Einer der mehr oder weniger neuen Begriffe im politischen Raum ist Identitätspolitik. Der Begriff wird häufig abwertend genutzt. Aber was ist diese Identitätspolitik eigentlich?
Offensichtlich verstehen verschiedene Menschen verschiedene Dinge unter Identitätspolitik. Robert Misik weist in diesem Beitrag dankenswerterweise darauf hin, dass es bereits bei Marx hieß, dass „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“.
Dies zu Grund gelegt wäre Identitätspolitik eine Politik für gleiche Rechte für alle Menschen, für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung. Das wäre dann aber einfach Gerechtigkeitspolitik und keine Identitätspolitik. Es wäre eine Politik im Sinne von Artikel 1 und 2 Grundgesetz, welche die Würde des Menschen achtet und die freie Entwicklung der Persönlichkeit anerkennt.
Unter diesem Gesichtspunkt sind die Einzigen die Identitätspolitik betreiben diejenigen, die laut beklagen, dass es Identitätspolitik gibt. Denn sie setzen ihre jeweilige Identität absolut. Diese Absolutheit bedeutet, dass sie in Kauf nehmen, dass alles, was „abweicht“, von dem sie sich „belästigt“ fühlen oder was auch immer die Beweggründe sind, nicht gleiche Rechte bekommen soll, ungleichbehandelt und diskriminiert werden darf.
Das Ganze ist ein wenig verrückt, denn es gibt gar keinen Grund für ungleiche Rechte, Ungleichbehandlung oder Diskriminierung. Denn die Identität derjenigen, die diese Art von Identitätspolitik betreiben, ist überhaupt nicht bedroht. Es ändert sich lediglich, dass anderen Identitäten keine Rechte vorenthalten werden, sie nicht ungleich behandelt und nicht diskriminiert werden. Die so verstanden Identitätspolitiker*innen zeigen eher ihre Intoleranz und machen etwas zu einem Thema, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Besonders deutlich wird die Absurdität bei der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz. Es passiert mit diesem Gesetz nicht mehr und nicht weniger als das etwas „erleichtert“ wird, was es bislang auch schon gab: Die Möglichkeit den Vornamen und den Geschlechtseintrag zu ändern. Das ist bislang im Transsexuellengesetz geregelt, welches wiederum vom Bundesverfassungsgericht in Teilen für nichtig erklärt worden ist. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz werden nur die extrem hohen Hürden dafür abgeschafft und im Übrigen die Gerichte entlastet. Es gibt sogar eine soziale Komponente, denn die bislang erforderliche Begutachtung -die selbst die Gutachter*innen kritisch sehen- musste meist aus eigener Tasche bezahlt werden. Bereits im Jahr 2011 hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass die Anforderungen für eine Änderung des Geschlechtseintrages in Form der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit und eines die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriffs, mit dem eine deutliche Annährung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht wird, nicht mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sind. In der Entscheidung heißt es unter anderem (Rz. 56):
„Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützt mit der engeren persönlichen Lebenssphäre auch den intimen Sexualbereich des Menschen, der die sexuelle Selbstbestimmung und damit auch das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst (…). Es ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Geschlecht nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern sie wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt (…). Steht bei einem Transsexuellen das eigene Geschlechtsempfinden nachhaltig in Widerspruch zu dem ihm rechtlich nach den äußeren Geschlechtsmerkmalen zugeordneten Geschlecht, gebieten es die Menschenwürde in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit, dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Rechnung zu tragen und seine selbstempfundene geschlechtliche Identität rechtlich anzuerkennen, um ihm damit zu ermöglichen, entsprechend dem empfundenen Geschlecht leben zu können, ohne in seiner Intimsphäre durch den Widerspruch zwischen seinem dem empfundenen Geschlecht angepassten Äußeren und seiner rechtlichen Behandlung bloßgestellt zu werden (…). Es obliegt dem Gesetzgeber, die Rechtsordnung so auszugestalten, dass diese Anforderungen erfüllt sind und insbesondere die rechtliche Zuordnung zum nachhaltig empfundenen Geschlecht nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht wird.“
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz passiert also nichts weiter, als dass ein weiterer Schritt getan wird, um eine rechtliche Gleichstellung vorzunehmen, Ungleichbehandlung und Diskriminierung einzuschränken. Etwas, was es in anderen Ländern bereits gibt. Das Selbstbestimmungsgesetz ist gar keine Identitätspolitik, sondern einfach ein Schritt zur freien Entwicklung eines/einer Jeden und damit Gerechtigkeitspolitik. Identitätspolitik hingegen ist, gegen das Selbstbestimmungsgesetz zu argumentieren, weil Menschen „anders“ sind, mensch sich „belästigt“ fühlt oder aus welchen Gründen auch immer und damit an ungleichen Rechten, Ungleichbehandlung und Diskriminierung festzuhalten.