Das Spiel ist langweilig und bekannt. Jede im Bundestag vertretene Partei kennt es. Im Bundestag stimmen die Fraktionen so, im Bundesrat stimmen die an Landesregierungen beteiligten Parteien anders als ihre Fraktionen im Bundestag.
Aufmerksamkeit bekommt dieser Vorgang immer mal wieder und diesmal aktuell durch die Abstimmung zum Leistungsschutzrecht und die Abstimmung zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Beide Varianten des Spiels sind aber nun nur bedingt miteinander vergleichbar. In beiden Varianten stimmen die Oppositionsfraktionen im Bundestag anders als im Bundesrat. Das Leistungsschutzrecht wurde -völlig zu Recht- im Bundestag abgelehnt, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare fand- ebenfalls völlig zu Recht- die Zustimmung im Bundestag. Im Bundesrat sah es dann anders aus.
Trotz Rosa-Rot-Grüner Mehrheit wurde in Sachen Leistungsschutzrecht der Vermittlungsausschuss nicht angerufen. Unverständnis ist noch die diplomatischste Formel die ich für dieses Verhalten finden kann. Die SPD hat hier eigentlich ein richtiges fettes Bashing verdient. Das ich es mir verkneife hat damit zu tun, dass ich anhand das zweiten Beispiels auf ein -aus meiner Sicht- strukturelles Problem hinweisen will.
Das CDU-SPD regierte Berlin stimmte im Bundesrat nicht für die Öffnung der Ehe, obwohl die SPD doch dafür ist. Grund ist der Koalitionsvertrag. In jedem Koalitionsvertrag -und das bezieht sich nicht nur auf die Abstimmungen im Bundesrat- steht, dass die Koalitionspartner nicht gegeneinander abstimmen. Das führt dann beim Bundesrat zu Enthaltungen, wenn keine Einigkeit besteht. Es führt aber auch dazu, dass im Parlament selbst nicht gegeneinander abgestimmt wird, somit aber die Koalitionspartner an der einen oder anderen Stelle gegen ihre eigene Position stimmen. Das ganze System ist bekannt, wird aber -so meine Wahrnehmung- nicht hinterfragt.Warum auch.
Ohne das festgezurrte Korsett eines Koalitionsvertrages gäbe es ja keine spannenden Geschichten für Journalisten/innen, die jedesmal ganz genau schauen ob die Kanzlermehrheit bei der Abstimmung x oder y erreicht ist. Falls dies nicht der Fall ist, kann gut spekuliert werden, wie lange die Koalition noch Bestand hat. Ohne festgezurrtes Korsett wäre dies nicht mehr möglich, aber es gäbe vielleicht andere spannende Gesichten.
Auch für die jeweils nicht betroffenen Parteien ist der jetzige Zustand ganz angenehm. Man kann so richtig schön Landesregierungsbingo spielen, obwohl man weiß wie Entscheidungen zustande kommen. Und so wird gern der Partei x vorgeworfen, dass sie in der Frage y im Bundestag so gestimmt hat, im Bundesrat aber ganz anders abgestimmt hat oder im Landtag einen gleichlautenden Antrag der Partei z abgelehnt hat. Das ist schon ein richtiger Spaß, denn die Partei x ist in solchen Situationen immer in der Defensive. Selbstverständlich würde die Partei x dies mit der Partei z nicht anders machen, wenn sie die Chance dazu erhält.
Dieses Spiel kann jetzt noch lange weitergespielt werden, eine Ermutigung für politisches Engagement dürfte damit nicht gelingen. Was bleibt also? Zum einen könnte mindestens das Landesregierungsbingo unterlassen werden. Zum anderen könnte tatsächlich angefangen werden ehrlich mit dem festgezurrten Korsett Koalitionsvertrag umzugehen, d.h. Aufklärung über die Mechanismen die hinter einem solchen Vertrag stehen zu betreiben. Vielleicht aber könnte auch angefangen werden, das System der Koalitionsverträge zu hinterfragen. Wäre es so schlimm, wenn dieses festgezurrte Korsett etwas gelockert, vielleicht später sogar ganz abgelegt wird? Warum nicht die Parlamente zu einem Ort machen wo über Argumente nachgedacht und um Mehrheiten aufgrund der besseren Argumente noch wirklich gestritten wird? Was wäre eigentlich so schlimm, wenn es nicht mehr die Oppositions- und Regierungsfraktiongrenze gibt, die von vornherein festlegt was mit Initiativen passiert, egal wie gut oder schlecht sie sind? Was wäre so schlimm, wenn für jede einzelne Initiative eine Mehrheit im Parlament gesucht werden müsste? Ja, dann gibt es unterschiedliches Abstimmungsverhalten und unterschiedliche Mehrheiten. Ja und?
Die parlamentarische Demokratie könnte dadurch ein wenig lebendiger werden, das wäre doch auch mal was.
Erinnere mich an das Berliner Wahljahr 2001:
Als Gysi unbedingt Bürgermeister werden wollte, erinnerte ihn auf einer Podiumsrunde an der FU Berlin der linke Politologie-Doyen Wolf-Dieter Narr höflich an das Prokrustes-Bett jedweder Regierungsverantwortung im Kapitalismus.
Der Kandidat ignorierte, regierte ein halbes Jahr und meilte plötzlich bonus.
Die PDS anschließend auch.
Kein SPD-Niedermachen, aber eine klare Analyse, wen man da wirklich vor sich hat.
Um die SPD richtig einzuschätzen und zu verstehen, braucht man nur deren letztes sozialdemokratisches Parteiprogramm von 1925 zu lesen und es mit dem Godesberger Programm von 1959 vergleichen. Dann gehen einem die Kronleuchter auf.
Heidelberger Programm von 1925
http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0004_spd&object=pdf&st=HEIDELBERGER%20PROGRAMM&l=de
Godesberger Programm von 1959
„… Zu Unrecht berufen sich die Kommunisten auf sozialistische Traditionen. In
Wirklichkeit haben sie das sozialistische Gedankengut verfälscht. Die Sozialisten
wollen Freiheit und Gerechtigkeit verwirklichen, während die Kommunisten die
Zerrissenheit der Gesellschaft ausnutzen, um die Diktatur ihrer Partei zu errichten. …“
Dieses Selbstverständnis der SPD hält sich nahezu unverändert bis heute, weshalb die SPD um den Preis von Bundesrats- und anderen parlamentarischen Mehrheiten stets eine Zusammenarbeit mit Sozialisten kategorisch ausschließt.
Nur eine starke und eigenständige Partei Die Linke kann der SPD ebenbürtig gegenübertreten und sie zur Zusammenarbeit bringen.
Deshalb darf man sich nicht an der SPD abarbeiten, sondern muss die Partei Die Linke stärken und ihre Positionen den Bürgern in verständlicher Sprache mitteilen.
Die Linke sollte sich als unabhängiges, drittes Lager in der deutschen Politik positionieren, dass die allgemeine Unzufriedenheit mit den beiden etablierten Gruppen laut und deutlich artikuliert. Spektakuläre Events, die über die üblichen brav angemeldeten Latschdemos hinausgehen, können da helfen. Die 5-Sterne-Bewegung eines Beppe Grillo ist damit großgeworden, während die hausbackene italienische Linke verdientermaßen den Parlamentseinzug verfehlt hat.
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