde bei den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht auf Verständnis stoßen.“
In der Anhörung wurde dann die Kritik geäußert (Rz. 25), die >angepasste Grundmandatsklausel< würde „zur (verfassungswidrigen) Systemausnahme“. Die Sachverständigen der Ampel argumentierten, die Grundmandatsklausel „sichere die politische Ergebnisneutralität. Dies habe bei einer Wahlreform, die nicht im Konsens beschlossen werde, Gewicht.“
Die Begründung zum Wegfall der „angepasstem Grundmandatsklausel“ war dann (Rz. 26), dass in der Sachverständigenanhörung deutlich geworden sei, „dass ihre Fortgeltung im System der Zweitstimmendeckung einen stärkeren Systembruch als bislang darstelle und deshalb entfallen solle“.
Das BVerfG hat entschieden, dass die Regelungen des Verfahrens der Zweitstimmendeckung mit Art. 38 Abs.1 Satz 1 und Abs.3 sowie Art.21 Abs. 1 GG vereinbar sind (Rz.124). Damit ist der Kern des Ampel-Wahlrechts bestätigt worden.
Was das BVerfG nicht akzeptiert hat, ist der Wegfall der Grundmandatsklausel bei Beibehaltung der 5%-Sperrklausel. Hier wiederholt das BVerfG in Rz. 148 die ständige Rechtsprechung: „Ziel des Verhältniswahlsystems ist es, dass alle Parteien in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sind. Zur Zählwert- und Erfolgschancengleichheit tritt damit im Verhältniswahlrecht die Erfolgswertgleichheit hinzu (…).“ Nach weiteren Ausführungen zur Erfolgswertgleichheit schlussfolgert das BVerfG (Rz.155): „Die Grundmandatsklausel begründet jedoch kein doppeltes Stimmgewicht, weil die Wahlkreismandate auf das Sitzkontingent der Partei angerechnet werden können.“
Für all die „ich vertrete einen Wahlkreis“ rufenden Abgeordneten hat das BVerfG auch noch etwas zu sagen (Rz. 181): „Auch die Auffassung, das Wahlrecht folge dem Gedanken der Wahlkreisrepräsentation, geht an den Regelungen des bisherigen Wahlrechts vorbei. Nach § 5 BWahlG in der bisherigen Fassung erhielt ein Wahlkreisbewerber, der mit den meisten Stimmen gewählt war, direkt ein Mandat. Er nahm aber keinen Wahlkreissitz ein. Ein Wahlkreis hatte kein Sitzkontingent (…). Auch bisher besetzte ein Wahlkreisabgeordneter einen Sitz, der seiner Partei und innerhalb der Partei seiner Landesliste zugewiesen war.“
Die „Überraschung“ der Union ob des Wegfalls der Grundmandatsklausel kommentiert das BVerfG (Rz. 134) so: „So weit sie geltend machen, sie seien von der Streichung überrascht worden, beschreiben sie letztlich allein die Enttäuschung ihrer Erwartungen an das Beratungsergebnis. Das Vertrauen dahingehend, ein laufendes Gesetzgebungsverfahren werde zu einem bestimmten Ergebnis führen, wird aber von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geschützt.“
Und zum -heute auch ständig zu hörenden- Vorwurf, das neue Wahlrecht belaste vor allem die Oppositionsparteien stellt das BVerfG zutreffend klar (Rz. 216), es teilt diese Auffassung nicht: „Das Zweitstimmendeckungsverfahren dient der Zusammensetzung des Bundestages nach Parteienproporz ebenso wie das bislang geltende System der Ausgleichsmandate. Anders als der Begriff der >Kappung< suggeriert, wird Parteien durch das Zweitstimmendeckungsverfahren kein ihnen bereits zugeteiltes Sitzkontingent gekürzt (…). Die damit erreichte Einhaltung der gesetzlichen Größe des Bundestages führt lediglich dazu, dass im kommenden Deutschen Bundestag von jeder Partei weniger Abgeordnete vertreten sein werden, als dies nach dem bisherigen Wahlrecht der Fall gewesen wäre. (…) Überhangmandate stellen ihrerseits eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit dar (…). Wird die Ungleichbehandlung beseitigt, stellt dies die Chancengleichheit insoweit wieder her und verletzt sie nicht.“
Sperrklausel
In Rz. 135 heißt es im Urteil: „Die Sperrklausel in der Ausprägung durch die angegriffenen Normen verletzt jedoch den Grundsatz der Wahlgleichheit“.
