Der Gesetzentwurf zur Änderung des Bürgergeldes, was dann Grundsicherung heißen soll, liegt noch nicht vor. Derzeit gibt es nur die mediale Berichterstattung zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses, zum Beispiel hier. Demnach soll es folgende Neuregelungen (neben der Namensänderung) geben:
- Härtere Sanktionen: Erster Termin versäumt, sofort Einladung zum zweiten Termin. Wird dieser versäumt kommt eine Kürzung der monatlichen Leistung um 30%. Wird auch der dritte Termin versäumt, wird die Geldleistung komplett gestrichen.
- Streichung aller Leistungen inklusive Leistungen für die Unterkunft, wenn Leistungsbeziehende im darauffolgenden Monat auch nicht erscheinen.
- Weniger Schonung für Vermögen und Wegfall von Karenzzeiten sowohl bei Vermögen als auch bei Übernahme der Kosten der Unterkunft.
Das ist alles ziemlich abstrakt. Konkreter heißt das:
- Der Regelsatz des Bürgergeldes für Alleinstehende ist 563 EUR. Eine Erhöhung des Regelsatzes hat im Jahr 2025 nicht stattgefunden, es soll auch 2026 keine Erhöhung geben. Bei einer Sanktion von 30% beträgt der Regelsatz dann 394,10 EUR.
- Wenn die Leistungen für Unterkunft gestrichen werden, droht eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses, denn die Miete kann ja nicht mehr bezahlt werden. Im Ergebnis werden Betroffene zu Obdachlosen oder müssen erhebliche Kosten für die Unterbringung in einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit durch die Kommunen aufgebracht werden. Völlig offen ist, was bei kompletter Streichung der Leistungen mit der Krankenversicherung ist.
- Das sog. Schonvermögen beträgt 15.000 EUR, auf dieses wird derzeit erst nach einem Jahr Leistungsbezug zugegriffen. Ebenfalls beträgt die Karenzzeit für die Übernahme der Kosten der Unterkunft ein Jahr, bevor eine Angemessenheitsprüfung erfolgt.
Wieviel sog. Totalverweigerer es gibt, ist nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, dass der Minderungsgrund „Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“, bei dem auch Weiterbildungen und Qualifikationen berücksichtigt werden, im September 2025 einen Personenkreis von 25.000 Leistungsbeziehenden umfasst haben soll. In diesem interessanten Faktencheck aus dem Oktober 2024 wird von 16.000 Personen gesprochen. Soweit ich recherchieren konnte, werden die Gründe nicht erfasst. Zur Entscheidung des BVerfG zu den Sanktionen habe ich im Übrigen hier schon was geschrieben.
Laut einer Umfrage von Forsa, zitiert vom Tagesspiegel im August 2025, finden 82% es bedarf grundlegender Reformen beim Bürgergeld. Das ist zunächst erst einmal eine Null-Aussage, denn eine Reform kann in die eine und in die andere Richtung gehen. 70% wollen die Verschärfung der Anforderungen für den Bezug von Bürgergeld, 48% finden eine deutliche Absenkung sinnvoll und 46% wollen eine Abschaffung des Bürgergeldes in der derzeitigen Form.
Das von Parteien für ihre jeweilige Position vorgetragene Argument, sie würden ja die Mehrheit vertreten, zeigt hier seine Absurdität. Parteien haben zum Glück in der Demokratie unterschiedliche Positionen. Für diese sollen sie kämpfen. Wenn alle immer nur die Mehrheit vertreten, braucht es keine verschiedenen Parteien. Und gegen diese Bürgergeld-Pläne sollte aus meiner Sicht argumentativ vorgegangen werden, auch wenn eine Mehrheit ein härteres Vorgehen gegen Leistungsbeziehende wünscht.
Die Debatte zeigt die Verrohung der Gesellschaft, gespeist durch Neid und Missgunst. Im aktuellen Spiegel weisen die Soziolog*innen Amlinger und Nachtwey auf ein Gefühl hin, „dass sich die Ressourcen verknappen, dass der eigene Wohlstand langsam Risse im Putz bekommt“ und prägen den Begriff des „Nullsummendenkens“. Dazu heißt es:
„Das Nullsummendenken besagt, dass die Gewinne einer Gruppe die direkten Verluste einer anderen Gruppe sind. Die Erzählung greift, weil das Fortschrittsnarrativ an Kraft verliert, weil Ressourcen und gesellschaftlicher Reichtum als deutlich begrenzt wahrgenommen werden. Der Kuchen wächst nicht mehr, also wird der Kampf um den Kuchen härter geführt. Je größer das Stück des anderen, desto kleiner das eigene.“
Dies Haltung hat sich breit gemacht in der Gesellschaft. Wer wirklich denkt, es sei irgendwie cool mit 563 EUR über den Monat zu kommen oder mit 394,10 EUR und ihm/ihr ginge es bessser wenn Leistungsbeziehende sanktioniert werden, der/die sollte das doch einfach mal einen Monat ausprobieren. Der Reflex mit den „hart arbeitenden Menschen“ zu argumentieren ist auf den ersten Blick hilfreich. Es ist ein völlig zutreffender Fakt, dass wer arbeitet nicht weniger Netto hat als Bürgergeldempfangende. Zu diesem Befund kommen verschiedene Studien, eine Studie die das anders sieht ist mir nicht bekannt. Auf den zweiten Blick ist hier aber unbewusst ganz subversiv eine Abwertung von all jenen enthalten, die „nicht hart arbeiten“ können und irgendwie dann doch nicht zu den vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft gehören. Es gibt jede Menge unbezahlter Sorge-Arbeit (Kinder, Pflegebedürftige) und Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Diese haben auch ein Anrecht auf ein Leben in Würde und ohne soziale Ängste, auf Unterkunft und Essen. Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen, ist inhuman.
