Sozialpolitik heißt Ressourcenumverteilungspolitik – politische und kulturelle Benachteiligungen müssen solidarisch und nicht aus-grenzend thematisiert werden

Beitrag von Elke Breitenbach, Dorotèe Menzner und Halina Wawzyniak

Die Folgen des Klimawandels sind fast täglich spürbar. Der Kampf gegen den Klimawandel und Klimafolgepolitik sind Ressourcenverteilungskämpfe. Die Frage, wer wie vor den Folgen des Klimawandels geschützt ist, welche Vorsorge durch den Staat getroffen werden muss und wer zukünftig welche Ressourcen in welchem Umfang verbrauchen darf – das sind auch global betrachtet die neuen sozialen Fragen.

Mit einem solch umfassenden Ansatz wird schnell klar, dass es globale Ursachen für Armut und Ausgrenzungen gibt. Auch haben globale Entwicklungen Auswirkungen auf die Sozialsysteme der unterschiedlichen Länder. Wenn soziale Gerechtigkeit global gedacht wird, dann würde eine gerechte Entlohnung der Menschen im globalen Süden zu höheren Preisen führen müssen. Wenn Kriege und Umweltzerstörung Menschen zur Flucht zwingen, dann ist es eine Frage des Humanismus ihnen Existenz und Teilhabe zu ermöglichen. Globale soziale Gerechtigkeit in Zeiten des Klimawandels bedeutet dann auch, anzuerkennen dass im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch vor allem der globale Norden Abstriche machen muss, wenn der Planet überleben soll. Das betrifft nicht allein die Art und Weise der Produktion, sondern auch die Art und Weise der Konsumtion und damit des Ressourcenverbrauches jedes und jeder Einzelnen.

Das bedeutet aber eben auch, dass

a) staatliche Sozialpolitik Resilienzpolitik sein muss, also eine Politik die durch infrastrukturelle Maßnahmen der Daseinsvorsorge gleichen Schutz für Alle bietet und

b) die Verfügbarkeit lebensnotwendiger Ressourcen und Güter gleich verteilt werden muss.

Am Ende bedeutet dies, für einige Menschen wird es Wohlstandsverluste geben. Für andere Menschen wiederum könnte dies eine Chance sein, wenigstens das tatsächliche Existenzminimum zu erhalten. Ein solcher Ansatz von sozialer Klimapolitik sichert die Freiheit des Individuums und ist gerecht, denn die von Wohlstandsverlusten betroffenen Personen haben einen größeren Anteil am Klimawandel. Faktisch wird aber für den globalen Norden die bisherige Lebensweise nicht aufrecht zu erhalten sein.

Sozialpolitik mit diesem Ansatz muss im globalen Norden zwangsläufig konkrete Antworten auf Fragen finden, die sich unter anderem bereits im Rahmen der Energiekrise gestellt haben:

– Wer erhält in welchem Umfang ein kostengünstiges Grundkontingent an lebenswichtigen Gütern auch jenseits der Energiefrage?

– Welcher Flächenverbrauch ist für welchen Personenkreis aus welchen Gründen angemessen?

– Wer hat welche Möglichkeiten sich vor Hitze und Kälte zu schützen? Welche infrastrukturellen Angebote sind dazu nötig und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen, um Hitze- und Kälteschutz bei Neubau und Sanierung zu verankern?

– Wo darf -wenn überhaupt- noch Flächenversiegelung stattfinden und wo Nachverdichtung?

– Welche Form von Mobilität wird wie gefördert und unterstützt?

Eine LINKE, die als gesellschaftlich relevante Kraft die Gesellschaft gestalten  will, muss stringente Antworten auf diese Fragen entwickeln und Sozialpolitik als interdisziplinären Ansatz verstehen. Sozialpolitik ist Umverteilungs- und Klimapolitik, die größtmögliche Freiheit der Individuen sichern soll.

Soziale Sicherungssysteme müssen  armutsfest sein. Jede*r muss in der Lage sein mit den Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen bezahlbare Grundkontingente an lebenswichtigen Gütern zu bezahlen, angemessenen Wohnraum zu finden, mobil zu sein und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. 

Für Konzepte wie ein solidarisches bedingungsloses Grundeinkommen, eine soziale Mindestsicherung, eine Kindergrundsicherung und armutsfeste Renten gab es bislang keine politischen Mehrheiten. Eine LINKE, die als gesellschaftlich relevante Kraft in die Gestaltung der Gesellschaft eingreifen will muss die bisherigen Konzepte updaten um sie sozial-ökologisch anzupassen und für Resilienz vor Klimafolgeschäden zu modernisieren. Der globale Blick darf dabei nicht verloren gehen.