Was sich wie eine Absage an die Sperrklausel liest, ist am Ende aber eine Rechtfertigung derselben. Leider.
Konkret lässt das BVerfG in Rz. 219 sogar explizit durchblicken, dass eine Sperrklausel „auch derzeit in Höhe von 5 Prozent grundsätzlich ein geeignetes Mittel“ sein kann. An anderer Stelle (Rz. 228) wird sie gar als „sachgerecht“ gelabelt.
Die gesamte Argumentation ist aber aus meiner Sicht nicht überzeugend. Zur Sperrklausel habe ich hier ausführlicher argumentiert (und das BVerfG hast es sogar gelesen), weswegen ich jetzt nicht alles wiederhole.
Das BVerfG sagt zutreffend (Rz.143), die Funktion des Gesetzgebers besteht darin, „die Funktion der Wahl als Vorgang der Integration politischer Kräfte des gesamten Volkes“ sicherzustellen und zu verhindern, dass „gewichtige Anliegen der Gesellschaft von der Volksvertretung ausgeschlossen bleiben“. Gleichfalls argumentiert das BVerfG (Rz. 144): „Insbesondere kann das Wahlrecht durch neue Entwicklungen und eine veränderte politische Wirklichkeit infrage gestellt werden (…). Droht die Wahl ihre Funktion zu verfehlen, die politischen Kräfte zu integrieren, darf der Wahlgesetzgeber nicht untätig bleiben.“ So weit so gut.
Eigentlich ein Argument gegen die Sperrklausel. Wäre da nicht das auch vom BVerfG immer gern genommene Argument der „Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der zu wählenden Vertretungskörperschaft“ (Rz. 161). Das BVerfG macht detaillierte Ausführungen (Rz. 224 ff.), was darunter zu verstehen ist.
Dann sagt das BVerfG (Rz. 234): „Das Ziel der Sperrklausel besteht darin, eine Organisation des Deutschen Bundestages zu ermöglichen, mit der eine arbeitsteilige Befassung mit den Aufgaben -in Ausschüssen- und eine nach der Parteizugehörigkeit strukturierte Willensbildung– in Fraktionen– gewährleistet sind. Das Wahlrecht sichert hiermit Rahmenbedingungen, durch die der Bundestag seine Funktionen arbeitsteilig und damit als Arbeitsparlament wahrnehmen kann. Ebenso kann der Bundestag die Plenarsitzungen an den Fraktionen orientiert strukturieren, etwa die Tagesordnung interfraktionell abstimmen und Redezeiten unter den Fraktionen aufteilen.“ Das ist dann meine rechtsdogmatische Differenz zum BVerfG.
Die Arbeits- und Funktionsfähigkeit ist aus meiner Sicht keine Frage des Wahlrechts, sondern eine des Organisationsrechtes der Vertretungskörperschaft. Denn das Wahlrecht, als Recht der Mitentscheidung der Bürger*innen, kann ich nicht von der Arbeitsfähigkeit des Parlaments her denken. Ich muss die Arbeitsfähigkeit des Parlaments von der Mitentscheidung der Bürger*innen her denken. Aus meiner Sicht regelt die Geschäftsordnung, wie die Rahmenbedingungen sind, nicht das Wahlrecht. Im Moment entspricht nach dieser die Mindestanzahl von Abgeordnete, um eine Fraktion zu bilden der Sperrklausel, aber zwingend ist das nicht. Das es unterhalb der Fraktionen Möglichkeiten der Teilhabe am Parlamentsleben gibt, zeigt die Praxis mit der Bildung von Gruppen.
Was mir bei dem Urteil des BVerfG komplett fehlt, selbst wenn ihm gefolgt wird und die Arbeits- und Funktionsfähigkeit als Grund für eine Sperrklausel akzeptiert wird, ist eine konkrete Abwägung zwischen Integrationswirkung der Wahl und der Arbeits- und Funktionsfähigkeit. Tritt diese komplett hinter die Arbeits- und Funktionsfähigkeit zurück?