Ein weiteres Argument ist, wenn es keine Reichen mehr gibt, dann gäbe es ausreichend Geld. Natürlich ist es richtig, dass diejenigen die hohe Einkommen und große Vermögen haben, zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden sollen, aber diese Antwort reicht nicht aus. Und wer das ernst meint, der bringt in das parlamentarische Verfahren konkrete Gesetzesentwürfe ein, denn sollten diese eine Mehrheit finden, ist es Gesetz. Die Einbringung von Anträgen ist wohlfeil, denn selbst bei ihrer Annahme wäre damit nur ein Auftrag an die Regierung verbunden und das lässt sich aussitzen. Das Parlament nennt sich aus gutem Grund Gesetzgeber und nicht Auftraggeber. Mir ist bislang nur ein Gesetzentwurf für ein Vermögensabgabe untergekommen und dieser stammt von den Grünen aus dem Jahr 2012.
Ein hartes Vorgehen gegen Steuerbetrug könnte auch helfen, schließlich soll dieser zu Verlusten von 100-200 Mrd. EUR jährlich führen. Oder eine Reform der Erbschaftssteuer Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat darauf aufmerksam gemacht:
„Statt vollständiger Steuerbefreiung ist nun also ein vollständiger Erlass möglich. Voraussetzung dafür ist, dass die Groß-Erb*innen bedürftig sind. Erb*innen und Beschenkte gelten nach dem neuen Gesetz dann als „bedürftig“ und werden verschont, wenn sie kein weiteres Vermögen (sog. verfügbares Vermögen) zur Zahlung der Steuer haben. Verfügen sie über weiteres Privatvermögen, müssen sie davon nur die Hälfe aufwenden, um die Steuerschuld zu begleichen – das übrige Vermögen wird verschont. In der Praxis führen die Regelungen dazu, dass Erb*innen selbst bei riesigen Vermögensübertragungen oft keine oder nur wenige Steuern zahlen müssen.“
Es gibt in der Praxis diverse Möglichkeiten genau zu diesem Ergebnis zu kommen, die Ebert-Stiftung schreibt darüber. Die Ebert-Stiftung bezieht sich auf § 28a Abs. 1 Erbschaftssteuergesetz (ErbStG):
„Überschreitet der Erwerb von begünstigtem Vermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 die Grenze des § 13a Absatz 1 Satz 1 von 26 Millionen Euro, ist die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer auf Antrag des Erwerbers zu erlassen, soweit er nachweist, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen im Sinne des Absatzes 2 zu begleichen.“
Also: Wenn ich mehr als 26 Millionen Euro erbe, kann mir die Erbschaftssteuer erlassen werden, wenn ich mir diese aus meinem Vermögen nicht leisten kann. Hallelujah. Aber dreimal nicht im Jobcenter erscheinen rechtfertigt kompletten Leistungsentzug. Wenn ich die Kohle für die Steuer auf die 26 Millionen EUR nicht habe, dann wäre hier die zeitweilige Stundung oder Ratenzahlung das angemessene Mittel und nicht der Verzicht auf die Steuer. Was dann aber völlig verrückt ist, wenn in Abs. 3 darauf hingewiesen wird, dass eine erhebliche Härte insbesondere dann gegeben ist, „wenn der Erwerber einen Kredit aufnehmen oder verfügbares Vermögen im Sinne des Absatzes 2 veräußern muss, um die Steuer entrichten zu können“. An dieser Stelle musste ich vor Mitleid weinen und mir ein Taschentuch holen. Die einen sollen im Zweifelsfall ohne Geld den Monat überleben, den anderen ist nicht mal eine Kreditaufnahme zuzumuten. Aber zurück zur Sachlichkeit. Es wird noch in diesem Jahr eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Erbschaftssteuer erwartet, das wäre ja ein guter Anlass, sich des Themas anzunehmen.
Grundsätzlich würde mir ja gut gefallen, wenn es ein in sich geschlossenes Konzept geben würde, wie die Finanzierung des Sozialstaates so gestaltet werden kann, dass dieser seiner Aufgabe nachkommen kann. Über Ausgabenpriorisierung ließe sich auch reden – wenn es denn gewollt wäre. Die Debatte zum Bürgergeld läuft gehörig schief! Sie zu drehen bedeutet eine Kraftanstrengung, breiter Bündnisse, konkrete Alternativkonzepte und eine Entlarvung der Propaganda. Viel Zeit ist dafür nicht mehr.