Ergebnisse der Reformkommission Sexualstrafrecht

Vor ziemlich genau einem Jahr, am 7. Juli 2016 beschloss der Bundestag die sog. „Nein heißt Nein„-Regelung im Strafrecht. Bereits zu diesem Zeitpunkt existierte die Reformkommission Sexualstrafrecht beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Am 19. Juli 2017 übergab sie nun ihren Abschlussbericht. Und der hat es in sich. Doch nicht nur im Hinblick auf das aktuelle Sexualstrafrecht ist der Bericht interessant; er war mir auch eine willkommene Angelegenheit die Vorschläge der Reformkommission mit dem Gesetzentwurf der LINKEN zur „Nein heißt Nein„-Lösung zu vergleichen.

Auf Seite 13 ff. befinden sich die 61 Vorschläge für eine Änderung des Sexualstrafrechts. Ein genauerer Blick auf die eine oder andere Empfehlung lohnt sich ebenso, wie der Überblick über die Entwicklung des Sexualstrafrechts ab S. 21. Nachfolgend wird vor allem auf die Vorschläge der Reformkommission eingegangen, die sich mit den jüngsten Änderungen im Sexualstrafrecht beschäftigen.

§ 177 StGB – Die „Nein heißt Nein“-Lösung

Die Kommission ist sich zunächst einig, dass der alte § 177 StGB Strafbarkeitslücken enthielt. Sie schlägt allerdings eine Überarbeitung des neuen § 177 StGB vor und eine kritische Betrachtung in der Praxis. Als nächstes schlägt die Reformkommission vor, die Nötigungstatbestände und die Übergriffstatbestände im § 177 StGB zu trennen. Genau das hat der Gesetzentwurf der LINKEN gemacht, indem er in § 174 Abs. 1 StGB einen Grundtatbestand schafft und in den weiteren Absätzen Qualifikationen regelt, in § 175 StGB die sexuelle Nötigung festschreibt und in § 177 StGB die sexuelle Handlung unter Ausnutzung besonderer Umstände. Falls also der neue Bundestag die Anregung der Reformkommission aufgreift, könnte er ja abschreiben.

Aus dem Bericht ergibt sich (S. 52), dass die Reformkommission (vor der „Nein heißt Nein-Regelung) einstimmig der Ansicht war, dass Art. 36 der Istanbul-Konvention zwar nicht zwingend eine Einverständnis-Lösung („Ja heißt ja“) erfordere, es aber trotzdem Strafbarkeitslücken zu schließen gelte. Die Abstimmungen zur sog. kasuistisch-punktuellen Lösung (S. 52), d.h. zur sukzessiven Erweiterung der Strafbarkeit für bestimmte Fälle, sind bemerkenswert. Ein Mitglied sprach sich gegen die Strafbarkeit sog. Überraschungsfälle und Klima-der-Gewalt-Fälle aus, alle Mitglieder waren für eine Herauslösung der Strafbarkeit aus dem Nötigungskontext.

Die Reformkommission schlägt auch vor, § 177 Abs 2 Nr. 2 StGB zu streichen. Dieser lautet:

„Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert.“ 

Das überrascht zunächst. Nach dem Abschlussbericht (S. 72) sprachen sich 7 Mitglieder für die Streichung aus, 5 Mitglieder waren gegen eine Streichung. Allerdings davon wiederum 2 für eine veränderte Formulierung, die nicht auf das Handeln des/der Täter*in abstellt. Soweit ersichtlich (S. 61 ff.) ging es den Kritiker*innen der Regelung darum, dass sie keine Sonderbehandlung von Menschen mit Behinderungen wünschen, da diese auch sexuelle Bedürfnisse haben und diese ausleben können sollen. Ihnen sei es auch möglich zum Ausdruck zu bringen, ob sie sexuelle Handlungen wollten oder nicht. Soweit dies nicht der Fall sei, sei eine Strafbarkeit über § 177 Abs. 2 Nr. 1 GG gegeben. Dieser stellt darauf ab, dass der/die Täter*in ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Im Gesetzentwurf der LINKEN ist dies leicht anders formuliert in § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB enthalten. Mir scheint die Argumentation der Reformkommission überzeugend. Nach der „Nein heißt Nein„-Regelung ist strafbar, wer gegen den erkennbaren Willen an einer anderen Person sexuelle Handlungen vornimmt. Wenn ein erkennbarer Wille nicht geäußert oder gebildet werden kann, ist eine sexuelle Handlung eben nicht möglich. Die Regelung in § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist eine einschränkende Wiederholung der Nr. 1 (es geht ja um den nicht bild- oder äußerbaren Willen, hier unter bestimmten Voraussetzungen) mit Zustimmungserfordernis. Warum aber in Nr. 2 bei versicherter Zustimmung keine Strafbarkeit vorliegen soll, diese Möglichkeit aber in Nr. 1 fehlt, ist nicht klar. Es könnte also tatsächlich bei der Beibehaltung der Nr. 2 zu Wertungswidersprüchen kommen.