Zu Recht erwähnt das BVerfG im Hinblick auf die Sperrklausel (Rz. 165): „Die Verfassung enthält keine inhaltlichen Kriterien, die der Gesetzgeber für Differenzierungen heranziehen müsste. Welches Wahlergebnis die Bedeutsamkeit einer Partei in dem Sinne ausmacht, dass sie im Parlament vertreten sein soll, legt allein der Gesetzgeber fest (…).“ Den Aspekt greift es in Rz. 243 auf und sagt: „Darüber hinaus ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine die Wahlgleichheit und die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu ändern, wenn ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung durch neue Entwicklungen infrage gestellt wird.“
Jetzt könnte angenommen werden, wenn nach Umfragen die Stimmen von bis zu einem Viertel der Wählenden nicht berücksichtigt werden könnten, sei dies der Fall. Doch nicht nach dem BVerfG (Rz. 248): „Tatsächliche Veränderungen des Wahlverhaltens führen ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung der Sperrklausel. Die Rechtfertigung einer Sperrklausel mit dem Ziel, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu sichern, ist grundsätzlich unabhängig davon, wieviele Zweitstimmen aufgrund der Sperrklausel bei der Sitzverteilung insgesamt unberücksichtigt bleiben (…). Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung könnte möglicherweise dann geboten sein, wenn der sperrklauselbedingte Ausfall an Stimmen einen Umfang erreichte, der die Integrationsfunktion der Wahl beeinträchtigen würde (…). Derartige Veränderungen des Wahlverhaltens bei Bundestagswahlen können derzeit für die erforderliche wertende Prognoseentscheidung (…) nicht verlässlich festgestellt werden.“
Nun denn.
parteiunabhängige Einzelbewerbende in Wahlkreisen
Bedauerlicherweise hält das BVerfG an der Ungleichbehandlung von parteiunabhängigen Einzelbewerbenden in Wahlkreisen und Wahlkreisbewerbenden von Parteien fest. Ein*e parteiunabhängige Einzelbewerbende, der/die Wahlkreisbeste ist, würde das Mandat auch ohne Zweitstimmendeckung erhalten.
Ich hatte ein wenig gehofft, das BVerfG kippt die diesbezügliche Uralt-Rechtsprechung. Die bisherige Begründung für diese „Sonderregelung“ wird wiederholt (Rz. 202): „Mit der Möglichkeit, unabhängige Bewerber für die Wahlkreiswahl vorzuschlagen, sichert der Gesetzgeber das Wahlvorschlagsrecht aller Wahlberechtigten unabhängig von politischen Parteien als Kernstück des Bürgerrechts auf aktive Teilnahme an der Wahl. Dieses Korrektiv zur hervorgehobenen Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes verhindert die Monopolisierung des Wahlvorschlagsrechts bei den politischen Parteien und dadurch eine Mediatisierung der keiner Partei angehörenden Bürger (…).“ Dies sei „ein sachlich legitimierter Grund, der der Wahlgleichheit die Waage halten kann“. Das ist theoretisch auch richtig.
Aber praktisch hat diese Rechtsprechung keine Bedeutung. Sie kollidiert sogar mit der Anforderung, dass sich das Wahlrecht an der Wirklichkeit orientieren soll. Das BVerfG verschwendet nicht einen Gedanken daran, dass eine solche Regelung vielleicht nicht mehr erforderlich ist, weil es allein bei der ersten Bundestagswahl erfolgreiche Einzelbewerbende gab. In Rz. 237 verweist das BVerfG selbst auf diesen Fakt. Aber Schlussfolgerungen daraus zieht es nicht.
Das BVerfG hat ja die Grundmandatsklausel wieder ins Wahlrecht eingefügt, auf jeden Fall bis zur nächsten Wahl. Wenn eine Partei 3 „Direktmandate“ gewinnt, zieht sie in Franktionsstärke in den Bundestag ein.
