Im Wahlkampf wird die ganze Zeit über die Migrationskrise geredet und das „wir das nicht schaffen“. Es ist richtig, dass es Probleme gibt. Das zu verschweigen ist absurd, aber die Lösungsansätze die Menschen mit Migrationshintergrund pauschal dafür verantwortlich zu machen und Zuwanderung einzuschränken entspringen der Logik, die Daseinsvorsorge zu vernachlässigen und dann Freiheitsrechte zu entziehen, hier zu Lasten der neuen Mitbürger*innen. Die ganze Debatte ist eine spaltende Debatte: Hier sind wir und da die „Anderen“. Über die Absurdität des „wir“ habe ich hier schon geschrieben.
Die Debatte ist nicht nur spalterisch, sie führt auch an den eigentlich zu führenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vorbei. Der Debatte um Daseinsvorsorge und wie der Ausstieg aus der fossilen Gesellschaft gelingen kann.
Viele Menschen mit Fluchterfahrung dürften traumatisiert sein. Ein Trauma verlangt Behandlung und Betreuung. Die psychosoziale Betreuungssituation ist nicht besonders gut in Deutschland. Generell. Es ist tatsächlich so, dass es zu wenig Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen und Psychiater*innen gibt und viel zu lange auf eine Therapie gewartet werden muss. Das ist aber kein Problem der Migration, es ist ein strukturelles Problem des Gesundheitswesens. Der Bedarf -insbesondere nach Corona- ist nicht berücksichtigt worden und eine Gesundheitswesen was sich rechnen muss, kann diesem Bedarf möglicherweise gar nicht gerecht werden. Es ist richtig, dass es zu wenig Hausärzt*innen gibt und das auf einen Facharzttermin lange gewartet werden muss. Wenn mensch in der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Worüber geredet werden könnte ist, warum ein Gesundheitswesen sich rechnen muss, wie Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal verbessert werden können, ob es schlau ist das es eine Selbstverwaltung des Gesundheitswesens gibt und demzufolge die Kassenärztliche Vereinigung über die Vergabe von Sitzen für Ärzt*innen entscheidet und der Gemeinsame Bundesausschuss darüber, was von den Krankenkassen bezahlt wird.
Die meisten Menschen leben freiwillig, wenn sie es denn tun, mit anderen Menschen zusammen. Wer sich einmal vorstellt, er/sie müsste mit Menschen für längere Zeit auf engstem Raum ohne Privatsphäre zusammenleben, mit all den kleinen Reiberein und Nickeligkeiten die das mit sich bringt, der weiß dass dies dem persönlichen Wohlbefinden nicht gerade gut tut. Wenn sich zudem vorgestellt wird, dass er/sie keine Beschäftigung hat, dann wird das Problem noch größer. Es ist eigentlich erstaunlich, dass unter diesen Bedingungen überhaupt Integration gelingt. Es ist richtig, dass es insbesondere in Groß- und Universitätsstädten zu wenig Wohnraum gibt. Dieses Problem gibt es aber schon deutlich länger und die Anstrengungen dem entgegenzuwirken sind nicht ausreichend. Worüber geredet werden könnte ist, wie -unter Beachtung von Klimaschutz- Wohnraum entstehen, Zweckentfremdung verhindert und Flächenverbrauch reduziert werden kann. Warum wird nicht darüber nachgedacht, modulare Unterkünfte (nicht die mit Wohnheimcharakter) für den Wohnungsbau zu nutzen? Warum gibt es so wenig Umbau von (leerstehenden) Bürogebäuden in Wohnraum? Warum gibt es so wenig Aktivitäten gegen Leerstand? Warum gibt es keine gesetzliche Regelung, mit welchem dem Problem des unangemessenen Wohnflächenverbrauchs entgegengewirkt wird, beispielsweise, dass der Umzug in eine kleinere Wohnung nicht zu einer Mieterhöhung führen darf?
Es ist zutreffend, dass es je nach Ort einen Mangel an Kita- und Schulplätzen gibt und auch ein Problem mit dem dafür benötigten Personal. Aber dieses Problem liegt doch nicht in Migration begründet. Es liegt darin begründet, dass der Staat nicht ausreichend Vorsorge betrieben hat. Ich erinnere mich noch an Zeiten, wo in Berlin Schulen wegen mangelnder Anzahl von Schüler*innen dicht gemacht wurden. Es gibt mal mehr und mal weniger Kinder und Schüler*innen. Wo ist das Konzept, dass nicht ständig zwischen Schließung/zu viel Personal und Mangel an Gebäuden/Personal hin und her pendelt? Hier muss angesetzt werden. Bildung ist nämlich auch Daseinsvorsorge.
