10-15 Projekte statt starre Koalitionsverträge

An der einen oder anderen Stelle habe ich ja schon davon geredet, dass ich mir eine andere Art von parlamentarischem Handeln, Regierungshandeln und Koalitionsverträgen wünsche. Um es noch einmal kurz zusammenzufassen:

  1. In einem Koalitionsvertrag werden nur Projekte vereinbart, bei denen es im Grunde Einigkeit gibt. Über die Details kann es Unterschiede geben. Das „ob“ ist zwischen den Beteiligten also nicht strittig, maximal das „wie„. Das dürften wohl 10-15 Projekte sein.
  2. Über diese 10-15 Projekte hinaus gibt es keine weiteren Vereinbarungen zwischen den Beteiligten und eben auch nicht die Regelung, dass die Koalitionspartner nicht gegeneinander stimmen dürfen. Richtig ist, dass die Koalitionspartner für diese 10-15 Projekte stimmen. Alles andere wird im Parlament entschieden; es ist möglich, dass die Koalitionspartner auch unterschiedlich abstimmen.

Der Vorteil dieser Regelung ist: Es gibt keine starren Koalitionskorsette. Das Parlament ist wieder der Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen getroffen und debattiert werden.

Nun liegen die Wahlprogramme von LINKEN, Grüne und SPD vor. Es wäre ja nun spannend, diese drei Wahlprogramme nebeneinander zu legen und zu schauen, ob tatsächlich 10-15 Projekte zusammenkommen. Nein, ich finde nicht, dass Wahlkampf für eine Regierungskonstellation gemacht werden muss. Ich finde, jede Partei kämpft mit ihren Inhalten für möglichst viele Wähler*innenstimmen für sich. Deshalb sei auch allen dringend empfohlen, die Wahlprogramme von LINKEN, Grünen und SPD zu lesen. Auch um die Unterschiede festzustellen.

Aber irgendwann sind die Wahlen vorbei. Und dann wäre es ja doch spannend, sich anzuschauen, wie das so aussieht mit Forderungen von SPD, Grünen und LINKE. Als kleinen Service 😉 habe ich das mal gemacht. Dabei ist allerdings zu beachten, dass an einigen Stellen einige der Parteien weiter gehen würden (wird besonders im Bereich Soziales deutlich). Ich habe versucht den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Möge jede*r für sich ein Urteil bilden, ob diese Inhalte ausreichend und überzeugend sind.

Familienpolitik

  • Neuer Familienbegriff. Alle drei Parteien sehen Familie dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen.
  • Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Kita-Kindern.
  • Mehr Erzieher*innen in den Kitas
  • Kinderrechte in das Grundgesetz
  • Pflegezeit für Angehörige von zu Pflegenden
  • Ehe für Alle (Das dürfte sich Freitag erledigt haben. Wäre übrigens schön, wenn jetzt nicht gegenseitig Vorwürfe kämen, wer sich wann warum nicht schneller dafür entschieden hätte. Wenn es um den Inhalt geht, ist es am Ende nämlich egal, wer es durchgebracht hat. Entscheidend ist, dass es durchgebracht wird.)
  • Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare

Bildung/Ausbildung/Forschung

  • Kooperationsverbot in der Bildung aufheben.
  • BaföG verbessern
  • in Bildung und Forschung investieren

Erwerbsarbeit

  • Beschäftigte sollen mehr Möglichkeiten für flexible Arbeitszeiten haben. Familiengerechte Arbeits- und Besprechungszeiten, Möglichkeiten von Homeoffice schaffen.
  • Recht auf Rückkehr in Vollzeit nach Teilzeit.
  • Sachgrundlose Befristung abschaffen, Sachgründe für Befristungen einschränken.
  • Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose abschaffen.
  • paritätische Mitbestimmung ausweiten
  • Soziale Berufe/typische Frauenberufe in Erziehung, Gesundheit und Pflege aufwerten.

Soziales

  • Sanktionen im SGB II bei unter 25jährigen streichen und Verhinderung der Wohnungslosigkeit durch Sanktionen, welche die Kosten der Unterkunft betreffen.
  • Arbeitslosenversicherung ausbauen.
  • Bürgerversicherung bei der Krankenversicherung.
  • Krankenversicherung für Selbstständige mit geringem Einkommen/Soloselbständige attraktiv machen.
  • Rentenniveau stabilisieren, Pflichtmitgliedschaft von nicht anderweitig abgesicherten Selbständigen

Netz- und Medienpolitik

  • wirksamer Jugendmedienschutz
  • Investitionen in schnelle Glasfaserverbindungen/schnellen Internetanschluss/Telekommunikationsinfrastruktur
  • Weiterentwicklung/Verschärfung des Wettbewerbs- und Kartellrechts, welches die Informations-, Markt- und Datenmacht einzelner Unternehmen effektiv begrenzt
  • öffentliche Einrichtungen sollen kostenloses und offenes WLAN zur Verfügung stellen
  • Verbreitung von Hasskriminalität und sog. Fake News entgegenwirken, Verbreitung rechtswidriger Inhalte besser und schneller verfolgen und dazu Anbieter in die Pflicht nehmen
  • Offene Daten (Open Data) sollen kostenfrei bereitgestellt werden, Open Government voranbringen.