Es gibt aber keine „Direktmandate“ mehr, sondern nur Wahlkreisbeste. Einziehen tun aber die Kandidat*innen mit dem höchsten Prozentsatz in ihrem Wahlkreis. Diese können, müssen aber nicht, die Wahlkreisbesten sein.
Wenn ich micht nicht komplett täusche, wäre es möglich, dass z.B. Sören Pellmann mit 22,8 % der Linkspartei nach den Regeln des BVerfG zum Einzug in den Bundestag verhilft, er aber selber gar nicht in den Bundestag kommt, wenn diverse Wahlkreiszweite der Linken mehr als 22,8% auf sich vereinen können. Er würde quasi die Fraktion in den BT katapultieren, selber aber draußen stehen bleiben.
Das ist erstmal recht unwahrscheinlich, aber nach meiner Lesart möglich, und könnte eventuell bei der rechtlichen Würdigung eine Rolle spielen.
Wenn jemand nicht Wahlkreisbeste*r ist, zählt die Liste. Wahlkreiszweite sind irrelevant.
es soll verfassungsgemäß sein das die abgeordneten nur noch mittelbar über listen gewählt werden können, irre ich oder das bverfg bei dem wort „unmittelbar“ im gg38?
Das BVerfG sieht sogar eine reine Listenwahl als unmittelbare Wahl an. Denn „unmittelbar“ bedeutet lediglich, dass keine dritten Personen zwischengeschaltet werden dürfen. Im Übrigen ist zunächst gewählt, wer im Wahkreis der/die Beste ist, soweit das durch die Zweitstimme der Partei gedeckt ist. Wenn dann noch Platz für Menschen von der Liste ist, bekommen diese ein Mandat.
ja das hat ich auch so verstanden, aber ist denn keine mittelbarkeit gegeben, wenn die erstimmen(personen) mittels zweitstimmen „gedeckt“ und die zweitstimmen(personen) erst nach verrechnung der erstimmen(personen) ermittelt werden?
und böte das ampel-bwahlg, ohne des jüngsten urteils des bverfg, die möglichkeit der verwaisung des bundestages nach einer wahl, wenn keine liste eine stimme über die willkürlichen sperrklausel erhält und erst nach den richterspruch zumindest eine besetzung des bundestag mittels der 3 direktmandatsregel ermöglicht wird?
Die von Ihnen skizzierte Mittelbarkeit gab es ja jetzt schon. Von der Liste bekam ja Niemand ein Mandat, wenn es mehr Direktmandate als Listenplätze gab. Standard bei der CSU. Und jetzt ist die Erststimme quasi eine Vorauswahl der Wählenden, die sich durch die Zweitstimmen-Wählenden konkretisiert. Die zweite Frage habe ich nicht verstanden. Es ist mE in der Praxis ausgeschlossen, dass keine Liste eine Stimme ûber der Sperrklausel erhält.
zu 1. ja, demnach waren nur die 299 erstimmenmandate unmittelbar gewählt worden und nun sollen alle abgeordnete mittels der zweitstimmendeckung ermittelt werden und die in artikel 1 absatz 4 erwähnten bewerbern praktisch unwählbar sind oder können diese nun auch zweitstimmen erhalten?
zu 2. ja, praktisch unwahrscheinlich, jedoch theoretisch wäre eine verwaisung des parlaments, auch mit der nun vom bverfg angeordneten 3 direktmandatsklausel, möglich, dafür bräuchte es nur noch eine höhere anzahl erstimmenbewerber und natürlich ein entsprechendes wahlverhalten.
Welche Bewerbenden nach Artikel 1 Abs. 4 meinen Sie?
leider irrtümlich auch die von keiner partei vorgeschlagenen und somit ungleicher zu den von parteien vorgeschlagen gewählten bewerbenden.
letztlich, ich zweifle das mit diesen 2023er bwahlg wahrlich gleicher und unmittelbarer die abgeordneten gewählt werden.
da entsprach die fast 70 jahre währende fassung des bwahlg und seines ersten artikels ((1) Der Deutsche Bundestag besteht vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt.
