Die Potentiale von Dr. Daten

Mit freundlicher Genehmigung von OXI hier die Dokumentation des Artikels zu Big Data und Gesundheitswesen aus OXI 1/2018

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Wenn es um Big Data und Gesundheitswesen geht, überwiegt bei vielen Menschen die Angst. Angst vor einem Missbrauch der Daten. Diese Angst nicht zur Kenntnis zu nehmen, sie gar klein reden zu wollen, wäre nicht zielführend. Ängste ernst zunehmen, ohne sie zu übernehmen oder gar zur Grundlage eigenen Handels zu machen, ist Voraussetzung, um die Potenziale für eine bessere gesundheitliche Versorgung, die es mit Big Data gibt, zu ergründen und auch zu nutzen. Big Data ist nun ein Schlagwort, das gern für alles und jedes benutzt wird. Der Deutsche Ethikrat hat sich jetzt in einer umfangreichen Stellungnahme mit dem Phänomen Big Data und Gesundheit beschäftigt. Er legt seiner Stellungnahme folgende Arbeitsdefinition zugrunde: »Big Data ist der Umgang mit großen Datenmengen, der darauf abzielt, Muster zu erkennen und daraus neue Einsichten zu gewinnen, und der hierzu angesichts der Fülle und Vielfalt der Daten sowie der Geschwindigkeit, mit der sie erfasst, analysiert und neu verknüpft werden, innovative, kontinuierlich weiterentwickelte informationstechnologische Ansätze nutzt.«

Dabei gehen die mit Big Data verbundenen Prozesse über die auf einen bestimmten Zweck konzentrierte Datenerfassung hinaus. Eine immer größere Anzahl von Informationen, auch aus unterschiedlichen Datenerfassungen, fließt bei der Auswertung zusammen. Im Bereich der Gesundheit geht es dann um »klassische medizinische Daten, Forschungsdaten, Daten öffentlicher Gesundheitsversorgung, Bewegungsdaten, Fitnessdaten, Daten aus sozialen Netzwerken und Versicherungsdaten«. Hinzu kommt, dass mit Big-Data-Technologien eine Dekontextualisierung und Rekontextualisierung von Informationen, die zu unterschiedlichen Zwecken erfasst, analysiert und neu verknüpft werden, möglich ist.

Klar ist, diese Datensammlung kann bessere, schnellere, präzisiere Diagnosen, Prävention und Behandlung ermöglichen. Diese Datensammlung kann aber auch zu Diskriminierung oder gar Ausschluss von Leistungen führen. Mindestens in einer Gesellschaft, in der auch das Gesundheitswesen sich angeblich »rechnen« muss und mit Patenten richtig Geld gemacht werden kann. Das wiederum ist aber kein Ergebnis von Digitalisierung, sondern immanenter Bestandteil des Kapitalismus. Eine Debatte um die Bürgerversicherung oder eine Steuerfinanzierung von Solidarleistungen könnte auch unter diesem Aspekt geführt werden. Leider finden sich aber solche Argumentationszusammenhänge in diesen Debatten kaum.

Immerhin wirft der Ethikrat das Problem auf: »Im dualen deutschen Krankenversicherungssystem mit seinem Nebeneinander von GKV und PKV birgt eine durch Big Data präzisierte und verfeinerte Auswahl potenzieller Versicherter zunächst ganz grundsätzlich die Gefahr einer verstärkten Selektion von Personen mit günstigem/niedrigem Risikoprofil durch private Versicherer auf Kosten der gesetzlichen Solidarsysteme, denen dadurch Mehrbelastungen entstünden.«

Diese Gefahr ist ziemlich real, ihr wird auch nicht mit den besten Datenschutzbestimmun- gen beizukommen sein. Die private Krankenversicherung PKV arbeitet eben nach anderen Wirtschaftlichkeitsprinzipien und legt deshalb andere Kriterien an den Beitritt und die Mitgliedschaft an. Es gehört zu ihrem Konzept, den aktuellen Gesundheitszustand zu prüfen und eine Risikoabschätzung über die zukünftige gesundheitliche Entwicklung vorzunehmen.

Die gesetzlichen Krankenkassen unterliegen wiederum einem so genannten Kontrahierungszwang, das heißt: Sie müssen Menschen in ihre Versicherung aufnehmen. Nun kann versucht werden, den privaten Krankenversicherungen klare Vorgaben zu machen, welche Daten sie erheben, nutzen, verknüpfen und verwerten dürfen, um eine Entscheidung über den Beitritt zu treffen. Wenn die aber konsequent angewendet werden, dann kann es kaum noch eine Unterscheidung zu den gesetzlichen Krankenversicherungen geben. Insofern wäre es auch vor dem Hintergrund von Big Data konsequent, eine Bürgerversicherung bzw. eine Steuerfinanzierung der Solidarsysteme einzuführen.