Bei aller Kritik am Bürgergeld der Ampel-Bundesregierung sollte eine solche LINKE die Verbesserungen des Bürgergeldes nicht kleinreden, vor allem aber deutlich machen, dass mit der Union das Gängeln der Menschen und die Verachtung von Menschen die auf Transferleistungen angewiesen sind grenzenlos ist. Eine solche Linke muss vor allem aber konkrete Vorschläge für Verbesserungen des Transferleistungssystems machen. Eine LINKE  die in gesellschaftliche Auseinandersetzungen gestaltend eingreifen möchte,  muss dafür streiten, dass die Transferleistungen armutsfest sind und eine gesellschaftliche Teilhabe garantieren. Die  Grundsicherung ist das unterstes Netz und darf nicht, wie z.B. derzeit im Asylbewerberleistungsgesetz, unterschritten werden. Gleiches Recht für Alle bedeutet eben auch, dass alle Menschen die gleichen Grundsicherungsleistungen erhalten. Ein Update der sozialen Sicherungssysteme muss darüber hinaus der vielfältigen Realität heutigen Zusammenlebens gerecht werden. Neben dem klassischen Modell der Familie gibt es mittlerweile vielfältige Formen des Zusammenlebens, auf welche die Solidarsysteme keine oder unzureichende Antworten haben.

Dies alles stellt neue Herausforderungen an eine Sozialpolitik, die armuts- und krisenfest ebenso sein muss, wie sie die Existenz und Teilhabe aller Menschen absichert und die Vielfalt der heutigen Lebensformen berücksichtigt.

Auch die Änderungen der Arbeitsverhältnisse, -zeiten und Bezahlungen in der Erwerbsarbeit durch z.B. KI  müssen in der Sozialpolitik eine größere Rolle spielen. Bei Transformationsprozessen hin zur nachhaltigen und ökologischen Produktion spielt auch die Frage der Guten Arbeit nach wie vor eine zentrale Rolle. Gute Arbeit darf, nicht krank machen, muss zu Finanzierung des Lebens reichen und individuelle Lebenssituationen berücksichtigen.

Für viele Menschen mit geringem Einkommen hat sich die Lebenssituation noch einmal enorm zugespitzt. Steigende Mietkosten, Pandemie, Kriege sowie aktuell der Anstieg der Energiepreise und voranschreitende Klimakatstrophe zeigen sehr deutlich, dass die Lasten in erster Linie von Menschen mit geringen Einkommen getragen werden.

Die Bundesmindestlohn reicht, trotz geplanter Erhöhung, in der gegenwärtigen Situation weder für einen Leben ohne Armut noch für eine armutsfeste Rente.

Sozialpolitik umfasst auch die Frage des Strafrechts. Sozialpolitik ist die Grundlage dafür, dass Regelungen wie die zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Ersatzfreiheitsstrafe, Beförderungserschleichung oder des Containerns nicht einseitig diejenigen belasten,  die wenig oder gar kein Einkommen haben. Solange der Schwangerschaftsabbruch nicht legal ist, entscheiden am Ende die finanziellen Ressourcen, ob ein Schwangerschaftsabbruch überhaupt möglich ist und mit welchen Schwierigkeiten. Die Ersatzfreiheitsstrafe, also der Aufenthalt in einer Strafvollzugsanstalt wegen nichtbezahlter Geldstrafe, ist eine originär sozialpolitische Frage – an deren Ende die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe stehen sollte. Die Entkriminalisierung des Containers wäre nicht nur aus sozialpolitischer Sicht zu begrüßen, es wäre auch ein Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung und damit ein Beitrag zum Klimaschutz.

Sozialpolitik betrifft auch den Zugang zum Gesundheitswesen zu. Der Zugang zum Gesundheitswesen für Alle setzt nicht nur eine gute haus- und fachärztliche Versorgung voraus, sondern auch ausreichend finanzierte und gut erreichbare Krankenhäuser. Dies ist insbesondere für Menschen mit geringen oder keinen finanziellen Mitteln von zentraler Bedeutung, denn ihnen ist es unmöglich sich gesundheitliche Leistungen dazuzukaufen. Der gleichberechtigte Zugang zum Gesundheitswesen muss für Geflüchtete, Illegalisierte, sowie Menschen mit einem unklarem Aufenthalts Status und Obdachlose ebenso gegeben sein, wie für Menschen ohne Krankenversicherung. Gleiches trifft auf den Bereich der Pflege zu.