(2) Von den Abgeordneten werden 299 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreisen und die übrigen nach Landeswahlvorschlägen (Landeslisten) gewählt.) dem grundsatz aus artikel 38 des gg ((1) [1] Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. [2] Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.) mehr als das was die ampel nun mit höchstrichterlichen beistand anzeigt.
wahlkreisbewerbende ohne partei brauchen keine zweitstimmendeckung. gibt ja keine Partei die das mit zweitstimmen decken kann. diese bevorzugung ist, siehe blogbeitrag, eine uralt-rechtsprechung. meine kritik steht ja auch im blogbeitrag.
was das wahlrecht angeht, ich bin persönlich für reine listenwahl, wobei die wählenden die liste ändern können. die zwitstimmendeckung finde ich bei festhalten am zwei-stimmen-wahlrecht überzeugend, das bisherige system führte ja zur aufblähung.
die „aufblähung“ hatten wir doch allein der übergewichtung der listen im bwahlg zu verdanken, obwohl das 1953er wahlrecht mit seinem ersten artikel schon eine einfache und klare begrenzung auf 598 mandate ermöglichte.
aus der sicht von parteimitgliedern ist die alleinige listenwahl verständlich, jedoch finde ich es bedenklich wenn aus den grundgesetzlich geschützten mitwirkungsrecht von parteien an der „politischen Willensbildung des Volkes“ mittels wahlrecht ein exklusivrecht für parteien mit all ihren abgründen entsteht.
Die Aufblähung ist ein Ergebnis des Zweistimmenwahlrechts und der politischen Entwicklung, dass der Gewinn von Direktmandaten nicht korrespondiert mit Zweitstimmen.
Selbstverständlich müssten im veränderbare Listenmodell auch möglich sein, dass sich Bürger*innen zusammenschließen und eine Liste einreichen können, ohne Partei zu sein.
1. war die „aufblähung“ denn nicht die folge des politischen willens das die zweitstimmen mit den erststimmen mittels überhang- und ausgleichsmandate korrespondieren?
2. wie lang würde der stimmzettel wohl werden wenn für ca. 40 listen die reihenfolge geändert werden kann?
3. wer kennt nicht, „Die Wahl des Abgeordneten als Person – und nicht als Exponent einer Partei – stärkt den repräsentativen Status des Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes“(BVerfGE 95, 335)? wem nun die mehrheit im wk zu gering ist der könnte auch eine qualifizierte mehrheit (stichwahl) für die 299 wahlkreismandate statt seine abschaffung fordern, oder?
1. Ja. Wer kein Grabenwahlsystem will und am Zweistimmenwahlrecht festhält, muss eine Lösung für Überhang- und Ausgleichsmandate finden. Die Zweitstimmendeckung ist eine solche Lösung.
2. Die Länge eines Zettels ist mE kein verfassungsrechtliches Argument.
3. Das Wahlsystem lässt viele Optionen, auch eine qualifizierte Mehrheit wäre denkbar – wenn geklärt wird, wie sich das bei einem nachfolgenden zweiten Wahlgang möglicherweise mit dem negativen Stimmgewicht verhält. Möglicherweise müsste dann das Wahlergebnis auch 14 Tage oder so geheim gehalten werden, jedenfalls wenn mensch der Argumentation des VerfGH Berlin folgt.
zu 1.&3.: also wer keine ausgleichslose parallelwahl will, der kommt zu recht in teufels küche, da jene wohl lieber den persönlichen vorteil statt die vorteile aus beiden in einem wollen.
zu 2.: ja, nur ein praktisches problem und ob dann aufgrund der größe des zettels noch von „brief“-wahl gesprochen werden sollte
zu 3.: ich vermute der verfgh argumentierte da auf basis eines ausgleichsverfahren
zu 1.&3.: Ausgleichsloses Parallelverfahren wäre rechtlich zulässig, es sollte halt nur klar gesagt werden, dass dies zumindest nach den Wahlergebnissen der letzten Jahre ausschließlich der Union nützt.
zu 3.: Ja.
sei der union gegönnt und könnte eine einigung mit ihr zugunsten von stichwahlen und den wegfall der willkürlichen sperrklauseln begünstigen.
übrigens ohne sperrklausel wären bei der 2021er wahl mit den gut 20 zusätzlichen mandate nur noch ein paar 100.000 statt 4 mio/10% der gültigen zweitstimmen nicht gewertet worden.