Das enthebt nicht von der Notwendigkeit, Vorgaben hinsichtlich der Daten zu machen, bringt aber die Sicherheit mit sich, in jedem Fall krankenversichert zu sein. Der Ethikrat weist im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung auf die erforderliche »Einpassung von Big-Data-basierten-Anwendungen in das bestehende Vergütungsmodell, (…) die Kompatibilität der so generierten Erkenntnisse mit den epistemischen Standards des Leistungsrechts und (…) die spezifischen Möglichkeiten und Grenzen mit Blick auf die Beitragsgestaltung« hin.

Wenn über Big Data im Gesundheitswesen gesprochen wird, dann muss berücksichtigt werden, dass es eine Vielfalt von AkteurenInnen gibt, deren Interessen sich – logischer- weise – nicht immer decken. Es gibt die Ärzte und Krankenhäuser, Apotheken, die gesetzliche und private Krankenversicherung, die PatientInnen, Behörden und Forschung (privat und öffentlich). Auch kommerzielle Verwertung gesundheitsrelevanter Daten findet statt. Hier muss aber die Frage erlaubt sein, ob es im Bereich des Gesundheitswesens wirklich eine kommerzielle Verwertung von gesundheitsrelevanten Daten geben soll. Und die Antwort lautet: nein.

Es wäre also zu klären, wie es gelingen kann, die Potenziale von Big Data zu nutzen und gleichzeitig Diskriminierung und Ausgrenzung zu verhindern. Dass es darüberhinaus darum gehen sollte, mindestens den Gesundheitsbereich aus dem »Muss sich rechnen«-Bereich herauszulösen, versteht sich von selbst.

Die Stellungnahme des Ethikrates weist darauf hin, dass »spezielle, den grundlegen- den Wandel zu Big Data explizit aufnehmende und vorstrukturierende Normen« weitgehend nicht existieren. Das Datenschutzrecht sei auf das Phänomen Big Data »unzureichend eingestellt«. Als problematisch werden die Grundsätze des Personenbezugs, der Zweckbindung der Datenerhebung, der Datensparsamkeit, der Einwilligung der Transparenz angesehen. Deshalb müssten »alternative Gestaltungsoptionen und Regelungsmechanismen entwickelt werden«.

Dies zum Ausgangspunkt nehmend entwickelt der Ethikrat Ideen, wie die Potenziale von Big Data genutzt werden können und gleichzeitig der Datenschutz gewahrt werden kann. Erwähnt werden zum Beispiel modifizierte Einwilligungserfordernisse und Opt-out-Lösungen, sowie verbesserte Durchsetzungsmöglichkeiten im Haftungsrecht.

Der Ethikrat hat recht, wenn er diejenigen Grundsätze, die mit der Erhebung der Daten verbunden sind, als nicht mehr zeitgemäß benennt. Es ist deshalb zwingend notwendig, im Sinne des Datenschutzes bei der Verwendung, Verknüpfung, Nutzung und Weitergabe von Daten anzusetzen. Aber wie? Denkbar wäre hier zum einen, Kategorien von Daten einzuführen (öffentlichen, privat, sensibel, intim), deren Verwendung, Verknüpfung, Nutzung und Weitergabe unterschiedlichen Anforderungen unterliegt. Öffentliche Daten beispielsweise gehören der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite muss es Antidiskriminierungsregelungen geben. Diese sind bei der Berechnung eines Scores zu beachten und greifen damit in die Algorithmen ein.

Und schon kommen die ProgrammiererInnen ins Spiel. Denn ein Bestandteil von Big Data ist gerade, dass gesammelte Daten von Algorithmen, auch selbstlernenden, durchsucht und ja nach Programmierung verknüpft werden. Es ist deshalb sinnvoll, für ProgrammiererInnen ethische Grundregeln zu vereinbaren, ähnlich dem hippokratischen Eid für Ärzte.

Klar muss auch sein: Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorgaben müssen mit wirklich empfindlichen Bußgeldern geahndet werden, im Wiederholungsfall kann sogar ein Entzug des jeweiligen Angebots/der jeweiligen Lizenz stehen. Um hier tatsächlich eine engmaschige Kontrolle zu ermöglichen, muss es Menschen ohne Schwierigkeiten möglich sein, schnell und einfach nachvollziehen zu können, welche Daten welcher der Akteure im Gesundheitswesen über sie hat. Transparenz ist also ein wichtiger Bestandteil eines neuen Datenschutzkonzeptes. Im Zusammenspiel zwischen den hier vorgeschlagenen Regelungen kann es gelingen, die Vorteile für Therapie und Versorgung im Rahmen von Big Data und Gesundheitswesen zu nutzen.

 

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