Gestrichen werden soll auch, dass die Unfähigkeit einen Willen zu bilden oder zu äußern straferschwerend sein soll (vgl. § 177 Abs. 4 StGB), soweit dies auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht. Das Problem liegt hier darin, dass eine Ungleichbehandlung für Personen vorliegt, die beispielsweise keinen Willen bilden oder äußern können, weil sie alkoholisiert oder vollnarkotisiert sind. Ob es nun aber klug ist, den Absatz 4 zu streichen, ist aus meiner Sicht fraglich. Vielleicht wäre es ja besser, hier einfach nur die Einschränkung zu streichen.

Überzeugender ist der Vorschlag, das Ausnutzen einer schutzlosen Lage (vgl. § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB) zu streichen. Tatsächlich dürfte es zutreffend sein, dass diese Tatbestandsalternative bereits von der Neuformulierung des § 177 Abs. 2 StGB erfasst ist. Das mit Abs. 5 geregelte höhere Mindeststrafmaß lässt sich in Abgrenzung zu § 177 Abs. 2 nicht wirklich erklären.

Die Hälfte der Reformkommission hat vorgeschlagen (vgl. S. 69) die Vergewaltigung in einem eigenen Straftatbestand, also neben der Strafbarkeit der nichteinvernehmlichen sexuellen Handlung zu regeln. In diesem eigenen Straftatbestand sollten erzwungene sexuelle Handlungen, also solche mittels Nötigung mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt, gesondert geregelt werden. Genau das macht der Vorschlag der LINKEN, wenn auch nicht sprachlich. In dessen § 174 StGB werden die nichteinvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt und in § 175 die sexuellen Handlungen, die unter Drohung mit einem empfindlichen Übel oder Gewalt begangen werden. Allerdings müsste konsequenterweise dann aus der Bezeichnung in § 174 StGB der Begriff „Vergewaltigung“ gestrichen und beim § 175 StGB eingefügt werden.

Sexuelle Belästigung (Grabscherparagraf)

Nach dem Willen der Reformkommission soll der § 184i StGB (sexuelle Belästigung) erhalten bleiben. Bei dem § 184i handelt es sich um den Grabscherparagrafen. Der § 184i StGB lautet:

„Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

Der Gesetzentwurf der LINKEN hatte bewusst auf diesen Straftatbestand verzichtet, weil er den § 184i bereits von der „Nein heißt Nein“-Regelung umfasst angesehen hat. Die Reformkommission schlägt die Beibehaltung des Paragrafen vor, allerdings soll „in sexuell bestimmter Weise“ objektiviert werden. Als Argument führt die Mehrheit der Reformkommission an, das die sexuelle Belästigung auch Tathandlungen erfasse, die unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB liegen, weshalb ein Bedürfnis zur Beibehaltung der Regelung bestehe.  Aus meiner Sicht ist das nicht ganz überzeugend, zumal ja an anderer Stelle (vgl. S. 57) die Reformkommission davon ausgeht, dass der § 177 auch sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt erfassen soll. Wenn dies der Fall ist, dann sind erst recht Handlungen mit Körperkontakt erfasst. Eigentlich wäre die Frage dann, ob es des § 184h Nr.1 StGB überhaupt bedarf. Durch die Bezugnahme auf § 184h Nr. 1 StGB läuft die Reformkommission hier aus meiner Sicht eher Gefahr, die auch von ihr gewünschte strenge Auslegung des § 177 StGB zu relativieren. Allerdings lehnte die Reformkommission (vgl. S. 219) die Streichung des § 184h Nr. 1 StGB ab.