Sozialpolitik als Ressourcenumverteilungspolitik, die soziale, politische und kulturelle Benachteiligungen solidarisch thematisiert benötigt neben grundsätzlichen und abstrakten Vorstellungen und Konzepten auch kurz- und mittelfristige Ansätze:

– Mittelfristig sind Regelsätze in der Mindest- oder Grundsicherung von 1200 Euro und eine Kindergrundsicherung (gestaffelt nach Alter) von 520-630 Euro einzuführen. Kurzfristig sind die Regelsätze um mindestens 229 EUR anzuheben.

– Einführung eines bezahlbaren/kostengünstigen Grundkontingents für Heizung und Strom,  sowie Einführung von Härtefallfonds.

–  Kosten der Unterkunft inklusive Heizkosten müssen sich an den realen Kosten orientieren.

– Ob in Flüchtlingsunterkünften, in der Eingliederungs- und Jugendhilfe, im Pflegebereich oder in Frauenhäusern, überall dort gibt es auch Mehrbettzimmern. D.h., es gibt keine Privatsphäre, gleichzeitig können Abstands- und Hygieneregelungen nicht eingehalten werden. Es müssen Wege entwickelt werden, wie diese  Gemeinschaftsunterkünfte (Mehrbettzimmer) zu Gunsten einer Unterbringung in Wohnungs- und Appartementstruktur aufgelöst werden können  und welche Möglichkeiten der Regulierung es hier gibt. Dies beinhaltet dann auch entsprechende Konzepte und Finanzierungsgrundlagen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Housing First für Wohnungslose und der  Berliner Masterplan zur Überwindung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind  dafür Beispiele und bietet Ansatzpunkte für weitere Konzepte.

– Es sind Kriterien für resiliente Sozialpolitik zu entwickeln und entsprechende Rechtsgrundlagen und Förderprogramme zu schaffen. Es geht um infrastrukturelle Vorsorge im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels.

– Soziale Infrastruktur sichert die gesellschaftliche Teilhabe besonders von einkommensarmen Menschen und sie unterstützen und stärken Menschen in schwierigen Lebenssituation. Bibliotheken, Stadtteilzentren, Schwimmbäder, aber auch Beratungsangebote, wie z.B. Energieberatung müssen ausgebaut und ihre Angebote mehrsprachig und barrierefrei gestaltet werden. Auch die Angebote im  Zuwendungsbereich  müssen schrittweise an diese Kriterien gekoppelt werden. Dafür müssen entsprechende Finanzierungsprogramme entwickelt werden.  Ein System von „Soziallotsen“, um Hilfesuchenden Orientierung und Unterstützung im Hilfesystem zu geben, kann hier eine Lösung sein.

– Eine armuts- und krisenfeste Sozial- und Klimapolitik muss den Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft nachkommen und die Unterschiedlichkeit der Menschen auf allen Ebenen berücksichtigen. Nur wenn Diversität, Inklusion und Partizipation als fester politischer Bestandteil einbezogen werden, kann die gesellschaftliche Teilhabe aller umgesetzt werden. Das  ist auch die Voraussetzung um allen Menschen Informationen, Beratung, Unterstützung und Beteiligung anzubieten. Dafür sind gesetzliche Regelungen nötig. Beispiele hierfür sind die z.B. das Berliner Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft und das Berliner Landesgleichberechtigungsgesetz.

– Unter einen weiten Begriff von Sozialpolitik fällt auch die Frage, wie sichergestellt wird, dass Menschen vom Rechtssystem nicht überfordert werden. Dies betrifft sowohl angemessene Reaktionen auf behördliche Schreiben wie auch die mindestens vorläufige Gewährung von Leistungen, bis über einen Leistungsanspruch gerichtlich endgültig entschieden ist.

In Zeiten, in denen die Folgen des Klimawandels deutlich spürbar werden und gleichzeitig die Spaltung der Gesellschaften (und Öffentlichkeiten) immer auffälliger wird, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen Vieler, um sozialen Zusammenhalt und damit auch die Demokratie zu erhalten.  Dabei geht es insbesondere um Ressourcenumverteilung. Neben ganz konkretem Eingreifen in aktuelle Auseinandersetzungen verlangt dies einen umfassenden sozialpolitischen Ansatz und ein Update sozialpolitischer Konzepte. Eine LINKE mit gesellschaftspolitisch eingreifendem Anspruch wäre gut beraten, genau einen solchen Ansatz zu entwickeln und in breite gesellschaftliche Bündnisse einzubringen.

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