Rechts- und Innnepolitik

  • Wahlalter bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre absenken, Ausweitung des Wahlrechts auf dauerhaft ansässige Drittstaatsangehörige auf kommunaler Ebene.
  • Rechtssicherheit für Whistleblower
  • Verbandsklagerechte ausweiten
  • Petitionsrecht weiterentwickeln
  • verpflichtendes Lobbyregister
  • Grenzen für Parteispenden enger ziehen, Sponsoring im Parteiengesetz regeln
  • kein Einsatz der Bundeswehr als Hilfspolizei im Inland (über das bisherige Maß hinaus)
  • modernes Staatsangehörigkeitsrecht mit Akzeptanz für Mehrstaatigkeit

Gleichstellung

  • Lohnungleichheit zwischen Männer und Frauen beenden, Entgeltgleichheitsgesetz
  • Frauenquote in Führungspositionen
  • Ehegattensplitting ersetzen (SPD: Familiensplitting, Grüne: individuelle Besteuerung, LINKE: familienfreundliche Steuermodelle)

Asyl- und Flüchtlingspolitik

  • Recht auf Asyl muss unangetastet bleiben
  • 0,7% des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungszusammenarbeit
  • europäisches Seenotrettungsprogramm
  • Sprachkursangebote ausbauen

Mietenpolitik und Wohnungsbau

  • Gemeinschaftliche Wohnformen stärker unterstützen bzw. neue Wohnungsgemeinnützigkeit
  • Mietpreisbremse verbessern: größere Transparenz der Vormiete, Auskunftspflicht der Vermieter
  • Zulässige Mieterhöhung nach Modernisierung begrenzen, Modernisierungsmaßnahmen nicht einseitig zu Lasten von Mietern
  • besserer und verbindlicher Mietspiegel
  • Verbesserung des Wohngelds
  • Neubau bezahlbaren Wohnens, mehr Wohnungen in öffentlichem oder betrieblichen Eigentum

Wirtschaftspolitik

  • Investitionsoffensive
  • Genossenschaften stärken

Steuern und Finanzen

  • Spitzensteuersatz anheben
  • Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verringern. Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen sollen dazu einen angemessenen Beitrag leisten
  • Einführung einer Finanztransaktionssteuer
  • Dispo-Deckel
  • umfassende Erbschaftssteuerreform
  • steuerliche Absetzbarkeit von (Manager)Gehältern auf 500.000 € beschränken/Managergehälter beschränken

Umwelt und Verkehr

  • ÖPNV attraktiver machen
  • Elektromobilität (im Öffentlichen Verkehr) voranbringen
  • Erleichterungen für Energiegenossenschaften
  • Verbot von (unkonventionellem) Fracking

Europa

  • Stärkung der sozialen Grundrechte/Mindeststandards im Bereich der sozialen Sicherung
  • Kompetenzen des Europäischen Parlaments ausweiten

Frieden

  • keine Atom(be)waffnung Deutschlands
  • Rüstungsexporte einschränken mit grundsätzlichem Verbot des Kleinwaffenexportes in Drittstaaten außerhalb der EU, NATO und vergleichbaren Ländern
  • Völkerrechtliche Ächtung autonomer Waffensysteme/Kampfroboter
  • gegen völlig unnötige und unrealistische Steigerungsraten im Verteidigungshaushalt

Sicherlich habe ich bei dieser beispielhaften Aufzählung noch Sachen vergessen. Darüberhinaus gibt es in den Wahlprogrammen noch Überschneidungen zwischen jeweils zwei Parteien und die eine oder andere Anregung, von der ich glaube, dass alle drei Parteien sich darauf verständigen könnten.

9 Replies to “10-15 Projekte statt starre Koalitionsverträge”

  1. Aber schon bei „wirksamer Jugendmedienschutz“ gehen die Meinungen auseinander, was das heißt …

  2. ich habe da jetzt nur mal die wahlprogramme genommen. ein kompromiss denke ich, wäre auch da möglich.

  3. Vollkommene Zustimmung zu den Überlegungen von Halina Wawzyniak.
    Eine bestätigende Anmerkung zur Vergangenheit:
    Die Berliner Linke hat 2011 auch wegen der Koalitionsdisziplin die Wahlen verdient verloren.
    Der langjährige Finanzsenator Sarrazin wurde 2002-2009 von der rotroten Koalitionsdisziplin mehrmals im Amt gehalten (seine Ansichten über Migranten hielt er damals zwar noch ein wenig zurück, aber Hartzern empfahl er dreist Pullover und kaltes Duschen).
    https://de.wikipedia.org/wiki/Thilo_Sarrazin#Tipps_f.C3.BCr_Hartz-IV-Empf.C3.A4nger_und_Positionen_zur_Altersversorgung
    Als Sarrazin später sein – das politische Klima nachhaltig vergiftende – Buch veröffentlichte, agierte ausgerechnet sein damaliger Arbeitgeber Deutsche Bank entschlossener als die rotrote, nunja, Koalitionsdisziplin es je vermocht hätte.

  4. Hartz-Sanktionen soll es weiter geben, wenn die Betroffenen über 25 sind? – Ich halte Eingriffe in das Existenzminimum in jedem Fall für verfassungswidrig. Hauptsächlich mit den Sanktionen (bzw. deren Androhung) werden Menschen in prekärere, unwürdige, krankmachende Arbeit geprügelt.

  5. Nein, soll nicht. Zumindest nicht wenn es nach mir geht.
    Was ich aufgeschrieben habe ist, das was es eh schon an Gemeinsamkeiten gibt.

  6. Das ergibt sich auch so aus dem Text, ich hatte zu oberflächlich gelesen, sorry. Die Abschaffung jeglicher Sanktionen in das Existenzminimum sollte für Die Linke aber in jedem all eine rote Linie bei Koalitionsverhandlungen sein, alles andere wäre für die Glaubwürdigkeit der Partei so fatal wie die Agenda 2010 für die SPD.

  7. Pingback: Mehr Mut wagen – Blog von Halina Wawzyniak

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