Der § 184i Abs. 2 soll nach dem Wunsch der Reformkommission gestrichen werden. Nach Abs. 2 liegt ein besonders schwerer Fall der sexuellen Belästigung vor, wenn mehrere gemeinschaftlich handeln. Auch bei Beleidigung und Hausfriedensbruch gäbe es eine gemeinschaftliche Begehung nicht, eine angemessene Strafzumessung sei über § 46 StGB möglich.

Gruppenparagraf 

Der mit der Neuregelung eingeführte sog. Gruppenparagraf (§ 184j StGB) geschaffene Gruppenparagraf soll wieder gestrichen werden. Das Ergebnis bei der Abstimmung (S. 89) war recht eindeutig. 11 Mitglieder waren für die Streichung und ein Mitglied enthielt sich. Diese Streichung erscheint mir ausgesprochen sinnvoll und richtig. Der § 184j StGB lautet:

„Wer eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

Zu Recht wies die Reformkommission darauf hin, dass wenn 3 Personen mittäterschaftlich einen Raub durchführen und eine der 3 Personen zusätzlich eine sexuelle Belästigung zum Nachteil des Opfers vornimmt, alle 3 Personen nach dem § 184i StGB bestraft werden, auch wenn die sexuelle Belästigung nicht von ihrem Vorsatz erfasst gewesen sei. Desweiteren wurde thematisiert, dass die Beteiligung nicht im Sinne von Anwesenheit zu verstehen sei, andernfalls würde es zu Konflikten mit dem Schuldprinzip kommen. Das wiederum führe aber dazu, dass es neben den allgemeinen Beteiligungsregelungen (Täterschaft und Teilnahme im StGB) keinen Anwendungsbereich gäbe. Es handele sich um reines Symbolstrafrecht. Aus Sicht der Reformkommission werfe der Gruppenparagraf verfassungsrechtliche Probleme auf. Sowohl die Argumentation mit dem Schuldprinzip als auch den Quatsch mit den Beteiligungsregelungen hatte ich in meiner damaligen Rede erwähnt.

Aus dem StGB zu streichen und Neuordnung und Strafprozessuales 

Die Reformkommission will das Kuppeleiverbot (§ 180 Abs.1  StGB) ebenso streichen, wie  die Ausübung der verbotenen Prostitution (§ 184f StGB) und der jugendgefährdenden Prostitution (§ 184g StGB). Auch die exhibitionistische Handlung (§ 183 StGB) und die Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB) sollen nach Ansicht der Reformkommission (vgl. S. 229 ff.) gestrichen werden. Die Streichung der exhibitionistischen Handlung und der Erregung öffentlichen Ärgernisses sah auch der Gesetzentwurf der LINKEN vor. Die Reformkommission ist insoweit deutlich mutiger als der Gesetzentwurf der LINKEN. Soviel Selbstkritik muss sein.

Darüberhinaus schlägt die Reformkommission eine Neuordnung des 13. Abschnitts (Sexualstrafrecht) vor. Genau das hat der Gesetzentwurf der LINKEN versucht. Die Reformkommission (vgl. S. 176 ff.) schlägt folgende Strukturierung vor: Tatbestände zum Schutz der Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung im engeren Sinne, Tatbestände zum Schutz vor Ausnutzung einer durch staatliche Macht begründeten institutionellen Abhängigkeit, Tatbestände zum Schutz minderjähriger Personen, Tatbestände zum Schutz vor Straftaten im Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung, Tatbestände zum Schutz vor Straftaten im Zusammenhang mit Pornografie, Begriffsbestimmungen, Sexuelle Belästigung mit Körperkontakt, Straftaten aus Gruppen und Führungsaufsicht.

Die Abschaffung der Verjährung für den sexuellen Missbrauch von Kindern wurde abgelehnt (S. 275). Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO soll hingegen um weitere Sexualdelikte erweitert werden (S. 283).

Virtuelle Welt 

Nur ganz kurz sei noch darauf verwiesen, dass die Reformkommission einstimmig zu dem Ergebnis gekommen ist (vgl. S. 149), dass im Hinblick auf die Möglichkeiten sexualbezogenen Agierens in virtuellen Welten jedenfalls derzeit kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Bereich des Sexualstrafrechts bestehe.

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