Gruppen-Rechtsnachfolge

Was passiert eigentlich, wenn sich eine Fraktion auflöst und ihre Rechtsstellung verliert, aus ihr aber eine (oder mehrere) Gruppen hervorgehen? Diese Frage könnte demnächst interessant werden und die Antwort lautet: Es kommt darauf an.

53 AbgG Bund regelt, dass Mitglieder des Bundestages sich zu Fraktionen zusammenschließen können und näheres die Geschäftsordnung des Bundestages regelt. Die Rechtsstellung der Fraktionen wird in § 54 AbgG Bund geregelt. Danach sind Fraktionen rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten, die klagen und auch verklagt werden können.

Aus der Geschichte ist bekannt, dass Bundestagsgruppen ebenfalls klagen und verklagt werden können. Eine Regelung zu Gruppen findet sich aber im Abgeordnetengesetz nicht. Eine Regelung zu Gruppen findet sich lediglich in der Geschäftsordnung des Bundestages unter dem Punkt Fraktionen. Dort heißt es in § 10 Abs. 4 GO BT: „Mitglieder des Bundestages, die sich zusammenschließen wollen, ohne Fraktionsmindeststärke zu erreichen, können als Gruppe anerkannt werden.“ Die Frage, ob eine Anerkennung als Gruppe stattfindet oder nicht liegt also in der Hoheit des Bundestages.

Der § 62 AbgG Bund regelt, wann die Rechtsstellung als Fraktion endet, z.B. bei Erlöschen des Fraktionsstatus oder Auflösung. In diesem Fall muss eine Liquidation stattfinden (§ 62 Abs. 1 AbgG). Lediglich für den Fall des Endes der Wahlperiode sieht der § 62 Abs. 7 AbgG eine Rechtsnachfolge vor.

Die Regelung im AbgG Bund lässt mindestens zwei Interpretationen zu: Es besteht eine Regelungslücke im Hinblick auf eine Rechtsnachfolge, wenn in einer Wahlperiode aus einer Fraktion eine (oder mehrere) Gruppen werden und die gegensätzliche Interpretation, nach der die Regelung in § 62 Abs. 7 AbgG Bund abschließend ist und demzufolge eine Rechtsnachfolge-Erklärung überhaupt nur mit dem Ende der Wahlperiode möglich ist.

Rechtssicherheit sieht anders aus. Helfen könnte ein Blick in das Abgeordnetengesetz des Landes Thüringen. Dort regelt der § 58, dass wenn der Fraktionsstatus erlischt, eine Liquidation stattfindet. Das Thüringer Abgeordnetengesetz hat aber im Gegensatz zum Abgeordnetengesetz des Bundes auch eine Regelung zu parlamentarischen Gruppen. In § 58c heißt es: „Eine Parlamentarische Gruppen (…), die aus einer Fraktion hervorgeht, kann ab dem Zeitpunkt des Wegfalls des Fraktionsstatus innerhalb einer Frist von sieben Tagen gegenüber dem Präsidenten des Landtages erklären, dass sie für den Fall der Anerkennung als Parlamentarische Gruppe die Rechtsnachfolge der Fraktion antritt. Eine Liquidation der Fraktion nach § 58 findet in diesem Fall nicht statt.“

Diese Regelung wiederum ist erst im Jahr 2021 eingeführt worden, wie sich aus § 58c Abs. 3 ergibt. Dort wird explizit darauf hingewiesen, dass für Anwendungsfälle im Zeitraum vom 06. September 2021 bis zum Tag der Verkündung der Neuregelungen zu Gruppen die „Erklärung gegenüber dem Präsidenten innerhalb einer Frist von sieben Tagen ab dem Tag der Verkündung der Neuregelungen erfolgen (kann) mit Rückwirkung dieser Erklärung bis zum Tag des Verlusts des Fraktionsstatus.“

Der Gesetzentwurf kam von der Gruppe der FDP und trägt das Datum 14. September 2021 (Neufassung), der zum Erlöschen des Fraktionsstatus führende Austritt einer Abgeordneten fand am 06. September 2021 statt. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird auf eine „Regelungslücke“ im Hinblick auf Gruppen. Der Ausschuss änderte nahm den Gesetzentwurf in geänderter Fassung an.

Der Blick auf Thüringen gibt auch keine Rechtssicherheit. Aber mit dem Blick auf die Thüringer Regelung kann darauf verwiesen werden, dass eine Rechtsnachfolge einer Gruppe möglich ist, wenn sie aus einer Fraktion hervorgeht. Mit Verweis auf Thüringen kann sowohl argumentiert werden, dass im Abgeordnetengesetz Bund eine Regelungslücke gegeben ist, wie auch vorgetragen werden kann, solange die Regelungslücke nicht behoben wird, ist die Rechtsnachfolge abschließend geregelt.

Das Beispiel Thüringen zeigt, dass das Problem zunächst nicht auf dem Schirm war und erst mit dem Ausscheiden einer FDP-Abgeordneten im September 2021 akut wurde. Gleiches kann von dem Abgeordnetengesetz des Bundes gesagt werden, welches offensichtlich einen Verlust des Fraktionsstatus während der Wahlperiode nicht in Betracht zieht. Thüringen hat eine Lösung gefunden, das Abgeordnetengesetz des Bundes (noch) nicht.

Da sowohl die Interpretation mit der Regelungslücke, die eine Rechtsnachfolge einer Gruppe ermöglicht denkbar ist, wie auch die Interpretation, dass die abschließende Regelung zur Rechtsnachfolge eine Gruppen-Rechtsnachfolge ausschließt möglich ist, wäre rechtssicher, wenn der Bundestag entweder explizit erklärt er möchte keine Regelung oder das Abgeordnetengesetz ändert.

Sollte sich im Hinblick auf die Debatten in der LINKEN eine Situation ergeben, dass der Fraktionsstatus durch den Weggang von Abgeordneten entfällt, wird das Problem akut.

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