Die Preise werden immer teurer, die Löhne und Gehälter können damit häufig nicht Schritt halten. Das ist aber ebenfalls kein Problem von Migration. Im Gegenteil. Asylsuchende sind besonders hart betroffen. Bürgergeldempfangende haben einen Betrag von 563 Euro pro Monat zur Verfügung, alleinstehende Asylsuchende 441 EUR pro Monat und das zum Teil nicht mal in Form von Bargeld und zukünftig gar in Form einer Bezahlkarte.
Und während über Migration debattiert wird, wird ausgeblendet, dass mit dem Klimawandel die nächste große Fluchtursache gesetzt wird und wenn es nicht gelingt, die Erderwärmung zu stoppen sowie den Wandel aus dem fossilen Zeitalter zu gestalten es völlig egal ist, ob es Migration gibt oder nicht. Weil am Ende alle Menschen draufzahlen werden. Die mit mehr Geld etwas später, sie können sich ja knappe Güter leisten, auch wenn sie teurer werden.
Alles richtig, höre ich, aber wir können nicht die ganze Welt aufnehmen und das mit der Kriminalität ist ja nun wirklich ein ernsthaftes Problem, welchem mit dem Gerede von der Daseinsvorsorge nicht beizukommen ist.
- Die Zahl der Geflüchteten weltweit steigt beständig, besagen die Zahlen aus dem Trend Mitte 2024. Die meisten Geflüchteten kamen aus Afghanistan, Syrien, Venezuela, Ukraine und Sudan. Die meisten Geflüchteten werden im Iran, der Türkei, Kolumbien, Deutschland und Uganda aufgenommen. Dazu gibt es noch die Binnenvertriebenen-Länder Sudan, Syrien, Kongo, Kolumbien und Jemen. Die ganze Welt kommt nicht nach Deutschland und allein der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hat für 6 Millionen Geflüchtete gesorgt. (Ich vermute: Wenn Putin mit seinem Krieg erfolgreich ist, gibt es noch mehr Geflüchtete aus der Ukraine). Wer sich die weiteren Zahlen detailliert ansieht merkt, dass Problem Migration ist viel umfassender und komplexer als es die deutschzentrierte Debatte vermuten lässt. Es wird nicht mehr darüber geredet, was die Ursachen von Flucht sind: Kriege, Ausbeutung, Folgen des Klimawandels, Politische Verfolgung. Mensch kann ja hoffen, wollen oder wünschen, dass weniger Menschen nach Europa und Deutschland kommen, aber sie werden kommen – und dann stellt sich die Frage, wie darauf reagiert wird. Humanistisch und solidarisch oder mit Ausgrenzung, Demütigung, Rassismus.
- Es wäre falsch, das Problem der Kriminalität zu ignorieren – es ist aber ebenso falsch nahezulegen, ohne Migration keine Kriminalität. Beide Positionen helfen den Opfern von Straftaten und ihren Angehörigen nicht, es ist empathielos und eine Instrumentalisierung für politische Zwecke. Das Kernproblem ist, das Kriminalität immer dann angesprochen wird, wenn es den eigenen politischen Zwecken nutzt. Da wird dann auch gern nicht mehr auf „die“ Wissenschaft gehört. Die Wissenschaft, die sagt das Prävention die beste Möglichkeit ist, Kriminalität mindestens zurückzudrängen. Die Wissenschaft, bei der der Zusammenhang von Armut und Kriminalität umstritten ist, die seit Jahrzehnten feststellt, dass die höchsten Kriminalitätsraten bei jungen Männern liegt und dass das soziokulturelle Umfeld Einfluss auf das eigene Verhalten hat. Es wird dann immer auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verwiesen, dabei aber häufig deren Tücken außer Betracht gelassen: Sie bildet nur das Hellfeld ab, also Straftaten, die irgendwie bekannt geworden sind. Und da beginnt das nächste Problem, häufig werden Straftaten nur durch Anzeigen bekannt und diese sind erheblich von den Vorprägungen der Anzeigenden abhängig (frage sich jede*r selbst, wenn er/sie als Inhaber eines Geschäfts zuerst des Diebstahls verdächtigen würde). Die PKS ist zudem abhängig von der Kontrollintensität. Was sagen nun aber die Zahlen? Aus der PKS, hier in die aus dem Jahr 2023, ergibt sich, dass es einen Anstieg der Nichtdeutschen Tatverdächtigen um 17,8% gab (S. 11) und von diesen 29,8% Zuwander*innen waren. In Zahlen bedeutet das: Es gab 694.981 nichtdeutsche Tatverdächtige und unter diesen waren 178.581 Zuwander*innen. Daraus ergibt sich zunächst: Nicht alle Nichtdeutschen Tatverdächtigen sind Zuwander*innen. Auf Seite 14 gibt es dann detaillierte Daten. Bei Gewaltkriminalität gab es 190.605 Tatverdächtige, darunter 25.732 Zuwander*innen; bei Mord und Totschlag waren es 2.789 Tatverdächtige, darunter 395 Zuwander*innen; bei Sexualdelikten gab es 10.295 Tatverdächtige, darunter 1.193 Zuwander*innen. Zur Frage der Messerkriminalität gibt es hier eine aus meiner Sicht gute Erläuterung. 24,8% der Opfer von Straftaten waren Nichtdeutsche (S. 45). 74,8% der Tatverdächtigen waren Männer (S. 40) und Frauen sind zu 91,9% Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (S. 44). Warum dieser Zahlensalat? Weil es eben nicht so ist, dass ohne Zuwanderung keine Kriminalität mehr existieren würde. Aber eben auch um zu zeigen, wie einfach es ist ist, eine Gruppe verantwortlich zu machen und alle in einen Topf zu werfen. Heute sind „die Anderen“ die Migrant*innen, die für Kriminalität pauschal verantwortlich gemacht werden. Was wäre los, wenn -was offensichtlich Quatsch ist- darauf verwiesen würde das die Männer das Problem der Kriminalität gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind und deshalb besonderen Regeln unterworfen werden müssen? Jedes Opfer eine Straftat ist ein Opfer zu viel – dieser abgedroschene Satz ist dennoch richtig. Die Verantwortung besteht darin, möglichst viele zukünftige Straftaten zu verhindern – mit Prävention, einem Umfeld in dem es möglich ist ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen und vielleicht auch mal über Bilder von Männlichkeit zu reden. Und selbstverständlich, wer eine Straftat begangen hat und dies von einem Gericht festgestellt wird, der muss die vom Gericht ausgesprochene Strafe bekommen.
Seit dem Jahr 2015 sind die Regelungen zu Flucht- und Migration vielfach geändert worden. Vielen scheint gar nicht klar zu sein, wie entwürdigend schon jetzt die Situation ist. Oder sie wollen es nicht wissen. Die Regelungen zum Asylbewerberleistungsgesetz, zum Aufenthaltsgesetz, zum Asylgesetz und die Überformung durch EU-Recht sind so vielfältig und vielschichtig, dass ich sicher bin, dass mindestens die Hälfte derjenigen, die von Regulierung von Zuwanderung reden, die rechtlichen Regeln gar nicht kennen. Wer weiß denn, das mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht eingeführt wurde, dass vollziehbar Ausreisepflichtige, auch wenn die Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist und denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Staat internationaler Schutz gewährt worden ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG haben. Ihnen werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von zwei Wochen, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen). Sie sollen als Sachleistung erbracht werden. Im Oktober 2024 wurde diese Regelung noch einmal verschärft. Jetzt fallen unter diese Regelung Personen, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt wurde, für die eine Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 zweite Alternative des Asylgesetzes angeordnet wurde und für die nach der Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist,
Der § 3 Asylgesetz (AsylG) legt fest, wem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. Wenn über Migration und Begrenzung gesprochen wird, wäre es ja mal spannend zu hören, wem die Flüchtlingseigenschaft nicht zugestanden werden soll. Soll die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr gelten für Personen, die wegen ihrer/seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden? Soll die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr gelten für Personen, die sich außerhalb des Herkunftslandes befinden und die Staatsangehörigkeit dieses Landes besitzt, aber den Schutz dort nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Furcht vor den benannten Gründen nicht in Anspruch nehmen wollen? Oder Staatenlose, die ihren vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat hatten und dort nicht zurückkehren können oder der Furcht vor den benannten Gründen nicht zurückkehren wollenl?
Die Daseinsvorsorge muss ausgebaut werden, es bedarf Investitionen in Gesundheit, Klimaresilienz und Vorsorge für Klimawandelfolgen, in ÖPNV, Wohnungsbau und Bildung. Das kostet Geld, das ist richtig. Zum einen gibt es da aber den Fakt, dass allein in Deutschland des Gesamtvermögen der Milliardär*innen um 26,8 Milliarden US-Doller gestiegen ist, zum anderen gibt es die Schuldenbremse. Es wäre ja möglich über eine Milliardär*innen-Steuer nachzudenken, über die Abkehr von der Schuldenbremse, über eine andere Besteuerung von Erbschaften und vielleicht kann auch bei der Einkommenssteuer auf sehr hohe Einkommen etwas gemacht werden.
Vielleicht fangen wir an über gelungene Integration zu reden, über Problem aus der fehlenden Daseinsvorsorge und über Lösungsansätze, statt Sündenböcke zu suchen und eine ganze Gruppe von Menschen verantwortlich für Alles zu machen.